"Watch Dogs" ist für Windows, PS4, Xbox One, PS3 und Xbox 360 erschienen, eine Umsetzung für Wii U folgt. Alterseinstufung: ab 18 Jahren (USK). UVP: 49 Euro (PC) bis 59 Euro (Konsole)

Foto: Ubisoft
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Wie passen der persönliche Rachefeldzug eines ehemaligen Verbrechers und der Kampf gegen einen privatisierten Überwachungsstaat zusammen? Wie auch immer Ihre Erklärung lauten mag, “Watch Dogs” liefert keine glaubwürdige Antwort auf diese Frage. Die Geschichte des Hackers Aiden Pearce, dessen dubiose Vergangenheit seiner kleinen Nichte das Leben kostete, und die Verstrickung in einen Verschwörungskrimi scheitern an der Qualität des Skripts, das den Protagonisten fast komikhaft als polymorphe Persönlichkeit darstellt und sich bei jeder Gelegenheit billiger Klischees bedient - die gepiercte Hackerin mit der Undercut-Frisur inklusive.

Betrachtet man die Story jedoch nicht als tiefgründigen Hacker-Thriller im Windschatten aktueller Ereignisse wie den Snowden-Leaks, sondern als Setting für einen Sandkasten der Anarchisten, wird man am nicht ganz runden Debütwerk Ubisofts jüngster Blockbusterserie seine Freude haben.

Spielplatz der Voyeure

Das Schlaraffenland für Unruhestifter heißt Chicago, oder genauer gesagt eine paranoide Zukunftsvision der US-Stadt. Um die Verbrechensrate zu bekämpfen, wurde über eine private Sicherheitskonzern die gesamte Infrastruktur an ein zentrales Computersystem namens ctOS angeschlossen, mit dem sich die Privatssphäre der Bürger wie Glas durchblicken lässt. Es ist eine lebendige Stadt, die frei erkundbar ist und mit jeder Menge Aktivitäten aufwartet. Rächer Aiden missbraucht auf der Suche nach den Hintermännern, die seine Verwandte auf dem Gewissen haben und aus dem Land of the Free ein orwellsches Dystopia machen, jedes Schlupfloch im System. Per Handytastendruck lassen sich bei Verfolgungsjagden Ampeln umschalten oder Straßenblocker ausfahren und so Karambolagen verursachen und beim Infiltrieren verfeindeter Gebäude Kameras zur Überwachung und Sicherungskästen zur explosiven Überladung hacken.

Von allem sehr viel

Ubisofts Entwickler haben sich während ihrer fünfjährigen Schaffungsphase von allen populären Vertretern des Open-World-Genres viel abgeschaut und eine zumindest über die rund dreißigstündige Kampagne abwechslungsreiche Mischung aus spektakulären Schießereien mit Gangstern und Gesetzeshütern, Verfolgungsjagden, Autorennen, Schleichpassagen und entspannenden Minigames wie Schummelpoker kreiert.

Dies veranschaulichen am besten Missionen, bei denen man in die ctOS-Zentrale eines Bezirks einbrechen muss, um Zugriff auf lokale Telekommunikationsnetze zu erhalten. Ähnlich wie bei “Assassin’s Creed” schaltet man so weitere Aktivitäten frei. Dabei ist es einem selbst überlassen, den lautlosen Weg über Kameras und Hinterhalte wie bei einem “Splinter Cell” oder die bleihaltige Konfrontation wie bei einem “Far Cry” zu wählen. Hacks funktionieren sowohl in der Offensive als auch in der Defensive und erlauben so einen fließenden Übergang zwischen den Spielweisen. Es ist im Endeffekt nur ein Tastendruck zur rechten Zeit, um einen Widersacher hochgehen zu lassen oder einen Auffahrunfall zu provozieren, doch im Eifer des Gefechts ist es neben Schießen und Fahren eine weitere Ebene der Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung, die auch für viel Schadenfreude sorgen kann.

