Der Arzt Kurt Blaas in seiner Praxis.

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Blaas wünscht sich Cannabisapotheken für Österreich.

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Warum es international eine Liberalisierungswelle von Cannabis gibt und dieses in Österreich noch immer negativ stigmatisiert ist, erklärt der Wiener Arzt Kurt Blaas im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Ist die Entkriminalisierung von Cannabis aus medizinischer Sicht vertretbar?

Blaas: Unbedingt, da durch die Kriminalisierung von Cannabis viele soziale Gefüge, wie Familie und ganze Berufskarrieren, zerstört werden. Ist ein Familienmitglied in eine Cannabissache - sei sie auch medizinisch - verwickelt, gibt es in den meisten Fällen eine medizinische Begutachtung und in weiterer Folge eine gerichtliche Verfolgung. Wer einmal mit Cannabis in Kontakt gekommen ist, ist in Österreich angepatzt und sozial geächtet. Das ist eine furchtbare Angelegenheit, die als Erstes ausgemerzt werden muss.

derStandard.at: Ist die Regelung, wie sie nun in Washington und Colorado gehandhabt wird, sinnvoll?

Blaas: Die generelle Freigabe ist ein gewagter Schritt. Die Fragen, welches Cannabis verwendet wird, wer wie viel bekommt und wie viel verkauft wird, sind in der Praxis nicht so einfach umzusetzen. Durch den Verkauf werden aber hohe Steuereinnahmen für den Staat akquiriert. Dennoch halte ich es für problematisch, Cannabis an alle abzugeben.

Am Anfang wird die Nachfrage groß sein und viel Blödsinn damit betrieben werden. Das wird sich möglicherweise aber einpendeln. So wie beispielsweise in Holland, wo der Cannabiskonsum sicher und ruhig abläuft. In Österreich rate ich zur Vorsicht bei einer absoluten Legalisierung. Man muss nicht alles nachmachen und sich die Finger verbrennen.

derStandard.at: Was sind die Risiken beim Cannabiskonsum?

Blaas: Vor allem bei jungen Menschen, die noch nicht genau wissen, womit sie es zu tun haben, gibt es Risiken. Bei Menschen mit einer Prädisposition, also einer versteckten Krankheit oder Psychose, kann diese durch eine falsche Dosierung mit Cannabinoiden ausgelöst werden.

Eine medizinische Vorkontrolle ist bei der Abgabe von natürlichem Cannabis unbedingt notwendig. Außerdem sollte sie der staatlichen Kontrolle unterliegen und nur in Apotheken oder speziellen Einrichtungen stattfinden.

derStandard.at: Was sind aus medizinischer Sicht die positiven Wirkungen von Cannabis?

Blaas: Natürliches Cannabis besitzt mehr als 60 Cannabinoide, das ist eine Riesenanzahl wohltuender und heilender Medizin. Im Moment können wir aber nur mit Mono- oder Duocannabinoiden arbeiten. Es ist einleuchtend, dass man mit 60 Cannabinoiden medizinisch mehr ausrichten kann als mit zwei.

Außerdem sind natürliche Produkte dem Menschen viel ähnlicher. Wir haben ein eigenes Cannabinoidsystem im Körper, das sehr gut auf die natürlichen Cannabinoide abgestellt ist. In der Praxis sehe ich, dass natürliche Cannabinoide besser und breiter wirken.

derStandard.at: Was sind Gründe dafür, dass natürliches Cannabis zur medizinischen Behandlung in Österreich nicht freigegeben wird?

Blaas: In erster Linie die Single Convention (UN-Konvention gegen narkotische Drogen, Anm. der Red.) aus den 70er-Jahren, die von der WHO eingeführt wurde. Sie besagt, dass Cannabis als Pflanze weder im Freizeit- noch im medizinischen Bereich angewendet werden darf. Der Suchtkontrollrat übt Druck auf die einzelnen Ministerien aus, und die Österreicher wollen korrekt sein und alles richtig machen.

derStandard.at: Ist die medizinische Behandlung mit Cannabis in Bezug auf die Verkehrssicherheit problematisch?

Blaas: Bei der medizinischen Behandlung gilt die Grundvoraussetzung, die Psychoaktivität der Substanz so niedrig wie möglich zu halten. Damit ist der Patient keiner psychischen Beeinflussung ausgesetzt. Aus Studien weiß man, dass ein vernünftiger Cannabiskonsum die Verkehrssicherheit nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert, weil die Leute langsamer und vorsichtiger fahren. Wenn jemand unmittelbar vorher etwas geraucht hat, ist es abzulehnen, Auto zu fahren.

derStandard.at: Besteht aus medizinischer Sicht ein Unterschied zwischen der oralen Einnahme und dem Rauchen?

Blaas: Natürlich. Cannabis als reine Substanz zu rauchen ist besser, als es mit Tabak zu mischen. Ich lehne das Rauchen aber prinzipiell ab, weil Verbrennungsprodukte entstehen, die früher oder später die Lunge angreifen. Vernünftig ist das Vaporisieren, das Verdampfen, weil dabei nichts verbrannt wird. Dabei erfolgt eine Erhitzung auf 180 Grad, bei der die Cannabinoide in eine gasförmige Lösung übergehen und sich mit der Luft verbinden und so inhaliert werden können.

derStandard.at: Warum wird Cannabis in Österreich negativ stigmatisiert?

Blaas: Durch die Presse und die vielen negativen Berichte sind wir darauf konditioniert, dass Cannabis etwas Schlechtes ist. Das ist sogar bei mir selbst so. Jedes Mal wenn ich einen Zeitungsartikel entdecke, in dem Drogen und Cannabis vorkommen, assoziiere ich damit etwas Böses. Erst durch die Verbreitung von Texten im Internet hat sich das verändert. Ich glaube, die nächste Generation weiß, was wirklich dahintersteckt.

derStandard.at: Studien zeigen, dass der THC-Gehalt bei Züchtungen in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Wie ist das medizinisch einzustufen?

Blaas: Das kann schon sein, aber das müsste mir jemand schwarz auf weiß zeigen. Wenn es natürliches Cannabis ist, ist das auch nicht so problematisch. Kritisch sind synthetisch produzierte Cannabinoide, bei denen man nicht weiß, ob sie auch wirklich wie Cannabinoide wirken. Vielleicht wurden auch noch Amphetamine dazugeschmuggelt oder eine Flüssigkeit oder ein Pulver darauf geschüttet. Am Ende ist das ein undurchschaubares pharmakologisches Produkt, das medizinisch viel gefährlicher ist als natürliches Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt.

derStandard.at: Wieso gibt es im Moment international einen Liberalisierungsgedanken?

Blaas: Weil die Wirtschaft überall schlecht funktioniert und man nun versucht, Geld damit zu machen. Dann wird auch politisch nicht mehr gefragt, ob Cannabis wirklich so schlecht und schlimm ist. Bei dem Verkauf von Cannabis sind so große Summen im Umlauf, dass es früher oder später zu einem Streit zwischen der Unterwelt und den staatlichen Behörden kommen muss.

Wenn der Staat das Kommando übernimmt - wie beispielsweise in Uruguay - und bestimmt, wo das Cannabis herkommt, wer es anbaut und es selbst verkauft, gibt es große Steuereinnahmen. Dann ist auch die Drogenkriminalität zum Großteil draußen. Bei uns läuft das umgekehrt: Der Staat verbietet es, und die Drogenkriminalität freut sich. (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 12.1.2014)