ORF-Chef Wrabetz stellte sich am Sonntag als Gratulant ein.

Foto: fischer

In Schwechat wurde Wurst begeistert empfangen.

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Kopenhagen/Wien - Wären da nicht die vielen Regenbogenfahnen gewesen, man könnte durchaus von Länderspielatmosphäre sprechen. Tröten, Sprechchöre, Konfettiregen und natürlich aufgeklebte und -gemalte Bärte boten die Conchita-Fans auf, die sich zu hunderten am Flughafen Wien-Schwechat eingefunden hatten, wo die Song-Contest-Gewinnerin Sonntagmittag landete.

Selbst die Dauerbeschallung der Ankunftshalle mit "Rise Like A Phoenix" hatte jemand organisiert.

STANDARD-Mitarbeiter Thomas Rottenberg hielt die Szene bei der Ankunft am Airport auf Video fest:

Mit einem großen Transparent empfing die Heimatgemeinde des Travestiekünstlers Tom Neuwirth, Bad Mitterndorf, ihren neuerdings berühmtesten Bürger. Einige hatten noch schnell T-Shirts mit einer gephotoshoppten Variante der Ortstafel produziert: Die steirische 3000-Seelen-Gemeinde wurde am Sonntag zu "Bart Mitterndorf".

Doch viele Autogrammwünsche blieben unerfüllt, dutzende Blumensträuße und Kuscheltiere konnten nicht den Besitzer wechseln. Ein riesiger Pulk von Kamerateams und Fotografen trennte Conchita Wurst - flankiert von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz und Manager René Berto - von ihren Fans. Schnurstracks marschierte der Tross in ein Hotel gegenüber der Ankunftshalle des Flughafens, wo die Song-Contest-Gewinnerin schlagfertig die immergleichen Fragen von Journalisten beantwortete.

"Hysterisch gepackt"

Wann sie ihren Sieg realisiert habe? "Irgendwann nächste Woche." Was sie vergangene Nacht gemacht habe nach Ende der Feierlichkeiten? "Hysterisch gepackt." Wie die Sendung für sie war? "Ich habe 80 Prozent der Zeit geheult." Und ob sie jetzt gegenüber ihren Kritikern eine gewisse Genugtuung verspüre? "Nein, ich spüre nur Freude."

Beim Song Contest 2015, der am 16. Mai an einem noch zu suchenden Ort stattfinden wird, da will Conchita Wurst "ganz entspannt" singen - und vielleicht noch mehr: In der Nacht zum Sonntag, bei der offiziellen Eurovision-Pressekonferenz, brachte sie sich bei ORF-Fernsehdirektorin Kathi Zechner gleich als Moderatorin ins Spiel, denn: "Ich hab mir gedacht, vor all den Journalisten kann sie nicht Nein sagen.".

Klarer Platz eins

Das scheinbar Undenkbare war zuvor wahr geworden: Die Punkte flogen ihr zu wie die Herzen. 290 waren es am Ende, 13 Nationen verliehen ihr die Höchstpunktezahl. Damit siegte Conchita Wurst am Samstag beim 59. Eurovision Song Contest in Kopenhagen. Ihre divenhaft dargebrachte Ballade "Rise Like A Phoenix" war am Ende nicht zu schlagen gewesen.

Der Saal tobte. "Jetzt hot uns die den Schas g'wunnan", entwich es dem ORF-Kommentator Andi Knoll. Auf den Plätzen zwei und drei landeten die Niederlande (The Common Linnets mit "Calm After The Storm", 238 Punkte) und Schweden (Sanna Nielsen mit "Undo", 218 Punkte). Für Österreich ist es erst der zweite Sieg, erstmals errang ihn Udo Jürgens 1966 mit "Merci Chérie".

Acht Punkte von der Ukraine reichten Conchita, um vorzeitig als Siegerin festzustehen. Der 25-jährige Thomas Neuwirth, der als vollbärtige Diva Wurst auftritt, weinte vor Rührung, gab sich dankbar und war kurz sprachlos.

Anfeindungen

Die Erkenntnis "Viel Feind', viel Ehr'" bewahrheitete sich. Der Sänger und Travestiekünstler war im Vorfeld des Bewerbs wegen seiner Homosexualität Anfeindungen aus konservativen und kirchlichen Kreisen ausgesetzt gewesen, besonders aus Russland, Weißrussland und Armenien - und sogar von Mitbewerbern, wie dem auf Platz vier gelandeten Armenier Aram MP3.

