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Etwa 30.000 Menschen sind in Österreich opiatabhängig. Die Zahlen bleiben seit Jahren relativ konstant.

Foto: APA/Frank Leonhardt

"Ich nahm alles, was ich in die Hände bekam", sagte US-Schauspieler Philip Seymour Hoffman, als er 2006 über seine Drogensucht sprach. Seit seinem Entzug Anfang 20 sei er aber clean. Acht Jahre nach dem Interview war der 46-jährige Schauspieler tot - die Todesursache: vermutlich eine Heroin-Überdosis.

Er ist einer von vielen: In amerikanischen Medien wird von "explodierenden Zahlen" bei Suchtkranken gesprochen, täglich sterben laut offiziellen Statistiken fünfzig Menschen durch eine Überdosis an Opiaten. In Österreich bleiben die Zahlen aber konstant, meint Kurosch Yazdi, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin an der Landesnervenklinik Wagner Jauregg in Linz. Seit Jahren liege hierzulande die Zahl der Opiatabhängigen bei etwas mehr als 30.000. Bei Süchtigen gäbe es in Österreich zudem eine zunehmende Verschiebung: "Immer weniger Leute spritzen sich Heroin, immer mehr Morphin." Beide Substanzen hätten eine ähnliche Wirkung, aber Heroin sei aggressiver, es mache schneller high, schneller süchtig – und es sei ein Schlagwort, das jeder kennt.

Todesursache: Atemstillstand

Das braune oder weiße Pulver, wirkt - geschnupft, inhaliert, intravenös oder, weitaus seltener, oral eingenommen – schmerzlindernd und euphorisierend, erklärt Gabriele Fischer, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Leiterin der Drogenambulanz der Universität Wien. Außerdem gewinne man Abstand zu Problemen, die im Alltag unüberwindbar scheinen. Meist hätten Heroinabhängige ihren Konsum gut unter Kontrolle -  Gefahr gehe aber von einem Mix mit anderen Substanzen, zum Beispiel Alkohol und Beruhigungsmitteln, aus.

Bei Philip Seymour Hoffman etwa wurde anfänglich davon ausgegangen, dass er neben dem Heroin auch noch das Schmerzmittel Fentanyl eingenommen hatte - ein Verdacht, der sich nicht bestätigt hat. "Das sind alles atemdepressive Mittel", so Fischer. Ihre Wirkung werde in Kombination potenziert und dadurch unberechenbar. Bei einer Überdosis werde die Atmung unterdrückt - bis hin zum Atemstillstand.

Auch Verunreinigungen sind laut Yazdi ein Risiko für Heroinabhängige. In Europa sei Heroin so gut wie nie rein, Zwischenhändler würden das Pulver mit den verschiedensten Stoffen - zum Beispiel mit Mehl - strecken. "Diese Substanzen können gefährlich sein", warnt der Mediziner. Außerdem könne Heroin, wenn es doch reiner als erwartet ist, eine Überdosis verursachen. Auch Menschen, die nach längerer Abstinenz rückfällig werden, seien gefährdet, weil sie oft sofort zu ihren alten Dosen zurückkehren, obwohl ihr Körper daran nicht mehr gewöhnt ist.

Paradigmenwechsel im Entzug

Fast 17.000 Menschen befanden sich 2012 laut dem Drogenbericht des Gesundheitsministeriums in Substitutionstherapie. Die Ziele der Therapie werden heute anders definiert als früher, erklärt Gabriele Fischer einen Paradigmenwechsel: "Es geht nicht mehr darum, wie viele Patienten ohne ärztlich verordnete Opioidmedikamente leben. Es geht darum, Betroffene zu stabilisieren." Ziel sei, Medikamente langsam über Jahre ausklingen zu lassen.

Doch vor ihnen liegt ein langer Weg: Heroinentzug ist "unglaublich anstrengend", erlärt Yazdi, der sich mit dem Thema Sucht auch in seinem im Vorjahr erschienenen Buch "Junkies wie wir" beschäftigte: "Das ist eine Qual. Der Körper schreit nach der Substanz." In Österreich werden laut Verordnung als Erstwahl die Medikamente Methadon und Buprenorphin verschrieben, erst in einem nächsten Schritt zu retardiertem Morphin gegriffen. Letzteres sei zwar ein gut geeignetes Medikament, so Fischer, es werde aber häufig ohne entsprechende Qualitätskontrolle verschrieben: „Das ist eine Fehlsteuerung des Systems", meint sie, denn die Medikamente landen oft am Schwarzmarkt.

Grundsätzlich ist laut Yazdi auch ein kalter Entzug bei einer reinen Heroinabhängigkeit möglich – und dieser sei überraschenderweise weniger gefährlich als ein kalter Entzug bei einer Alkoholsucht. Aber das würden nicht viele schaffen, und der Erfolg sei oft von kurzer Dauer. Denn ohne Unterstützung im sozialen Umfeld und neue Strategien, mit Stress und Frustration umzugehen, sei es leicht, wieder in alte Muster zurückzufallen.

Fischer wünscht sich in der Medizin ein Umdenken: "Es ist ein großer Fehler, dass in Österreich versucht wird, Sucht und psychiatrische Erkrankungen zu trennen", so die Medizinerin. Primäre Ansprechpartner für Drogenkranke müssten Psychiater sein. Ein Drittel der Suchtkranken könnten zwar hervorragend vom Hausarzt betreut werden, doch der Rest benötige umfassendere Hilfe.

Denn viele Heroinabhängigen sind krank – das reicht von psychischen Problemen bis hin zu HIV oder Hepatits C. Während die HIV-Ansteckungen in den letzten Jahren zurück gegangen sind, treten laut Yazdi fast alle Hepatitis-C-Neuinfektionen bei Drogensüchtigen auf. Doch auch abseits von Infektionskrankheiten gibt es einen körperlichen und geistigen Abbau bei Heroinsüchtigen - eine direkte und indirekte Wirkung des Heroins: So unterdrücke Heroin das Hungergefühl und die Verdauung und durch den Mangel an Nährstoffen baue erst der Körper, dann das Gehirn ab. Außerdem würden Verunreinigungen nach dem Spritzen im Körper und Gehirn kleine Gefäße verstopfen, was die inneren Organe und das Gehirn im Laufe der Zeit immer mehr schädige.

Erfolg ist Definitionssache

Wie schauen die Erfolgsaussichten also für einen Drogensüchtigen aus, langfristig "clean" zu bleiben? Um diese Frage zu beantworten, muss man "Erfolg" laut Yazdi erst einmal definieren: "Erfolg heißt in der Medizin, dass der Patient und das Umfeld weniger Leidensdruck hat." Auch wenn ein Drogensüchtiger nach drei Jahren wieder rückfällig werde, sei das kein Scheitern: Immerhin habe der Süchtige über längere Zeit ein geregeltes Leben führen können: "Die Gesellschaft glaubt immer, man hat nur etwas gewonnen, wenn jemand ganz geheilt ist - das stimmt nicht." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 20.2.2014)