Thomas Lützkendorf: "Der durchschnittliche Konsument denkt länger über den Geschirrspüler nach als über das Haus."

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Nachhaltige Architektur: "Mein Wunsch wäre es, dass eines Tages die Banken die bessere Wertbeständigkeit solcher Bauten erkennen und dies in ihre Kredit- und Zinskalkulation einbeziehen."

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Wohnen ist viel zu teuer, meint Thomas Lützkendorf, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), und die Ökologiekriterien und Energiekennzahlen müssten in Zukunft dringend von Banken berücksichtigt werden, erklärt er im Gespräch mit Wojciech Czaja.

STANDARD: Wie viel Prozent Ihres Einkommens geben Sie im Durchschnitt fürs Wohnen aus?

Lützkendorf: Schwer zu sagen. Ich bin Mitglied einer Eigentümergemeinschaft, einer Bauherrengruppe, und bewohne ein Zehnfamilienhaus. Aber wenn man das aliquot umrechnet, kann man sagen, dass die Menschen in Deutschland rund 25 Prozent des verfügbaren Einkommens fürs Wohnen ausgeben, und zwar warm, also inklusive aller Nebenkosten. Natürlich hängt das im Detail stark von der Höhe des Einkommens ab.

STANDARD: In Österreich rechnet man mit etwa 33 Prozent. Tatsächlich ist der Anteil in den letzten Jahren rasant gestiegen. Viele Leute geben bereits 50 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen aus.

Lützkendorf:  Das ist viel. Das klingt fast nach Marktversagen. Man müsste analysieren, ob das an der Kaltmiete oder an den Nebenkosten liegt. Jedenfalls geht es um ein gewisses Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage sowie um Grundstücksknappheit, die in einigen Städten in Österreich - ich denke da nur an Salzburg und Wien - meines Wissens nach sehr hoch ist. Da muss man dringend reagieren!

STANDARD: Was tun?

Lützkendorf: Man muss schauen, inwiefern die Gesellschaft bereit ist, diese Ungleichheit auszugleichen. Wien ist in der wunderbaren Situation, über einen hohen Anteil an kommunalen Wohnungen zu verfügen - und somit verfügt es auch über Möglichkeiten einzugreifen. In Deutschland ist die Situation anders. Viele Kommunen haben den Wohnungsbau outgesourct, also privatisiert, und haben heute kaum noch eine Handhabe.

STANDARD: Welche Regulative gibt es bauseits, um diese Entwicklung der davongaloppierenden Wohnkosten zu stoppen?

Lützkendorf: Gehen wir doch noch ein Stück weiter zurück: In den Achtzigerjahren gab es das ökologische Bauen, in den Neunzigern dann das flächen- und kostensparende Bauen, aber all diese Phasen gingen schnell wieder vorüber, denn die Betrachtung war immer einseitig und hat die Immobilien- und Bauwirtschaft kaum erreicht. Heute ist das anders.

STANDARD: Und zwar?

Lützkendorf: Ich würde die heutige Zeit als Ökonomisierung der Ökologie bezeichnen. Nachhaltigkeit ja, jedoch zu vernünftigen Kosten.

STANDARD: Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Lützkendorf: Bis vor kurzem gab es das normale Bauen auf der einen Seite und das grüne, nachhaltige Bauen auf der anderen Seite. Das eine war ökonomisch, das andere ökologisch orientiert, und dazwischen gab es einen tiefen Graben namens "Mehrkosten". Heute gehen wir anders an das Thema heran. Wir sagen: Ich habe so und so viel Euro pro Quadratmeter zur Verfügung, wie kann ich das Budget möglichst sinnvoll und möglichst ökologisch investieren? Das Haus kann eine hochwertige Innenausstattung haben, wie etwa Parkettboden und teure Fliesen - oder ich investiere in Haustechnik und in eine energetisch optimierte Gebäudehülle. Wenn ich mich für Letzteres entscheide, kann ich die ökologischen Maßnahmen auch im üblichen Kostenrahmen realisieren.

