Harry Dean Stanton geht das Herz auf. Seinen Fans ebenso. Mit 87 veröffentlicht der Mime sein erstes Album: "Party Fiction".

Foto: Omnivore Rec.

Wien - Harry Dean Stanton kann man kennen, muss aber nicht. Wenn man ihn aber einmal für sich identifiziert hat, fällt er einem immer auf. Er ist Schauspieler. Einer der Größten aus der zweiten Reihe. Er hat in über 250 Filmen und Fernsehserien mitgespielt. Darunter befinden sich Klassiker wie Der Pate II, Pat Garrett & Billy the Kid oder Alien.

Seine Fans lieben ihn dafür genauso wie für seine Rollen in weniger bekannten Filmen wie Wiseblood, Two Lane Blacktop, Cockfighter, Repo Man oder Wild at Heart. Man spricht da ohne Scham von Kultfilmen.

Ein solcher beschert ihm 1984 seine erste Hauptrolle. In Wim Wenders Paris, Texas stapfte er als stoischer Travis Henderson durch die Wüste - auf der Suche nach seinem alten Leben, seiner großen Liebe. Der Film war ein internationaler Erfolg, und Ry Cooders atmosphärisches Slide-Guitar-Spiel für den Soundtrack brachte diesem eine Zugladung an Folgeaufträgen ein.

Mit Cooder musizierte der 1926 in Kentucky geborene Schauspieler auf dessen Album Get Rhythm. Er lieh dem Grenzlandseufzer Across the Borderline seine Stimme. Aber schon früher fiel er musikalisch auf. In Cool Hand Luke (1967) sang er an der Seite von Paul Newman das Gospel Just a closer Walk with Thee, mit Kris Kristofferson spielte er in Cisco Pike (1972) den Gitarristen einer Countryband.

Aus dieser musikalischen Schnittmenge stammt die Musik für das späte Debütalbum des heute 87-jährigen Darstellers. Entstanden ist es im Rahmen der Doku Partly Fiction der Schweizer Filmemacherin Sophie Huber, die Stanton darin porträtierte.

Der Hollywoodexzentriker mit Bad-Boy-Image sitzt zu Hause auf seiner Couch und spricht über sein Leben, seine Filme und Musik. Gibt es gerade nichts zu sagen, singt er. Begleitet wird er vom Gitarristen Jamie James, Don Was zupft am Album bei einigen Liedern Bass, Harry Dean flötet durch die Harmonika.

Er interpretiert Fred Neils Everbody's Talkin', Kristoffersons Help Me Make it through the Night, den Gleich-sehe-ich-rot-Klassiker He'll have to Go und andere Songs. Zwölf sind es insgesamt. Seine Stimme klingt überraschend hell, an manchen Stellen bricht sie, zittert ein wenig. Aber das schadet den Liedern nicht, es flutet sie mit Herzblut.

Die Musik ist die große Liebe seines Lebens. Kein Wunder, bei dem Bekanntenkreis. Wenn Bob Dylan einen Charakterkopf für ein Video braucht, läutet bei Stanton das Telefon. Wer singt Jack Nicholson bei einer Ehrung ein Lied von den Everly Brothers? Es ist sein Freund Harry Dean (mit Art Garfunkel). Wer sitzt im letzten Konzert von Roy Orbison ganz vorne? Genau. Und er unterhielt seine eigene Band.

"Alles Teil der Show"

In den 1990ern trat er im Raum von Los Angeles immer wieder mit den Repo Men auf. Diese spielten beherzten Rootsrock, den Stanton mit Gitarre oder Mundharmonika anführte. In dieser Funktion buchte ihn 1999 Nick Cave. Zart beschwipst, unterhielt er im Vorprogramm von Lee Hazlewood das Publikum des von Cave kuratierten Londoner Meltdown Festivals. Inklusive eines Absturzes von der Bühnenkante, den er grinsend mit "It's all part of the show" erklärte, während ihm unedel nach oben geholfen wurde. Perfektion behindert ja doch nur das Gefühl.

Dementsprechend ist Partly Fiction zu hören. "This is all rough, but that's alright", sagt er vor dem ersten Lied und nennt es eine Wohnzimmerprobe, bevor er Orbisons Blue Bayou intoniert. Das schafft er natürlich nicht in der den Himmel küssenden Brillanz des "Big O", dafür ist man live dabei, wenn Harry Dean das Herz aufgeht. Das passiert mehrmals. Auch während Canción Mixteca, dem Titellied von Paris, Texas, einem heimwehkranken Blues, wie Stanton es in den Kommentaren zwischen den Liedern nennt.

Das vielleicht Schönste ist seine Version von She Thinks I Still Care. Ein Lied aus dem Fach des Feindseligen Trennungscountry, dessen Refrain Stanton mit dem Grinsen des ewigen Junggesellen präsentiert. Berühmt gemacht hat den Song der verstorbene Countrystar George Jones, mit dem hat Harry Dean natürlich auch gesungen, damals.

Heute ist er einer der letzten seiner Generation. Das schwingt auf Partly Fiction deutlich mit, viele Stücke behandeln Abschiede und Trennungen und Stantons Interpretationen besitzen die Autorität des Alters. Das lässt an das Spätwerk von Johnny Cash denken, aber man soll Giganten nicht vergleichen. Cash ist tot und Stanton alles egal.

Wie er denn wolle, dass man sich dereinst an ihn erinnere, fragt ihn Sophie Huber in der Doku. Stanton grinst nur und sagt: "It doesn't matter." (Karl Fluch, DER STANDARD, 26.6.2014)