Ernst aber nicht immer glaubhaft

Die Offenheit des digitalen Chicagos mit schimpfenden Passanten, ängstlichen Verkäufern und dubiosen Verkehrsteilnehmern drängt einen Vergleich mit dem Letztjahreshit “Grand Theft Auto 5” auf. Die Werke teilen sich die Liebe zum Detail, aber legen ihre Schwerpunkte gänzlich anders. “Watch Dogs” nimmt sich und seine beklemmende Welt sehr ernst, was sich nicht zuletzt in der Gewaltdarstellung widerspiegelt. Die Hollywood-artige Action Rockstars Satire wird gegen eine realistischere Härte getauscht, die sich in Form unbequem anzusehender Sterbeanimationen und lebensnaheren (nicht physikalisch gerechten) Autounfällen niederschlägt. Laufende Gegner werden durch Schrotmunition sprichwörtlich aus den Schuhen gehoben, Fahrzeuge brennen aus anstatt sofort zu explodieren.

Getroffen wird dieser ernstere Ton nicht immer richtig. Zu platt, zu oberflächlich wirken manche Charaktere und Handlungsstränge, um dieses Drama mit Leib und Seele mitleben zu können. Aiden ist beispielsweise selbst ein Krimineller und primär an den Schurken interessiert, die seine Familie peinigen. Doch trotz seiner ganz klaren persönlichen Motive mimt er quasi in seiner Freizeit den Helden und rettet Passanten vor eifersüchtigen Ehemännern und Erpressern. Man erhält Abzüge bei seinen Erfahrungspunkten für jeden getöteten Zivilisten, aber Pluspunkte für Kopfschüsse bei Widersachern und Gesetzeshütern. Es wirkt so, als wollte Ubisoft die Tristesse der Zukunft malen und sich zwischendurch dann doch dazu entschieden hat, ein paar altbewährte Gamingregeln zu befolgen. Dabei hätte man bei einem so umfangreichen Werk jede Menge Raum gehabt, auf heiße Luft und Schablonen zu verzichten.

Qualitäten unterspielt

Doch es ist nicht nur die Handlung und die Konsistenz des Setttings, mit denen sich die Entwickler anscheinend schwergetan haben, sondern auch die Präsentation dieser vielschichtigen Fiktion. Beginnt “GTA 5” mit einem Knalleffekt und einer prägenden Einführung seiner Protagonisten und Spielmöglichkeiten, beginnt “Watch Dogs” fast beiläufig mit der Flucht aus einem Stadion und überflutet Spieler gleichzeitig mit der wahnwitzigen Fülle an Funktionen.

Nach fünf oder sechs Stunden im Spiel weiß man es zu schätzen, dass einem im Stil einer Augmented-Reality-Brille sämtliche Informationen zur Umgebung angezeigt werden und, dass man seine Fähigkeiten vom Gadgets-Basteln bis zum Auto-Handling über einen komplexen Erfahrungsbaum ausbauen kann. Oder, dass man über sein Handy nochmals viele weitere Spaßspiele aufrufen kann - wie eine “Carmageddon” ähnliche Amokfahrt oder eine zerstörerische Roboterspinne. Doch das Gros dieser Möglichkeiten schon abzufeuern während man noch damit überfordert ist, die arcadige, aber präzise Fahrweise und die eigenwillige Tastenbelegung (PS4: Nachladen mit L3, kein Springen, Decken mit X, Klettern mit Kreis ...) zu erlernen, wirkt in den Anfangszügen abschreckend.

Technik wechselhaft

Nach einer so langen Entwicklungszeit klingt es vermessen, einem Studio zu wenig Geduld für Feinschliff zu unterstellen. Aber es ist diese Unausgewogenheit, die “Watch Dogs” trotz seines wirklich unterhaltenden Fundaments und seiner innovationen Ambitionen auch technisch unter Wert verkauft. Beeindrucken in der Nacht Regen und Wettersimulationen, enttäuscht die konstruierte Szenerie bei Tag mit matten Texturen genauso wie die hölzern animierten Nebencharaktere in Dialogen. Der Verkehr wirkt nicht wie aus einem Guss, sondern auf die durch Hacks auslösbaren, potentiellen Kreuzungsunfälle zugespitzt. Die künstliche Intelligenz setzt manchmal sowohl bei leicht zu überraschenden Gegenspielern als auch bei stupide in die falsche Richtung sprechenden Begleitern aus.

