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Gartenzäune sind okay, solange man über sie hinweg kommunizieren - oder auch nur spechteln kann.

Foto: Corbis / Philip Harvey

Der britische Geograf Jay Appleton war bestimmt nicht in der Pötzleinsdorfer Cottage spazieren, als er seine Prospect-Refuge-Theorie entwickelte. Sie besagt, dass die Menschen im Zuge der Evolution ganz bestimmte ästhetische Vorlieben entwickelt hätten, was die Ausstattung ihres Heims betrifft. Unsereins homo sapiens sapiens, so Appleton, bevorzuge Wohnorte, von welchen wir einen unverstellten Blick hinaus ins weite Land hätten.

Das böte den Vorteil, Feinde schon früh ausmachen zu können und so weniger Zeitdruck zu haben, um Handlungsoptionen abzuwägen, Entscheidungen zu fällen und schlussendlich diesen Folge zu leisten. Aber es ist nicht nur prospect, also Ausblick allein, nein, auch refuge: Schutz muss die Niederlassung bieten, Rückzugsmöglichkeiten, um selbst nicht gesehen zu werden. Wir wollen also spechteln, aber dabei nicht erwischt werden - so in etwa könnte man die Prospect-Refuge-Theorie zusammenfassen.

Zentren der Kommunikation

Der homo sapiens poetzleinsdorferiensis tickt da aber anders oder hatte halt seinerzeit andere Selektionsbedingungen. Denn er kastelt sich ein. Er setzt grüne Hecken rund um seine Behausungen, die so dicht wachsen, dass nicht einmal Captain Kirks Phaser in Stufe 2 diese durchdringen könnte. Nur von ersten Frühjahrsspaziergängen weiß ich, wie schön diese nun den Blicken verborgenen Gärten sind. Da waren die Hecken noch bar jeder Belaubung, und man sah Menschen bei der Gartenarbeit, sah schöne Frühjahrsbeete, konnte sich Anregungen holen, blieb für einen Tratsch über Dickmaulrüssler kurz stehen oder blickte verstohlen weg, wenn man zu Intimes bezeugen hätte können.

Gerade Gärten sind Zentren der Kommunikation. Meist der mit einem selbst, aber gerne auch jener mit Passanten, die lobend stehen bleiben, die die Pracht zu schätzen wissen, die mit Kennerblick die darbende Nina Weibull beseufzen und Tipps geben, in welcher Gärtnerei das Kilo Surfinien gerade sehr wenig koste. Was nützt die ganze Pracht, wenn ich sie wegsperre? Wenn ich sie hinter Liguster-, Kirschlorbeer- oder gar Thujenhecken verberge? Und wie unbefriedigend ist es andererseits (und zwar buchstäblich!), zu wissen, dass draußen am Zaun Menschen vorbeigehen, ohne erkennen zu können, wes Habitus sie sind?

Strategien für und gegen das Spechteln

Das passt doch vorn und hinten nicht zusammen. Leute, lest Euren Appleton, reißt die Hecken nieder und gebt die cottageoise Pracht Eurer Gärten frei! Für den Refuge-Aspekt kann man ja auch gewitzte, gärtnerische Lösungen entwickeln. Man schiebe seine Liege unter die Hängebirke, verfrachte den Lieblingslehnstuhl unter die lang herabhängenden Blätter der Weide, oder bastle sich aus immer kleiner werdenden Torbögen, Ramblerrosen und Clematen einen höhlenartigen Ort des Rückzugs, von dem aus man unbeobachtet aus dem Garten hinausspechteln und den Passanten hinterherspucken kann.

Die schönste Form des Rückzugsortes habe ich in Rossatz gesehen. Da ließ der Bewohner eine große Fläche Rasen ungemäht stehen und stellte da seinen Liegestuhl hinein. Niemand konnte ihn sehen, und wenn er vom Nickerchen erwacht die Augen öffnete, sah er bunte Blumen sein Blickfeld abgrenzen, Bienen tanzen und zentral einen azurblauen Himmel mit weißen Wattewolken, auf denen Heidi jodelnd über die Länder zog. Und: Jeder Garten hat uneinsehbare Winkel, in denen man dann all die Sachen machen kann, die niemand sehen soll. Aber Vorsicht! Hören kann man sie eventuell trotzdem. Also, seid einsichtig und gewährt Einsicht! (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/05/08/2011)