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1982 wünschte sich Nicole (ohne Bart) aus Deutschland beim Eurovision Song Contest "Ein bisschen Frieden". 2014 rang Conchita Wurst der Welt mit "Rise like a Phoenix" ein bisschen Toleranz ab. Die Konsequenz: Ein Termin beim Bundeskanzler.

Foto: APA/EPA/JOERG CARSTENSEN

Europa kann richtig lustig sein. Als das deutsche Dauerwellenwunder Nicole mit dem 1982 besonders zeitgeistigen Lagerfeuergebet Ein bisschen Frieden den Eurovision Song Contest gewann, veröffentlichte die Deutsch Amerikanische Freundschaft als Reaktion das Lied Ein bisschen Krieg. Angesichts des allgegenwärtigen Wettrüstens in Ost und West war derlei Untergangszynismus ein gängiges Mittel, um in der musikalischen Ära des Postpunk eine gute Zeit zu haben.

So nah am Leben dran war der Song Contest, und um den soll es hier als europäisches Phänomen gehen, selten bis nie. Doch im Europa des Kalten Kriegs erhob damals gerade das Blümchen der Friedensbewegung sein Köpfchen, aus dem in weiterer Folge die grünen Parteien und mit ihnen ein neues europäisches Bewusstsein entstehen sollten.

Nicoles offenherziges Flehen sprach nicht nur den deutschen Schunklern aus dem Herzen, sondern Menschen in ganz Europa. Auch wenn wegen des Singsangs die Milch brach, was ist das schon im Vergleich zum drohenden Weltfrieden?

Seit 1956 gibt es dieses Wettsingen. Im Nachkriegseuropa war es ein Symptom für die Überlegung, lieber doch ein friedliches Miteinander zu suchen, anstatt sich weiter auf die Köpfe zu hauen. Was gibt's da Schöneres, als zu musizieren, sich gemeinsam einfachen Zerstreuungen hinzugeben. Zwar widerspiegeln sich in der Punktevergabe bis heute alte nationale Rivalitäten (Österreich versus Deutschland), doch derlei Scharmützel wurden von einem größer werdenden Teilnehmerfeld meist ausgeglichen.

Das jährlich abgehaltene Schlagertreffen konnte damals noch Karrieren befördern, zur belächelten Spaßveranstaltung wurde es später. Fast alle europäischen Länder haben in ihrer Geschichte am Contest teilgenommen. Nur Liechtenstein gelang das trotz Bemühungen nicht, der Vatikan zeigt sich diesbezüglich bis heute ambitionslos.

Nach dem Ende des Kalten Krieges öffnete sich der Song Contest den jungen und alten Ländern des Ostens, das Teilnehmerfeld vergrößerte sich. Neu entstandenen und gerade erst befreiten Nationen bot er eine Möglichkeit, ihren jungen Patriotismus vor großem Publikum auszustellen.

Seit damals gilt der Song Contest immer ein wenig als Stimmungsbarometer und Gradmesser dafür, wie sehr die Mauer in den Köpfen der Menschen noch besteht. Gleichzeitig offenbarte sich in den ersten Jahren der Aufholbedarf in Sachen Popkultur in Osteuropa. Dieser Rückstand ist mittlerweile egalisiert, die Musik ist da wie dort meist gleich schlecht.

Ohne die permanen- te Atombombendrohung über dem Haupte, zog in den 1990ern die endgültige Irrelevanz in den Contest ein. Er schien nur noch mit den Mitteln der Satire ertragbar zu sein. Das besorgten hierzulande die Moderatoren Christoph Grissemann und Dirk Stermann auf FM4.

Wegen seiner Mischung aus Glamour und Trash etablierte sich der selbst in Asien, den USA und Australien Fans aufweisende Contest zu einem Feiertag der homosexuellen Communitys, die ihn mit großer Emphase begleiten. Elend und Triumph sind in dieser Dichte sonst nicht so leicht zu finden, Betonung auf Elend.

Es erfordert also schon ein gehörig Maß an Dummheit, aus diesem wiederkehrenden Kirtag der Belanglosigkeit den Verfall irgendwelcher Werte ablesen zu wollen und dies öffentlich kundzutun. Aber gut, Fundamentalisten und eingleisiges Denken gehören zusammen wie Gott und der Teufel. Gezeigt hat das der Sieg des österreichischen Beitrags von Conchita Wurst vor zwei Wochen.

Die falsche Dame mit Bart wurde gerade auch wegen der Anfeindungen, denen sie im Vorfeld ausgesetzt war, zur Siegerin gekürt. Man soll das nicht überbewerten, denn, wie gesagt, es ist nur der Song Contest. Es gab in Europa aber schon entmutigendere Entscheidungen. (Karl Fluch, DER STANDARD, 24.5.2014)