Sabine kann nicht schlafen.

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Grafik: Der Standard

Sabine schläft nicht gut, sie wacht dauernd auf. Ihr Freund war mit ein paar anderen Männern Fußballschauen, um kurz nach Mitternacht war er aber daheim. Hat er zumindest geschrieben. Um vier Uhr wacht sie wieder auf, geht auf die Toilette, greift zum Handy und sieht: Matthias ist aktiv.

So heißt das auf Facebook, wenn jemand in diesem Moment online ist. Die beiden schreiben einander immer Nachrichten auf Facebook. Dabei sollte er doch eigentlich schon schlafen? Sie ist unsicher, schreibt: Bist du noch wach? Keine Antwort. Aber: "Gesehen: 04:06" steht dort. Er hat die Nachricht gelesen, sagt Facebook. Das kann alles und nichts heißen. Es kann bedeuten, dass er bei einer anderen Frau ist. Es kann bedeuten, dass es doch ein paar Bier mehr geworden sind, die er mit seinen Freunden getrunken hat. Es kann aber auch bedeuten, dass er einfach nur aufs Klo gegangen ist, genau wie sie auch.

Veränderte Kommunikation

Die Kommunikationsmittel, die wir verwenden, verändern unsere Kommunikation. Eine Studie der Uni Köln zeigt, dass das Phänomen "digitale Eifersucht" immer häufiger vorkommt. Dabei ist die Nutzung am Anfang harmlos, sogar oft nützlich. Es gibt viele Gründe, warum man sich bei Facebook registriert, etwa um die Fotos der Verwandten aus Australien zu sehen oder um mit Kollegen von der Uni Skripte und Lerntipps auszutauschen.

Und plötzlich ist man mittendrin. Das Kommunikationsmittel nimmt immer mehr Platz im Leben ein. Sabine kontrolliert, wann Matthias zuletzt online war. Er ärgert sich, wenn sie sich mit einem neuen Mann befreundet, den er nicht kennt oder nicht zuordnen kann. Auf Facebook ist fast jeder ein Freund, eine Freundin. Die Maschine trennt nicht in "entfernte Bekannte", "berufliche Kontakte" oder "bester Freund". Wer miteinander verbunden ist, ist für die Außenwelt ein Freund - egal, ob man 30 oder 3000 hat.

Sachen werden auf einmal wichtig wie das Feld, in dem man eintragen kann, ob man in einer Beziehung ist und mit wem. Sabine beginnt zu spekulieren, warum sich Matthias weigert, auf sein Profil den Satz "in einer Beziehung mit Sabine" zu stellen, obwohl sie das will. Will er sich die Möglichkeit offenhalten, mit anderen Frauen zu flirten, weil seine offengelegte Beziehung andere Frauen abschrecken kann? Immerhin könnte sich auf Facebook ja ein Flirt ergeben.

Wird Matthias in der Beziehung unsicher, sucht er Bestätigung - und findet sie in Sabines Facebook-Nachrichten. Die liest er manchmal, wenn sie ihr Handy irgendwo liegen lässt. Sabine stalkt alle Frauen, die regelmäßig Posts auf der Seite von Matthias liken. Sie beobachtet, welche Fotos Matthias gefallen. Beide machen das, weil sie Gelegenheit dazu haben.

Stalking aus Gelegenheit

Draußen, in der richtigen Welt, kämen sie nie auf die Idee, einander nachzuspionieren. Doch im digitalen Raum ist es nur ein Griff zum Computer, ein Klick auf der Maus, um den Partner zu überwachen. Es wird einem User einfach gemacht, seiner Neugierde nachzugeben und dabei Grenzen zu überschreiten, wie es sonst vielleicht nicht passieren würde.

Diese digitale Eifersucht kann zu realen Beziehungsproblemen führen. Sabine fragt nach der durchwachten Nacht, was er um vier Uhr früh an seinem Handy gemacht hat. Matthias fühlt sich kontrolliert und wird ärgerlich. Tatsächlich werden Bedeutung und Intensität der Handlungen in sozialen Netzwerken oft falsch eingeschätzt. Studien besagen, dass das an der asynchronen und textbasierten Kommunikation liegt. Es fehlen Mimik und Gestik, wichtige Gradmesser in der direkten Kommunikation. Dazu kommt die Geschwindigkeit, mit der kommuniziert wird und mit der Antworten verlangt werden.

Das alles entbindet Sabine und Matthias nicht von der Verantwortung, die persönlichen Grenzen des anderen zu respektieren. Den anderen sollte man auch dann nicht überwachen, nur weil man es kann. Aber die Verlockung wird größer, je einfacher der Zugang wird. Die neuen Kommunikationsmittel erfordern, dass sich User stärker selbst kontrollieren, nicht jeder Neigung nachgeben.

Matthias sagt jedenfalls, er war nur am Klo. Sie bleibt trotzdem misstrauisch. Um sie zu beruhigen, ändert er seinen Beziehungsstatus. Alle seine "Freunde" sehen jetzt, dass er mit Sabine in einer Beziehung ist. (Florian Gossy, DER STANDARD, 8.3.2014)