Nein, ein Howdy kommt Gale Wood nicht über die Lippen. Den urtexanischen Gruß bemüht er kein einziges Mal. Zu viel Klischee. Einem echten Texaner, erklärt der Ingenieur, der einst Raketenteile für die Raumfahrtbehörde Nasa konstruierte, einem waschechten Texaner seien andere Dinge wichtiger als eine Floskel. Erstens Schatten, eine Baumkrone zum Schutz vor der sengenden Sonne. Zweitens etwas, woran man sich anlehnen kann, wenn man eine schöne Geschichte erzählt, mit anderen Worten: Gelassenheit. Und drittens ein guter Deal.

Voller Stolz führt der kräftige Mann über seine Ranch im ländlichen Parker County. Wellige Weiden, hinter Maschendraht zwei große Tanks, Vorratsspeicher fürs Fracking. Von einem Erdwall geht der Blick auf einen nahezu ausgetrockneten Tümpel. Gale Wood hofft händeringend auf Regen im dürregeplagten Texas, auf dass sich der Teich wieder fülle. Einmal hat er Wasser daraus für 15.000 Dollar an eine Erdgasfirma verkauft, "ein guter Deal".

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Fracking zieht Glücksritter an
Foto: AP / Brennan Linsle

Mit der Öl- und Gasindustrie haben die Woods schon Geschäfte gemacht, als Gales Großvater Phil einem Wildcatter namens George Mitchell erlaubte, auf seiner Ranch am Walnut Creek Bohrlöcher in die Erde zu treiben. Wildcatter, so nennt man die Branchenzwerge, die ihr Glück auch dort versuchen, wo die großen Konzerne abwinken.

Feilschen um Schürfrechte

Phils Enkel hat vor ein paar Jahren nachzubessern versucht. Die Bohrungen reichten nun bis zur Barnett Shale, einer Schieferschicht 1500 bis 2400 Meter tief unter der Erde. Da wollte er ein Fünftel des Gewinns für sich, nicht bloß die 12,5 Prozent, für die sein Opa die Schürfrechte verpachtete. Daraufhin kramten die Gasmänner, wie sie unter Ranchern schlicht heißen, ein vergilbtes Papier aus den Archiven, unterschrieben von Phil. In dem stand, dass ihre Rechte alles abdeckten, von der Bohrturmspitze bis zum Mittelpunkt der Erde.

Und damit war die Sache abgehakt. "Ich bin nicht gegen Fracking", sagt Wood. Der Rentner versteht sich als Tüftler, Bastler und Erfinder, er ist so technik- und businessfreundlich, wie viele Texaner es von sich behaupten. Auch gegen Fracking in der Nähe von Wohnhäusern hat er eigentlich nichts, anders als Barbara, seine Frau, die einen Stapel akkurat sortierter Zeitungsausschnitte auf den Tisch legt. "Keine Bohrungen in besiedelten Gebieten", sagt Barbara.

Die Fracking-Lauge unterirdisch zu entsorgen, noch dazu in der Nähe von Städten, das sieht Gale ganz klar als Regelbruch. In Texas gibt es achttausend solcher Lager, in denen die Brühe deponiert wird: das Wasser, das man - mit Chemikalien und Sand vermischt - in die Erde gepresst hatte, um die Schieferporen zu öffnen und das Gas freizusetzen, dazu das fossile Wasser aus der Tiefe, das mit nach oben gepumpt wurde. "Sie nennen es Salzwasser", sagt Lynda Stokes. "Ich nenne es Gift, schon wegen der Chemie."

Beben ändern Stimmung

In Reno, einem Dreitausend-Einwohner-Dorf am Rande der Großstadt Fort Worth, hat sich die Stimmung gedreht, seit Erdstöße die Gegend erschüttern. Die Beben erreichen eine Stärke zwischen 2,0 und 3,6 auf der Richterskala. Beim stärksten, im vorigen Spätherbst, hörte Lynda Stokes als Erstes einen Knall, der an ein Flugzeug beim Durchbrechen der Schallmauer denken ließ. Unter bestimmten Bedingungen, hat sie inzwischen gelernt, kann die Schallwelle eines Bebens solche Geräusche verursachen.