Wer sich an die grandiose Lichtstimmung in “GTA 5” erinnert, wird etwas brauchen, bis er darauf kommt, was “Watch Dogs” Sonnenauf- und untergängen und Scheinwerfern fehlt. Es sind dynamische Schatten. Das mag wie eine Detailbeanstandung klingen, aber bei all den Effekten, denen sich die Designer bedienen, ist es dieses Manko, das Chicago in einigen Einstellungen wie eine Plastikstadt aussehen lässt. “Next-Gen”-Avancen blitzen hingegen bei im Wind raschelnden Bäumen, dem glitzernden Wasser und spektakulären Kolletaralschäden durch.

Cleverer Multiplayer

Derartige Schnitzer sollen aber nicht davon ablenken, dass zahlreiche gute und innovative Einfälle in Untergrund stecken. Abseits der Hacks ist dies vor allem die nahtlose Einbindung von Mehrspielerelementen: Angefangen von chaotischen “Free-Roam”-Begegnungen mit Online-Spielern über klassische Autorennen bis hin zur Sabottage eines Fremden. Letzteres Element ist insofern witzig, da man mitten am Weg zu einer Missions plötzlich von einem anderen realen Spieler gehackt werden kann und diesen dann innerhalb kurzer Zeit ausfindig machen und erledigen muss. Je nachdem auf welcher Seite man steht, kann man für einen erfolgreichen Hack oder eine erfolgreiche Verteidigung Erfahrungspunkte gewinnen und bei einem Scheitern Punkte verlieren. Es amüsiert köstlich, jemanden zu hacken und zuzusehen, wie er wie wild alle Passanten scannt, während man seelenruhig in einem geparkten Auto kauert und auf die Datenübertragung wartet.

Versionsunterschiede

Wer einen leistungsfähigen PC sein Eigen nennt, wird "Watch Dogs" in der höchsten Detaildarstellung genießen können. Ubisoft empfiehlt hierfür einen Rechner mit 3,5 GHz Intel Core i7 3700- oder 4,0 GHz AMD FX-8350-Prozessor, 8 GB Arbeitsspeicher und einer Grafikkarte vom Schlage Nvidia GeForce GT600 oder AMD Radeon HD7000 mit 2 GB Videospeicher.

Unter den Konsolenfassungen sticht die PS4-Ausgabe hervor mit einer 900p-Auflösung und Effekten, die den "High"-Einstellungen am PC entsprechen sollen. Die XBO-Fassung löst mit 792p auf, beide Versionen laufen mit 30 Bildern pro Sekunde. Die Umsetzungen für PS3 und X360 wurden in der Detaildarstellung deutlich reduziert und lösen mit 720p auf.

Fazit

Die gute Nachricht in Chicagos Morgenpost lautet, dass “Watch Dogs” Fundament wirklich viel Unterhaltung bietet und mehr Redestoff als Platz für Worte liefert. Die Stadt ist eine willkommene Abwechslung zu den üblichen Videospielumsetzungen New Yorks und LAs, die Mischung aus harten Schießereien, Schleichen und Hacks ist fast durchwegs geglückt und das ernste Setting bildet einen angenehmen Kontrast zum satirischen “GTA” und Klamauk in “Saint’s Row”. Für eine Produktion dieses Ausmaßes hätte man sich jedoch mehr Gespür für Feinheiten und eine reifere Präsentation erwarten können. Es ist nicht der ersehnte Gamechanger, aber ein gelungener Serienstart. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 29.5.2014)

Trailer: "Watch Dogs"
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Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Das getestete Rezensionsexemplar zu "Watch Dogs" für PS4 wurde von Ubisoft zur Verfügung gestellt.