Die Kremser Fußgängerzone ist um eine Vitrine reicher, in der getrommelt wird. Die Idee stammt von Dries Verhoeven.

Foto: David Visnjic

Krems - Das Mitmachtheater der 1970er hat eine nächste Generation gezeugt: die partizipatorische Performance. Seit mehr als einem Jahrzehnt wächst diese "Youngster"-Form der Kunstaufführung mit Publikumsbeteiligung heran. Jetzt, so jedenfalls stellt es das Donaufestival in Krems dar, hat sie ihre Pubertät erreicht.

Die Erscheinungen der boomenden Erlebnis-Performance sind variantenreich - auch in ihrer Qualität. Aufschlussreich wird es vor allem, wenn dem Publikum die eigene Involviertheit nicht ganz klar ist. Das ist definitiv bei dem Projekt Ceci n'est pas ... des Theatermachers und bildenden Künstlers Dries Verhoeven der Fall: Die Kremser Fußgängerzone ist um eine Vitrine bereichert, in der bis Ende des Festivals täglich Performer-Figuren erscheinen.

Unter dem Titel Ceci n'est pas de l'art - René Magrittes berühmtes Bild Ceci n'est pas une pipe aus den 1920ern lässt grüßen - trat ein uniformierter Trommler auf, der mit zwei Hämmern seine Trommel zerschlug. Anderntags machte ein hochschwangerer Teenager Beckenübungen in einem Haufen bunter Bälle: Ceci n'est pas une mère. Andere, auch provokantere, Motive folgen, darunter ein spärlich bekleideter Mann mit einem Mädchen im Bikini auf dem Schoß (Ceci n'est pas de l'amour). Oder: eine Frau mit Gesichtsmaske, die auf einem Berg von Patronenhülsen sitzt und eine Schusswaffe lädt (Ceci n'est pas le futur). Teil des Werks, dessen einzelne Akte ganz konkrete Schwachstellen im gesellschaftlichen Diskurs thematisieren, sind natürlich die Reaktionen des Publikums.

Anders als bei Verhoeven können die Besucher des "Human Zoo" der Gruppe God's Entertainment mit den dort in vergitterten Verschlägen ausgestellten Menschen - von einer Alleinerziehenden über einen Tagelöhner bis hin zu einer Sexworkerin - sprechen. Das Publikum hat diese Gelegenheit in der Installation auf dem Messegelände, Halle 1, ausgiebig zur Solidarisierung genutzt. Besonders beliebt waren der Punk, die Obdachlosen und der Straftäter. Das Kommunizieren mit den musealisierten Randgruppen-"Exponaten" verhilft offensichtlich zu einer Art Absolution. Besonders das kunstaffine Publikum vergewissert sich durch demonstrative Zuwendung seines reinen Gewissens. Die Vertreter von Randgruppen werden als Menschen wie du und ich behandelt. Sie können aber auch gefüttert werden. Und es gibt Audioguides, Führungen und einen Souvenirshop. Dieses Zuviel ist als Spiel mit dem Zwiespalt kalkuliert, in dem sich alle befinden, die zwar über die Abgründe in Demokratien Bescheid wissen, sich aber nicht politisch engagieren.

Für immer zusammen

Die Teilnahme an einem Livekunstwerk ersetzt oder ergänzt dessen Lektüre durch das direkte Erlebnis. Während Dries Verhoeven und God's Entertainment trotzdem für Distanz zwischen Performern und Publikum sorgen, versucht es Choreograf Jeremy Wade in Together Forever mit Gruppentherapie. Den Besuchern werden intime Fragen gestellt, und sie müssen an einem Maibaumbänder-Tänzchen teilnehmen, bei dem sie einander körperlich näherkommen. Es wird kuschelig nach Plan. Und wehe, die Gruppe folgt den Anweisungen nicht. "Can you fucking shut up!", kommandiert Wade dann.

Sobald das Publikum schließlich an Tischen zusammensitzt und sich in Paarkonstellationen gegenseitig mit garantiert gesundem Essen füttern muss, ist klar, dass hier Gemeinschaftlichkeit über Regressionsrituale herbeigeschwindelt wird. Zu dumm, dass totalitäre Regimes in ihren Propagandaveranstaltungen ähnliche Strategien der Entmündigung anwenden. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 28.4.2014)