David Lama kletterte als erster Mensch den knapp 3.130 Meter hohen Cerro Torre frei. Wegen seiner glatten Granitwände und der extremen Wetterbedingungen gilt er als einer der schwierigsten Gipfel der Welt.

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Der US-amerikanische Kletterstar Jim Bridwell gab dem jungen Kletterprofi "nicht den Hauch einer Chance". David Lama sagt heute: "Ich könnte mich mit allen, die Kritik geäußert haben, zusammensetzen und auf ein Bier gehen."

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derStandard.at: Was ist das für ein Gefühl, wenn man schon als Kind seine Berufung gefunden hat?

Lama: Es ist ein sehr gutes Gefühl, weil ich von Anfang in eine Richtung gearbeitet habe, von der ich wusste, dass sie für mich passt. Ich schweife nicht aus, sondern arbeite immer auf ein gewisses Ziel hin und gehe den Weg, den ich mir vorgestellt habe. Es gibt nichts Schöneres.

derStandard.at: Ihr Vater stammt aus dem Mount-Everest-Gebiet in Nepal, Ihr Großvater wiederum war tibetischer Mönch. Welche Bedeutung haben diese beiden Länder für Sie?

Lama: In gewisser Weise bedeuten diese Länder Heimat für mich. Was mich aber viel mehr mit ihnen verbindet, sind die Berge. Das Klettern wurde mir gewissermaßen in die Wiege gelegt, obwohl weder mein Vater noch meine Mutter Bergsteiger oder Kletterer waren. Trotzdem schwingt in meinem Namen schon das Thema Berg mit. Es ist spannend, dass ich wieder zu den Bergen gefunden habe.

derStandard.at: In Ihrem neuen Film "Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance", in dem Sie als Erster den "unmöglichen" Torre frei klettern, wird vor allem eines sichtbar: Ihre mentale Stärke. Woher kommt diese Entspanntheit?

Lama: Zum einen ist es eine Einstellungssache. Das Unmögliche ist ja etwas, das uns Alpinisten schon immer gereizt hat und immer reizen wird. Die neuen Generationen an Extrembergsteigern probieren immer Sachen, die die Generation davor für unmöglich erachtet hat. Das ist nicht nur beim Bergsteigen so, sondern generell. Das ist eine Art und Weise, wie man sich von den Leuten davor abheben kann. Zu dieser Einstellung gehört, dass man das Unmögliche auch anerkennen muss, damit es eine Herausforderung bleibt. Wir "spielen" immer damit. Kletterer haben immer diese Vorstellung, wie sie durch die Wand klettern wollen, und es gilt, dieser Vorstellung treu zu bleiben.

derStandard.at: Sie haben oft gesagt, Sie hätten am Cerro Torre viel über sich selbst gelernt. Inwiefern haben Sie sich verändert?

Lama: Am Torre kam ich auch an meine mentalen Grenzen. Ich habe durch diese Erfahrung meinen persönlichen Stil gefunden – sowohl beim Klettern als auch im sonstigen Leben. Mein Weg spitzt sich immer mehr zu und wird noch konkreter. Heute weiß ich noch viel genauer, was ich will und was ich kann – das heißt, ich bin noch zielstrebiger geworden. Und ich äußere auch klar meine Meinung, wenn mir etwas gegen den Strich geht. Als Sportkletterer zum Alpinisten zu werden ist eine Herausforderung. Doch ich denke, genau die Sportkletterei hat dazu geführt, dass ich den Torre frei klettern konnte. Der Baustein, der dazugekommen ist, ist der Alpinismus.

derStandard.at: Welche Erfahrungen der Ausgrenzung haben Sie in Ihrem Leben schon gemacht – etwa als junger und erfolgreicher Kletterer unter den "Großen"?

Lama: Natürlich ist es ein langer Weg, bis man von allen wirklich respektiert wird. Aber es liegt an einem selbst, sich diesen Respekt zu verdienen.

derStandard.at: Vom US-amerikanischen Kletterer Jim Bridwell wurde Ihnen "nicht der Hauch einer Chance" eingeräumt, und auch andere haben Kritik geübt. Was können Sie diesen Kritikern jetzt antworten?

