Martin (li.) und Christian mit ihren Pflegekindern: "Ich habe drei Papas", hat der ältere Bub (4) einmal auf dem Spielplatz erzählt. Die Reaktion eines Mädchens: "Und ich habe vier Omas." Foto: Christian Fischer

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Wien - Bei dieser Elternschaft müsste der konservativste Familienverband verzückt sein: Bevor die Kinder kamen, ging es ins Trockentraining: Grundkurs, Aufbaukurs samt Babypflege und einmal im Monat zur Supervisionsgruppe - selbst jetzt noch. Dermaßen inhaltlich aufmunitioniert sind werdende Väter oder Mütter selten. Und dennoch will diese Gruppe nicht allen genügen: Martin und Christian sind leidenschaftliche Väter - und schwul. Sie leben mit ihren zwei Pflegekindern, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, in einer Regenbogenfamilie.

Der vierjährige Oliver sortiert gerade Puzzleteile auf dem Couchtisch, Bruder Leo (Namen auf Wunsch der Pflegeeltern geändert) fegt die geordneten Teile runter. Beide Buben stecken schon im Pyjama. Es ist Schlafenszeit, der Dreijährige ist müde. "Ich bin brav", sagt er zu Martin - nachdem er den großen Bruder geärgert hat.

"Martin und ich sind mit 20 Jahren zusammengekommen", erzählt derweil Partner Christian. Seit 16 Jahren sind die beiden ein Paar. Auch verpartnert sind sie inzwischen: "Vier Leute mit drei Nachnamen, das geht nicht. Wir wollen auch zeigen, dass wir eine Familie sind", sagt Martin. Damals, vor 16 Jahren, verschwendeten die beiden noch keine Gedanken an eine eigene Familie. "Wir kommen beide vom Land, ich aus Kärnten, Christian aus der Steiermark, und wuchsen mit dem tradierten Mann-Frau-Kind-Bild auf." Ein Homosexueller passte in dieses Schema nicht rein. "Das Coming-out hat für uns bedeutet, den Familienwunsch aufzugeben", sagt Christian.

In der Küche hängt der - fast obligate - Wandkalender mit den Kinderporträts, im Wohnzimmer steht eine kleine Rutsche und finden sich jede Menge Spielzeugkisten. Leo will jetzt zeichnen. Papa Martin bringt Wachskreiden. Er soll gleich selbst ein Auto malen.

Ausgerechnet Strache

Ausgerechnet FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist Schuld daran, dass das schwule Paar heute Kinder erzieht. "Der FPÖ-Chef hat irrsinnig gegen das Wiener Pflegekind-Programm gewettert. So sind wir erst auf diese Möglichkeit für Homosexuelle aufmerksam geworden." Erst als für beide Männer klar war, dass es nicht nur darum ging, mit der Annahme eines Kindes nur die eigenen Bedürfnisse zu stillen, meldeten sie sich als Pflegeeltern. Martin: "Zuerst absolvierten wir die notwendigen Kurse, dann wurden wir auf Herz und Nieren überprüft; von unserer finanziellen Situation bis zu unserer Gesundheit."

Wien ist österreichweit Vorreiter bei homosexuellen Pflegeeltern. Bereits 1998 zog das erste Kind ganz offiziell bei zwei Frauen ein. Statistiken, wie viele Pflegekinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren leben, gibt es keine. Der Grund: Die sexuelle Orientierung spiele bei der Eignungsprüfung keine Rolle (siehe Wissen).

Oliver kommt 2010 zu den beiden Männern, acht Monate später folgt sein Bruder Leo. "Wir sehen uns als Patchworkfamilie", sagt Christian. Klar sei auch, hält Martin fest: "Das hat uns als Menschen weitergebracht." Mit den leiblichen Eltern sind die Väter in gutem Kontakt, die Treffen einmal im Monat laufen "in entspannter Atmosphäre ab". Adoption war kein Thema? "Wir haben uns eigentlich bewusst für Pflegekinder entschieden", hält Christian fest: "Und im Pflegesystem ist Adoption von vornherein nicht vorgesehen. Es geht darum, den Kindern ihre Herkunftsfamilie so weit wie möglich zu erhalten."

Stabilität geben

"Schau! Eine Schatzkarte!", ruft Oliver und winkt mit einem bunten Zettel - ein Überbleibsel vom Fasching. Oliver war ein Pirat. Damit sie die erste Zeit mit den Kindern intensiv verbringen konnten, haben beide ihre Arbeitszeiten hinuntergeschraubt. Martin arbeitet jetzt 20 Stunden als Bibliothekar, Christian derzeit noch zehn Stunden in einem Beratungsunternehmen. Martin ist der "Papa", Christian der "Papi". Ihre Homosexualität ist für die Kinder kein Thema, auch nicht im Kindergarten oder beim Kinderarzt: "Was hinter unserem Rücken geredet wird, wissen wir nicht. Schlechte Erfahrungen haben wir keine gemacht", sagt Christian. Irgendwann, wohl in der Schule, "wird darüber geredet werden" , weiß auch Martin, "wir versuchen, den Kindern so viel Stabilität zu geben, dass sie mit etwaigen Anfeindungen entsprechend umgehen können".

Beide hoffen auf Veränderungen in der Gesellschaft. "Selbst in der wertkonservativen ÖVP gibt es schon offene und pragmatische Stimmen", verweist Christian auf Politiker wie Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter, der sich kürzlich im Standard-Interview für ein Adoptionsrecht für Homosexuelle ausgesprochen hat.

Kleine Kinder sind da manchmal weiter als einige Erwachsene. Auf dem Spielplatz hat Oliver einmal einem fremden Kind erzählt, er habe drei Papas. Das Mädchen habe bloß geantwortet: "Und ich habe vier Omas." (Peter Mayr, DER STANDARD, 8.3.2014)