Jeder in Reno glaubt zu wissen, was die Erde zum Zittern bringt. Die Entsorgungslager. "Liegt doch auf der Hand", sagt Lynda Stokes. "Sie pressen etwas unter Druck in die Tiefe, das darauf ausgelegt war, Gestein aufzusprengen. Soll mir keiner erzählen, dass sich dort unten nichts tut."

Einst Stahlarbeiterin im Mittleren Westen, ist die wuselige Frau seit sechs Jahren Bürgermeisterin von Reno. In ihrem Versammlungssaal trinken ölgemalte Longhorn-Rinder aus einem idyllischen See. Daneben zieht sich ein millimeterbreiter Riss von der Decke bis zum Fußboden, die Folge eines Bebens. Lynda Stokes wartet auf eine Studie der Railroad Commission, des merkwürdig betitelten Regulierers der Öl- und Gasförderung. Die soll klarstellen, dass Fracking und Erdstöße miteinander zusammenhängen.

Nur, fügt die Bürgermeisterin skeptisch hinzu, "hundertprozentige Beweise wird es nicht geben, hundertprozentig ist ja nie irgendwas". Die Industrie aber dürfte auf absoluter Gewissheit bestehen, zudem könne sie sich die besseren Anwälte leisten, wenn es denn vor Gericht ende. Ein Bohrmoratorium in Reno scheiterte am Widerstand des eigenen Gemeinderats. Man dürfe niemanden daran hindern, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, lautete das Argument.

Fracking-Pionier

Gewiss hat die Vorsicht auch mit der Causa Carrie Baran zu tun, dem Fall einer Texanerin, die ein teures Verfahren gegen Mitchell verlor. Das Wasser, das bei Baran aus dem Hahn kam, roch nach Gas und faulen Eiern. Sie klagte, gemeinsam mit ähnlich Betroffenen, weil der Verdacht nahelag, dass Erdgas aus rostzerfressenen Rohren ins Grundwasser strömte. Mitchell sollte 204 Millionen Dollar Schadenersatz zahlen, er heuerte Spitzenadvokaten an, ging in Berufung - und wurde in zweiter Instanz in allen Punkten entlastet. Ein betagter Zeuge gab zu Protokoll, er habe bereits in den 1920er Jahren gesehen, wie ein Brunnen in Flammen stand wegen des Gases im Grundwasser.

Mitchell, der Fracking-Pionier in den Fußstapfen seines Vaters. Mitchell senior verwendete anfangs ein dickflüssiges Gel, um Risse im Sandstein so zu erweitern, dass Gas leichter herausströmen konnte. Als Mitchell Energy die Stadt Chicago via Pipeline mit Erdgas versorgen durfte, war der Wildcatter ein gemachter Mann. Anfang der Achtziger zeichneten sich Lieferengpässe ab, Mitchell musste neue Lagerstätten aufspüren, um den lukrativen Vertrag mit Chicago erfüllen zu können. Der Durchbruch folgte 1998, als der Ingenieur Nick Steinsberger vormachte, dass anstelle des teuren Gels auch Wasser verwendet werden konnte, um das Gestein aufzubrechen, sogar wirksamer. Kurzum, die Barnett Shale diente als eine Art Labor der Nation, bevor sich die Fracking-Welle fortpflanzte gen Osten, nach Ohio und Pennsylvania.

Pegel gesunken

Gale Woods zeigt die Risse in seinem Haus.
Foto: Frank Hermann

Die Woods beenden ihre Tour am Eagle Mountain Lake, einem Stausee inmitten lauschiger Wälder. Hier haben sie sich vor Kurzem eine geräumige Villa gekauft, es sollte ihr Traumhaus sein. Doch nun sind die Klinker an manchen Stellen gerissen, und unten am Steg hängt ein komfortables Boot sehr, sehr hoch in der Luft. Der Pegel des Sees hat sich bedrohlich gesenkt: Wo früher Wellen ans Ufer schlugen, wuchert Unkraut im Schlamm. Es liegt an der Dürre, aber auch an den gewaltigen Wassermengen, die zu Fracking-Zwecken aus dem See gepumpt wurden. "Wissen Sie, ich stehe auf beiden Seiten des Zauns", zieht Gale Wood nachdenklich Bilanz. "Ich bin beides, sowohl Gasmann als auch Umweltaktivist." (Frank Herrmann aus Fort Worth, DER STANDARD, 4.7.2014)