Bild nicht mehr verfügbar.

"Über den Beeten und Töpfen werden zwar Grabenkämpfe ausgefochten, Gestaltungskriege, Generationskonflikte, doch das hält die mit Krampfen und Blumendraht Bewaffneten nicht auf."

Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Willst du einen Tag lang glücklich sein, betrinke dich!

Willst du eine Woche lang glücklich sein, schlachte ein Schwein!

Willst du ein Jahr lang glücklich sein, heirate!

Willst du ein Leben lang glücklich sein, werde Gärtner!

Das Glück der Trunkenheit währt kurz, das Schweineschlachten liegt mir nicht, das Heiraten habe ich noch nicht versucht, aber das Gärtnerinnentum, das hat es mir angetan.

Sogar das schwarze Niederösterreich hat eben ein grünes Herz. 1996 wurde die Idee für die Aktion "Natur im Garten" geboren, 18 Jahre wird dieses Baby heuer alt, es ist erwachsen. Das Land leistet sich ein eigenes Gartentelefon, und wer nicht in einem der vielen Kreisverkehre hängen bleibt, findet seinen Weg zur "Garten Tulln". Auch die Arche Noah, eine "Gesellschaft zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt & ihrer Entwicklung", hat ihren Sitz in Niederösterreich. Wir haben es schon ein bisschen mit dem Garten, offenbar.

Doch nicht nur wir. Betrachtet man die Timeline so mancher Social-Media-Plattform irgendwann von Juni bis Oktober, wenn die Stadt- wie LandgärtnerInnen, von Dornbirn bis Favoriten, diese mit den Bildbeweisen ih-rer Ernten fluten, könnte leicht der Eindruck entstehen, das oben zitierte, angeblich chinesische Sprichwort, welches in China mit großer Wahrscheinlichkeit gar niemand kennt, entspräche vollstens der Wahrheit. Vergessen ist das nasskalte Frühjahr, tapfer wird gegen einen allzu hitzigen Hochsommermonat angegossen. Über den Beeten und Töpfen wurden und werden zwar wenig entspannende Grabenkämpfe ausgefochten, Gestaltungskriege, Generationskonflikte, Glaubensdifferenzen, doch das hält die mit Krampen und Blumendraht Bewaffneten nicht auf.

Verhallt sind die Flüche der auf Balkone Beschränkten beim Hochschleppen der Erdsäcke bis in die höchsten Stockwerke. Gerne ertragen die mit reichlich ebenerdigen Eigengrund gesegneten die gießkanneninduzierten Rückenschmerzen, das tägliche Nacktschneckenklauben, den Mehltaufrust. Hier sind die Früchte ihrer Arbeit. Das haben sie vollbracht.

An diesem Tag zwölf Himbeeren, an jenem fünf Cocktailtomaten und für die Überraschten am Ende vierundzwanzig Kürbisse.

Ich mache mit.

Dabei frage ich mich, warum das so glücklich macht, so dermaßen und unlogisch glücklich, dieses Garteln, mit all der Extraarbeit, die sich für so einige nicht rechnen kann, mit den Kosten, die bei denen ohne Grünen Saatgutdaumen für Jungpflanzen anfallen, mit dem Wetter, das nie passt, mit dem braunen Rand unter den Fingernägeln, der einem erst auf dem Weg zur Arbeit auffällt, weil man eben bei manchen Zöglingen vorher noch schnell den Finger in der Erde hat stecken müssen, um sicherzugehen, dass alles seine Ordnung hat ...

Es muss, es kann nur an der Kindheit liegen, wie so vieles, beinah alles in der Kindheit liegt oder zumindest gerne dieser zugeschrieben wird, Hänschen hat's gelernt, nicht anders wird es sein - irgend etwas lässt mich erfüllt sein von einem halben Kilo mickrigen selbstgezogenen Kartoffeln.

Die Leinwand, auf der ich den Film meiner Kindheit quasi wie im Freiluftkino ablaufen sehe, spannt sich tatsächlich auf zwischen dem Apfelbaum im Schrebergarten meiner Urgroßmutter mütterlicherseits und dem Zaun vor dem gepflegten Vorgarten meiner Großmutter väterlicherseits.

Während im Schrebergarten der Urgroßmutter der Kompost in einer eigens betonierten Wanne, an deren rauer Wand sich schon meine Mutter als Kind die Knie blutiggeschlagen hatte, vor sich hin rottete, standen die Tulpen im Vorgarten der Großmutter wie vereinzelte Soldaten, aufrecht, von einem genau ausgemessenen Stück nackter Blumenerde umgeben, auf das man keinen Grashalm kommen ließ, und neben ihnen residierte eine Korkenzieherhasel, deren Früchte, wie man mir erklärte, nicht genießbar seien.

