Jetzt oder nie: Über das Leben nach Nokia erzählen Barbara Fürchtegott, Günter Löffler, Eduard Masser und Mikko Stout (v. li.).

Foto: Regine Hendrich

Seit Mai ist die Handysparte von Nokia Geschichte. „Es war absehbar“, sagt Mikko Stout heute. Von 1996 bis 2012 war er bei Nokia Österreich tätig, zuletzt als Project Manager für Services and Software Programs. Richtig wahrhaben wollte er es aber nicht.

„Natürlich hat man sich überlegt, was man machen könnte, wenn es Nokia einmal nicht mehr gibt. Aber wenn ich nicht gekündigt worden wäre, wäre ich nicht gegangen“, sagt er. Heute verkauft er Hollandräder in seinem Geschäft, dem Stadtradler, in der Wiener Karlsgasse. Und auch wenn er von den Einnahmen noch nicht leben kann und vom Einkommen seiner Frau abhängig ist, ist er dennoch zufrieden. „Für mich stellte sich damals die Frage: Kann ich mich noch einmal motivieren, das Gleiche bei einem ähnlichen Konzern zu tun?“ Die Antwort darauf war klar.

Langer Prozess

Eduard Masser hat bereits 2010 das Unternehmen aus freien Stücken verlassen. Leicht sei ihm der Abschied aber dennoch nicht gefallen. „Damals war noch nicht absehbar, wohin es mit Nokia weitergehen werde, aber es wurde für langjährige Mitarbeiter ein großzügiges Package angeboten“, sagt er. Und nach 15 Jahren bei Nokia stellte er sich damals die Frage, was er die nächsten 15 Jahre machen wolle.

„Die Entkoppelung war ein langer Prozess und nicht einfach“, sagt er. Seit der Gründung von Nokia Austria war er dabei. Als Marketingverantwortlicher für Österreich und der Schweiz baute er zuerst die Marke Nokia auf, zuletzt war er als Manager Material Return Center im Konzern tätig. Die entscheidende Frage für ihn war: „Will ich die nächsten 15 Jahre das Gleiche im Konzern machen, oder beginne ich mit etwas ganz Neuem?“

Neustart

Er hat sich für etwas ganz Neues entschieden - auch das war eher ungeplant. Denn eigentlich sah er im Bereich Coaching seine berufliche Zukunft. Aber schon nach zehn Minuten Einführungsveranstaltung zur Ausbildung war ihm klar, diesen Weg nicht einschlagen zu wollen. In einen technischen Konzern wollte er aber auch nicht mehr. Letztendlich entschied er sich für den Schritt in die Selbstständigkeit. „Schon in meiner Jugend wollte ich einer Tätigkeit im Import/Export-Bereich nachgehen“, sagt Masser. Im Jänner 2011 gründete er mit Wines of the World einen internationalen Weinhandel.

Im Jänner 2013 hat Günter Löffler Nokia Austria verlassen. „Im Februar 1997 hab ich dort als Controller begonnen, damals war es eine tolle Aufbruchsstimmung, dann wurde von der Führung einiges verschlafen“, erzählt er. Als die ersten Abschiedspakete für Mitarbeiter geschnürt wurden, war es auch für ihn Zeit für eine Veränderung. Von einem Freund wurde ihm ein Würstelstand am Reumannplatz angeboten, und er ergriff diese Chance. „Ich habe die gute Zeit bei Nokia erlebt, aber wie es zum Schluss war, ist schwer zu beschreiben“, sagt er. Der Abschied sei ihm daher auch nicht schwergefallen, zum einen, weil mit ihm auch 20 Kollegen gegangen sind, und zum anderen, weil er bereits voller Tatendrang für sein neues Geschäft war.

Auf Netzwerke zurückgreifen

Barbara Fürchtegott sei der freiwillige Abschied zwar nicht leicht gefallen, „aber irgendwie habe ich gespürt, dass es nach zwölf Jahren reicht“, sagt sie. Zwei Jahre hat sie mit dem Gedanken gespielt, ehe die Entscheidung zu gehen 2010 umgesetzt wurde. Bei Nokia war sie anfangs für die Öffentlichkeitsarbeit für Österreich und die Schweiz verantwortlich, 2010 waren es 15 Länder ohne zusätzliche Ressourcen. „Das war eigentlich nicht mehr zu schaffen.“ Heute ist sie selbstständig als Coach, PR- und Organisationsberaterin tätig. Und viele ihrer Kunden würden über ihr Nokia-Netzwerk kommen.

Trotz Branchen- und Aufgabenwechsel können sie von ihrer Berufserfahrung profitieren. „Ich erstell noch immer Powerpoint-Präsentationen, obwohl ich mir am Anfang gedacht habe, das werde ich sicher nie wieder machen“, sagt Löffler. Aber um Verkaufsanalyse, Umsätze oder Feiertage zu koordinieren, sei Powerpoint einfach praktisch, ergänzt er.

Von Erfahrungen profitieren

„Es sind viel mehr Sachen, die im neuen Berufsleben nützlich sind, als man im ersten Moment denkt, merkt Stout an. Controlling, Marketing, aber auch der Internetauftritt sind für ihn solche Bereiche. „Mit unserer Berufserfahrung arbeiten wir heute sicher effizienter, aber das ist lange keine Erfolgsgarantie. Erfahrungen helfen insgesamt, flexibel zu sein“, ergänzt Masser. Optimismus und Selbstbewusstsein brauche es dafür aber auch. Trotz großer Eigenverantwortung in ihrem alten Beruf sei es eine neue Erfahrung, dass man bei Problemen keine Strukturen hat, auf die man zurückgreifen könnte. „Den Systemadministrator, der bei Computerproblemen sofort zur Stelle war, gibt es jetzt nicht mehr“, sagt Stout.

Das „Jetzt oder nie“ war bei jeden Einzelnen der wichtigste Treiber für die berufliche Neuorientierung. „Wenn ich es jetzt nicht probiere, dann tut es mir später leid“, sagt Masser. Das Erfreulichste an seinem neuen Berufsleben sei die viele Zeit, die er jetzt mit seiner Familie verbringen könne. „Ich arbeite von zu Hause, und meine Reisetätigkeit ist auf ein Minimum beschränkt“, ergänzt er. Die ständigen Veränderungen im Konzern und das Aufmachen von Strukturen hat die Mitarbeiter immens strapaziert. „Wir sind andauernd in irgendwelchen Meetings oder bei unstrukturierten Telefonkonferenzen gesessen. Das gibt es jetzt zum Glück nicht mehr“, so Masser.

Scheitern einkalkuliert

Was sie am meisten vermissen, sind die Kollegen. „Das war schon eine gute Gruppe, da haben sich Freundschaften - nicht nur zu den Kollegen - ergeben“, sagt Löffler. Auch das regelmäßige Einkommen sei etwas, was beruhigend war, gibt Stout zu.

Trotz hoher Motivation werde ein Scheitern einkalkuliert. „Man muss auch ehrlich zu sich sein und sich eingestehen können, wenn die Geschäftsidee, so wie sie ist, nicht aufgeht“, sagt Masser. Allzu intensiv möchte sich aber Stout mit diesem Gedanken noch nicht auseinandersetzen. „Ich weiß, ich kann aus dem Stadtradler noch viel mehr herausholen, und ich bin irrsinnig motiviert, weil ich genau das tu, was ich auch wirklich tun will.“ (Gudrun Ostermann, DER STANDARD, 24./25.5.2014)