Foto: H. Corn

Klar, wenn etwas schiefgelaufen ist, wenn wir die Sache verbockt haben, dann will man es am liebsten ungeschehen machen. In der Regel geht das nicht. Das Leben sagt dann: Damit muss du jetzt leben. C’est la vie - für die Nichtfranzosen: So ist das Leben. Vor einen Traualtar zum Beispiel, wer das überhaupt möchte, kann man nur einmal treten. Wenn es dann nicht klappt, würde man meinen: Pech. Die katholische Kirche hat aber, wenn es um Schieflagen in Bezug auf die Ehe, mehr noch um deren Auflösung geht, ein Schlupfloch parat. "Annullare" heißt auf Lateinisch "für nichtig erklären", und so ein "Ehenichtigkeitsverfahren" heißt im Endeffekt, wenn es durch ist, dass diese Ehe nie bestanden hat.

Äußerer Zwang

Die Sache hat Chancen auf Erfolg, wenn einer der Betroffenen nie Kinder wollte, für das katholische Kirchenrecht macht das Sinn, weiters, wenn die Ehe durch äußeren Zwang zustande kam - in Indien kein Problem, bei uns schon - oder wenn einer schon bei der Eheschließung außereheliche Beziehung nicht ausschließt. Keine schöne Sache, da sind wir uns einig. Aber jetzt kommt es: Eine Annullierung geht auch dann durch, wenn jemand nicht in der Lage war, die Tragweite der Handlung zu begreifen. Wer könnte das mit Fug und Recht je von sich behaupten?

Beischlafsunfähigkeit

Es geht noch weiter. Laut päpstlichem Gericht sind auch "Beischlafsunfähigkeit" (lateinisch: impotentia coeundi) und "seelische Eheunfähigkeit" Gründe für eine Ungültigkeit der Eheschließung. Alles eher schwer nachzuweisende Tatbestände. Hier geht es nicht nur um Schief-, sondern auch um Beweislagen. "Drum prüfe, wer sich ewig bindet" (Schiller sagt: Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang). Aber das will die Kirche auch wieder nicht so recht. In Frankreich wurde zum Beispiel eine Ehe annulliert, weil die Braut keine Jungfrau mehr war.

In Österreich werden pro Jahr rund 200 Ehe annulliert, die Kosten kommen in erster Instanz auf ca. 200 Euro. Die Ehe der ehemaligen Ministerin Maria Rauch-Kallat wurde trotz zweier Kinder aus erster Ehe annulliert. Da ging die Sache wohl eher ins Seelische?

Überlegen Sie einmal: Was nie existiert hat, darf auch keine Rechtsfolgen haben, oder? In Italien, im Gegensatz zu uns, wo eine Annullierung auch das bürgerliche Recht betrifft, wäre das ein Weg, um sich nachehelichen Unterhaltsverpflichtungen zu entziehen. Scheidung auf italienisch? Ich will jetzt niemanden auf blöde Ideen bringen oder besser gesagt: bin mir der Tragweite meiner Handlung sicher nicht bewusst. (Mia Eidlhuber, derStandard.at, 22.6.2014)