Aus dem Schrebergarten kamen die Fisolen, die auf dem Küchentisch der kleinen Innenstadtwohnung geputzt werden mussten, von dem einen Plastikschaffel in das andere umsortiert, im allgegenwärtigen Geplärr der ORF-2-Nachmittagsnostalgie, einer schwarzweißen Unterhaltungsindustrie, angeführt von Hans Moser - die Lautstärke der Schwerhörigkeit der Sortierenden angepasst. Der Schrebergarten also war ein Arbeitsort, er war ein Arbeitergarten, der Nahrung produzierte, Gemüse und Obst. Und auch wenn im Garten meiner Großmutter väterlicherseits der Weichselbaum reichlich Früchte trug, so ist es der tulpenbewehrte Vorgarten, das, was man vom Küchenfenster aus sah, das, was einem von der Straße her empfing, genau das, was mir in Erinnerung geblieben ist und bleiben wird als das Gegenstück zur kleinformatigen Mistwanne.

Die Diskrepanz zwischen dem Arbeitertum der Mutterfamilie und dem Kleinbürgertum der Vaterfamilie manifestierte sich für mich, das Kind zwischen den Stühlen, symbolisch in den Korkenzieherlocken des Zierhaselstrauches, in dem Unverständnis, das dieses Kind, also ich, der Tatsache entgegenbrachte, dass da jemand einen Nussstrauch in seinen Garten setzte, dessen Nüsse zum Verzehr nicht geeignet waren. Auch wenn die Tulpen niemand schnitt und auch wenn die Rosen, die den weißen Kiesweg rechter Hand säumten, niemals Köpfe lassen mussten, so waren das doch Blumen, deren Zweck dem Kind als Dekoration verständlich gemacht werden konnte, aber warum, warum in Kindergottesnamen, warum einen Nussstrauch anpflanzen und dann die Nüsse nicht essen können? Der Zierhaselstrauch mit seinen Locken wachte also über die Tulpensoldaten, solange ich mich erinnern kann, und bei jedem Blick aus dem Küchenfenster schüttelte ich innerlich den Kopf.

Dieser Zierhaselstrauch verfolgt mich, wird mich verfolgen, der Zierhaselstrauch ist meine botanische Prägung, die, in Kombination mit meiner Genossenschaftswohnungskindheit und den Balkontomaten meiner Mutter, zu einem Nutzpflanzenfimmel geführt hat, der mich überfällt, sobald mir ein Stückchen Erde zur Verfügung steht, eingetopft oder frei, zur Ablehnung alles nutzlosen Botanischen, selbst die Blumen muss man bei mir essen können, oder deren Anwesenheit sollte zumindest vorteilhaft für die um sie herumwachsenden Pflänzchen sein.

Wäre ich in Therapie, das Ausmachen des wahrscheinlich zu Unrecht als nicht brauchbar abgestempelten Zierhaselstrauches, dessen Früchte tatsächlich oft essbar sind, als Motiv, hätte mir von meiner Therapeutin als großer Durchbruch teuer verkauft werden, die Wurzeln der Zierhasel hätten einer neuen Bestimmung zugeführt werden können, sie hätten sich unterbewusst unterirdisch mit denen der Bohnen im Schrebergarten verbinden, sich zärtlich um die jungen Karotten wickeln, den Sieg über den Graben zwischen Arbeiter- und Bürgertum erringen können, dessen kindgewordenes Abbild ich ja war.

Nun, da ich nie in Therapie gewesen bin, kann ich das Ausmachen dieses Motives der Literatur zuschreiben, dem durch das Literaturschaffen für Motive an sich geschärften Blick, ich kann diesen Durchbruch also als durch mich und aus mir heraus erreicht ansehen und mir selbst gleich die Aufgabe zur therapeutischen Absolution stellen: Pflanz ein paar Tulpen an, unbedarft weiße, im Vorgarten, aber lass sie in einer Gruppe wachsen, zusammenstehen, und daneben eine Hasel, eine echte. Und ich lache, wenn ich durch Zufall im Internet über einen kleinen Betrieb für Gartenplanung, -gestaltung und -pflege aus Liechtenstein stoße, der sich sinnigerweise selbst den Namen "Habitus" gegeben hat. Lache aus dem Bauch heraus.

Und, was blüht Ihnen in diesem Jahr? (Cornelia Travnicek, Album, DER STANDARD, 22./23.3.2014)