STANDARD: Und was sagen die Kunden dazu? Als Mieter und Käufer ist man gewisse Standards gewohnt.

Lützkendorf: Die Innenausstattung kann man jederzeit nachrüsten. Das kann auch ein oder zwei Jahre warten. Bei der Haustechnik und Grundsubstanz des Hauses ist so etwas nicht möglich - oder zumindest nicht sinnvoll. Ich würde dafür plädieren, die Menschen zu beraten und aufzuklären.

STANDARD: Den Parkettboden sieht man, die Heizkosten aber nicht.

Lützkendorf: Verborgene Qualitäten sind dem Mieter schwierig zu kommunizieren, denn Raumluftqualität, Heizkostenersparnis und thermischen Komfort kann ich nicht besichtigen. Aber es geht. In Darmstadt beispielsweise hat man es geschafft, die energetische Qualität eines Mietobjekts als Beschaffenheitszuschlag in den Mietspiegel miteinzubeziehen. Bei geringem Energiebedarf darf die Miete um einige Cent pro Quadratmeter höher sein. Die Akzeptanz ist da.

STANDARD: Ein Versuch, die ökologische Sensibilität anzuheben, war die Einführung des Energieausweises in Österreich.

Lützkendorf: Der Wohnmarkt ist in viele Teilmärkte zerfallen und mittlerweile recht unübersichtlich. Der Energieausweis, der in Österreich, aber auch in Deutschland und im übrigen Europa vor einigen Jahren eingeführt wurde, ist der Versuch, hier etwas Überblick zu schaffen und die Transparenz im Immobilienmarkt in Bezug auf die energetische Qualität zu verbessern. Der Erfolg dieser Initiative lässt noch zu wünschen übrig, denn der Energieausweis wird eher als Schikane denn als Qualitätsnachweis wahrgenommen. Der durchschnittliche Konsument liest etliche Male die Stiftung Warentest und wendet mehr Zeit für die Auswahl des richtigen Geschirrspülers als für die Suche des richtigen Wohnobjekts auf. Ich kann mich nur wiederholen: Es braucht mehr Beratungsangebote.

STANDARD: Wie kann diese Aufklärung aussehen?

Lützkendorf: Ich schlage vor, über Bande zu spielen und den Investoren und Hausbesitzern zu sagen: Ein Gebäude, das nicht gewissen Nachhaltigkeitskriterien entspricht, ist nicht nur nicht attraktiv, sondern auch ein hohes wirtschaftliches Risiko. Ganz nach dem Motto: "Nichtnachhaltigkeit, das neue Risiko!"

STANDARD: Der Slogan klingt nach Zukunftsmusik!

Lützkendorf: Das wird aus meiner Sicht schneller gehen, als wir glauben! Mein Wunsch wäre es, dass eines Tages nicht mehr der Staat nach dem Energieausweis fragt, sondern der Wertermittler oder die Bank. Was nämlich jetzt noch fehlt, ist, dass Banken und Versicherungen die geringeren Risiken und die bessere Wertbeständigkeit berücksichtigen und in ihre Kredit- und Zinskalkulation einbeziehen. Das wäre ein kleiner Schritt mit enormen Folgen.

STANDARD: Und wie lange wird es dauern, bis sich die Energiebeschaffenheit eines Objekts flächendeckend in den Wohnbau-Förderkriterien niederschlägt?

Lützkendorf: Auf Bundesländer- und Kommunalebene gibt es das bereits. Zwischen Vorarlberg und Wien werden Nachhaltigkeitsaspekte recht unterschiedlich gehandhabt. In einigen Bundesländern ist Niedrigenergiestandard sogar Grundvoraussetzung, um Wohnbauförderung beziehen zu können. Wie lange es jedoch dauern wird, bis sich das auf gesamtstaatlicher Ebene niederschlägt, vermag ich nicht zu sagen. (DER STANDARD, 29.3.2014)