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Sehr symbolträchtig: Osterglocken und Lämmer prägen jetzt wieder die Landschaft rund um den deutsch-belgischen Nationalpark Eifel.

Foto: Ada Summer/Corbis

Schon seit Ende März kommt man trockenen Fußes durch das Goldene Meer. Auf viele Stunden, wenn man will, sogar auf Tage lässt sich eine Durchquerung ausdehnen. Doch dieses Meer ist auf keiner Seekarte verzeichnet, und kein Schiff kann es passieren. Es besteht nur aus Blumen. Auf dieser See wogen die goldgelben Kelche der Osterglocke wellenförmig im Wind. Gut zwei Wochen früher als in Jahren mit strengen Wintern hat die Wilde Gelbe Narzisse heuer den Nationalpark Eifel mit Millionen von Blüten geflutet.

Erst seit rund 30 Jahren gondeln Menschen deswegen wieder in das deutsch-belgische Grenzgebiet, dorthin, wo sich Eifel und Ardennen aneinanderkuscheln. Zwischen dem deutschen Städtchen Monschau und dem belgischen Sankt Vith standen die Narzissen nämlich nicht immer so dicht wie Tulpen auf den holländischen Feldern von Keukenhof. Und im Gegensatz zur weltberühmten Gartenanlage in den Niederlanden waren die blühenden Wiesen der Eifel nie ein Menschenwerk - oder allenfalls ein indirektes.

Loki Schmidt, die im Umweltschutz engagierte Ehefrau des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut, gründete in den späten 1980er-Jahren eine Initiative zur Rettung der Narzissentäler. Sie erreichte dadurch, dass das Land Nordrhein-Westfalen zu Fichtenwäldern gewordenen Blumenwiesen aufkaufte und die Bäume wieder roden ließ. Und siehe da, nach nur wenigen Jahren waren die im Boden verbliebenen Zwiebeln der Osterglocken zu neuem Leben erwacht. An diese Schmidt'sche Renaturierung, vor allem im Oleftal, erinnern heute noch Hinweistafeln.

Aber wie kam es überhaupt dazu, dass das Goldene Meer über Jahre versiegt schien? Noch bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg trieben Bauern aus den deutschen wie auch den belgischen Dörfern ihr Jungvieh auf diese Talwiesen. Doch den Tieren kann man nicht die Schuld geben am Verschwinden der Osterblume. Rindviecher und Schafe vertrugen sich prächtig mit den Narzissen. Sie trafen nur selten aufeinander, weil sie erst auf den Weiden standen, als die Frühlingsboten schon wieder verblüht waren. Begegneten sie einander trotzdem, ignorierten die Wiederkäuer die Blüten und rupften lieber das Gras dazwischen.

Im Schatten der Fichte

Erst mit dem Niedergang kleiner Landwirtschaftsbetriebe hatten die Wiesen ihre Bedeutung als Weideplätze verloren. Fichten wurden stattdessen angepflanzt - die wachsen schnell und bringen rasch Gewinn. Doch auf dem völlig beschatteten Boden verschwanden die Osterglocken nach und nach.

Schafe aus der Eifel wurden im 18. Jahrhundert noch bis auf die Pariser Märkte getrieben. Große Herden bedeuteten für die armen Bauern Wolle, und für die Pariser Tuch und Filz von sehr hoher Qualität. Allein in der heutigen Nationalparkstadt Heimbach gab es vier Schäfereien, eine Wollspinnerei und eine Walkmühle. Doch das ist lange her. Erst mit den Narzissen kehrten langsam die Schafe zurück. Als "grasende Naturschützer" sollen sie nun die Vollbesetzung einer Naturwiese in die Kulturlandschaft zurückbringen: Orchideen, Hummeln und Schmetterlinge.

Reisende, die derzeit in der Eifel unterwegs sind, staunen mitunter nicht schlecht, wollen sie sich hier an Wegweisern orientieren: Nach Trier oder Aachen, nach Lüttich oder Luxemburg werden sie schon auch geleitet - viel öfter steht auf den Schildern aber einfach nur "Narzissen". Etliche "Narzissenparkplätze" wurden eingerichtet, auf denen freilich keine Osterglocken parken, sondern tausende Wanderer, die in diesen vier Wochen auf "Narzissenwegen" an "Narzissenprozessionen" teilnehmen. Am Wochenende sind oft so viele unterwegs, dass so mancher Pfarrer neidisch werden könnte, wenn er an die schwindenden Teilnehmerzahlen bei seiner Fronleichnamsprozession denkt.

Bliebe nur noch eine Frage zu klären, die den Österreicher als gelernten Abgrenzler zum Deutschen interessiert: So ein Narzissenfest wie im Ausseerland haben die in der Eifel aber nicht? Doch, doch. Allerdings gleicht jenes in Monschau - heuer am 26. April - eher einer lammfrommen Prozession. Denn abgeerntet wird das Goldene Meer nicht mehr, seit Loki Schmidt die Wogen im Fichtenkonflikt glättete und die Osterglocken hier wieder den Frühling einläuten. (Christoph Wendt, Rondo, DER STANDARD, 18.4.2014)