Lama: Eigentlich war es ja keine Kritik, sondern er hat schlicht und einfach nicht daran geglaubt, dass das möglich ist. Ich könnte mich heute mit allen, die Kritik geäußert haben, zusammensetzen und auf ein Bier gehen. Ich habe schließlich bewiesen, dass es möglich ist.

derStandard.at: Was sagen Sie denen, die Sie für "verrückt" und "lebensmüde" erklären?

Lama: Ich sage ihnen, dass ich kein Draufgänger bin. Ich bin sogar alles andere als das, denn ich kalkuliere das Risiko sehr genau und versuche es so minimal wie möglich zu halten. Zum Beispiel sind mein Kletterpartner Peter und ich immer morgens losgegangen, um das Risiko herunterfallender Eisblöcke zu minimieren. Ich gehe keine unnötigen Gefahren ein, sondern überlege mir genau, wo meine Grenzen und auch jene der Natur liegen.

derStandard.at: Im Film haben Sie Dinge selbst mitbestimmen wollen – gegen die Meinung des Red-Bull-Teams. Was war das zum Beispiel?

Lama: Es gab viele Diskussionen, wie die Szenen gemacht werden sollten. Als das Filmteam Haken in die Wand bohrte, gab es einen großen Aufschrei. Danach wollte ich, dass keine Fixseile mehr verlegt werden. Das Team musste dann von hinten hinaufklettern. Auch die Szene, als ich die letzte Seillänge klettere, hätte anders aussehen sollen. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Kameramann vom Felsen wegzuretuschieren. Doch ich wollte, dass der Film authentisch bleibt. Da war eben nicht nur ich oben, sondern hinter dem Film steckt ein Team, das auch gesehen werden soll. Um die Authentizität zu bewahren, sind etwa auch viele Szenen dabei, die unsere Rückschläge zeigen und auch die mühsame Warterei dokumentieren.

derStandard.at: Wie haben die Einheimischen in El Chaltén auf den Film reagiert?

Lama: In El Chaltén gibt es eine eingeschweißte Klettercommunity, die den Torre auch als "ihren" Berg ansieht und dementsprechend stolz darauf ist. Mir war es ein großes Anliegen, den Film dort zu zeigen – und die Menschen haben sehr positiv darauf reagiert, wie der Berg im Film dargestellt und gewürdigt wird.

derStandard.at: Aber noch einmal hinaufklettern würden Sie nicht, oder?

Lama: Warum nicht? Es gibt noch andere Routen, die mich interessieren würden. Außerdem bin ich immer wieder dort, weil ich dort viele Freunde gefunden habe. Aber derzeit konzentriere ich mich auf mein nächstes Projekt – die Nordostwand des Masherbrum in Pakistan, auch K1 genannt.

derStandard.at: Was können Sie jungen Kletterern heute mitgeben?

Lama: Findet euren persönlichen Stil und geht euren eigenen Weg. Was mir persönlich immer wichtig war, ist die Tatsache, dass ich nie von meiner Route, die ich mir ursprünglich im Leben und beim Klettern vorgenommen hatte, abgekommen bin. Keine Abstriche zu machen und auch einmal den härteren, aber dafür ehrlichen Weg zu nehmen – das ist ein Motto, das nicht nur fürs Klettern, sondern für alle Lebensbereiche gelten kann. So, wie es Cesare Maestri (1970, umstrittene Erstbesteigung des Cerro Torre, Anm.) gemacht hat – das ist keine Herausforderung mehr. Er wollte den Berg am Anfang auch in einem schönen, sauberen Stil besteigen. Er hat dann aber so viele Abstriche gemacht, bis er mit dem Kompressor dort angelangt ist und etwas Unmögliches möglich gemacht hat, indem er 300 Haken in die unberührte Wand bohrte und so hinaufkam. Sich selbst und seinen Zielen treu zu bleiben ist meiner Meinung nach wichtiger als Ruhm. (Jelena Gučanin, derStandard.at, 26.3.2014)

Link: Trailer zum Film