Und hierzulande umarmte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache den Kabarettisten Alf Poier, nachdem dieser Wurst in einem Interview als "künstlich hochgezüchtetes Monster" bezeichnet hatte.

"Das ist das Ende Europas"

Auch nach dem siegreichen Auftritt von Conchita Wurst gab es in Russland heftige Reaktionen. Das Ergebnis zeige "Anhängern einer europäischen Integration, was sie dabei erwartet – ein Mädchen mit Bart", schrieb Vizeregierungschef Dmitri Rogosin am Sonntag im Kurznachrichtendienst Twitter. Der nationalistische Abgeordnete Wladimir Schirinowski sagte Europa gar den Untergang voraus.

"Unsere Empörung ist grenzenlos, das ist das Ende Europas", sagte Schirinowski, der in der Staatsduma als Fraktionsvorsitzender seiner Liberaldemokatrischen Partei Russlands (LDPR) amtiert, im russischen Fernsehen Rossija. "Da unten gibt es keine Frauen und Männer mehr, sondern stattdessen ein Es", ergänzte der Politiker und fügte hinzu: "Vor fünfzig Jahren (sic!) hat die Sowjetarmee Österreich besetzt, und wir waren bis 1955 dort. Es war aber ein Fehler, dem Land die Freiheit zu geben. Wir (unsere Truppen, Anm.) hätten dortbleiben sollen." Er bezog sich auf die Besatzungszeit in Österreichs Osten nach dem Zweiten Weltkrieg.

"Wir sind nicht zu stoppen"

Neuwirth hatte die Anfeindungen offenbar gelassen ertragen und lächelte als Siegerin Conchita Wurst das Lachen jener, die zum Schluss lachen. Und sie nutzte die Aufmerksamkeit am Abend des Song Contest sogleich, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auszurichten: "Wir sind nicht zu stoppen!"

Damit spielte sie auf den menschenverachtenden Umgang mit Homosexuellen in Russland an. Wurst wurde im Zuge des Bewerbs und des ihn begleitenden medialen Geläuts zu einem Symbol der Toleranz. Dieses Anliegen steckt bereits in ihrem Künstlernamen Wurst, der vermitteln will, dass es eben wurst sein sollte, welche sexuelle Orientierung jemand lebt, wie er oder sie sich kleidet.

Ukraine versus Russland

Selbst der Ukraine-Konflikt spiegelte sich wider. Die russischen Tolmatschow-Zwillinge wurden bei der Punktevergabe immer dann ausgepfiffen, wenn Russland eine hohe Punktezahl erhielt. Starken Applaus gab es für die ukrainische Vertreterin Maria Jaremtschuk, die mit dem Liedchen "Tick-Tock" angetreten war. Am Ende landete die Ukraine vor Russland auf Platz sechs.

Conchita Wurst riss weniger Gräben auf, als sie Brücken zu Ländern baute, die Österreichs Beiträgen nicht nur aus künstlerischer Sicht traditionell kritisch gegenüberstehen. Slowenien vergab wie Israel zwölf Punkte, und selbst Deutschland, beim Song Contest meist ein kaltherziger Nachbar, schnitt sich sieben Punkte aus dem Herzen, Mütterchen Russland immerhin fünf.

Das Medienecho und die Reaktionen in den sogenannten sozialen Netzwerken sind durch die Bank positiv. Auch Bundespräsident Heinz Fischer gratulierte via Facebook.

Lediglich konservative Medien wie solche der Türkei ignorieren den Ausgang des Song Contest. Das egalisierten Tweets: In drei Stunden verzeichnete Twitter fünf Millionen Tweets zum Song Contest. Und im Netz wuchs vielen Sympathisantinnen und Sympathisanten über Nacht ein Vollbart. Wursts bärtiges Antlitz wurde in Ikonen montiert und Jesus oder Kaiserin Sisi auf die schmalen Schultern gesetzt. Mal sehen, wie lange die Euphorie anhält. (Andrea Heigl, Karl Fluch, DER STANDARD, 11.5.2014)