Vergessene Pionierin: Die Physikerin Berta Karlik erhielt erst 1956 als erste Frau ein Ordinariat an der Universität Wien. Erstes weibliches Vollmitglied der ÖAW wurde sie gar erst 1973.

Foto: ÖAW/P-1358-B

Wien - Vielleicht haben Andreas Gabalier und seine Unterstützer ja doch recht. Dieser Gedanke könnte zumindest all jene beschleichen, die einen Rundgang im Innenhof der Universität Wien machen.

Eine der größten und ältesten Universitäten des deutschsprachigen Raums ehrt da ihre wichtigsten Vertreter mit Denkmälern, 154 an der Zahl. 153 davon, also 99,35 Prozent der Köpfe aus Stein oder Bronze, bilden Männer ab. Die einzige gewürdigte Frau ist keine Forscherin, sondern Dichterin: Marie von Ebner-Eschenbach, die im Jahr 1900 mit einem Ehrendoktorat ausgezeichnet wurde.

Seit 2010 erst gibt es im Arkadenhof des Hauses am Ring selbstkritische Hinweise auf die erstaunlich geringe Rolle, die große Forscherinnen in der "Ruhmeshalle" der gar nicht töchterfreundlichen Alma Mater Rudolphina spielen: Ein überdimensionaler weiblicher Schatten ist quer über den Innenhof in den Boden eingelassen, auf einem Steinwürfel daneben wird "an die nicht stattgefundenen Ehrungen von Wissenschafterinnen" erinnert.

Bildungsverbote für Frauen

Aber sind es nur die Würdigungen von Forscherinnen, die fehlen? Oder gibt es in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte womöglich eine Unterrepräsentation von Frauen, die dramatischer ist als in anderen Ländern? Es trifft wohl beides zu. Das heimische Bildungs- und Wissenschaftssystem war jedenfalls allzu lange eines der frauenfeindlichsten Europas. Wer aber nicht studieren kann, kann auch schwer eine große Forscherin werden.

Erst 1892 wurde in Wien das erste Gymnasium für Mädchen eröffnet. Fünf Jahre später wurden Frauen an der philosophischen Fakultät der Universität Wien zugelassen, die medizinische Fakultät folgte 1900, an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät dauerte es bis 1919, an der katholisch-theologischen gar bis 1945.

Das war im internationalen Vergleich sehr spät. Ähnlich weit zurück lag man nur in Preußen. Schuld daran waren mehrere Faktoren: die späte Modernisierung, der Katholizismus, vor allem aber als Alleinstellungsmerkmal die männerbündischen Strukturen. Burschenschaften und studentische Verbindungen gibt es in dieser Form nur in Deutschland und Österreich und sonst nirgends.

Diese deutschnationalen und katholischen Männerbünde dominierten die Universitäten über die meiste Zeit des späten 19. und weit ins 20. Jahrhundert hinein. Viele dieser einflussreichen Netzwerke waren zumindest in der Zwischenkriegszeit strikt antisemitisch, antidemokratisch, und natürlich: frauenfeindlich.

Stellten Studentinnen an der Uni Wien bis vor dem Ersten Weltkrieg eine Minderheit von höchstens sieben Prozent, so änderte sich das mit dem Ersten Weltkrieg - nicht nur deshalb, weil viele männliche Studierende in den Krieg zogen, sondern vor allem deshalb, weil es zu einem starken Zuzug junger gebildeter jüdischer Frauen aus der Bukowina und Galizien kam, wo die Gymnasialbildung viel frauenfreundlicher war.

"Von Professoren und Studenten nicht gerade gerne gesehen, spielten sie doch bald an der Universität eine große Rolle und steigerten die dem Frauenstudium feindselige Stimmung", erinnerte sich Käthe Leichter. Die große Sozialwissenschafterin war übrigens die erste Frau, die ab 1914 mit einer Sondergenehmigung an der Juridischen Fakultät der Universität Wien studierte. Die spätere Hymnendichterin Paula von Preradovic wiederum arbeitete im Ersten Weltkrieg auch an der Uni Wien - als Krankenschwester im sogenannten Reservelazarett.

Antisemitismus und Misogynie

Unter den Zeitgenossinnen Preradovics waren es jedenfalls vor allem Frauen jüdischer Herkunft, die im Ersten Weltkrieg und danach studierten und Karrieren als Wissenschafterinnen begannen. Da aber die Universitäten ab Anfang der 1920er-Jahren Brutstätten des Antisemitismus, der Reaktion und auch der Misogynie wurden, mussten die meisten der großen Töchter der Wissenschaft allerdings nach dem Studium in so gut wie allen Fällen auf außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ausweichen.

Um nur ein paar prominente Beispiele zu nennen: Käthe Leichter arbeitete an der Arbeiterkammer, die Sozialpsychologin Marie Jahoda für die wirtschaftspsychologische Forschungsstelle. Am Radiuminstitut, das nur zum Teil zur Uni Wien gehörte, waren Physikerinnen wie Marietta Blau, Elizabeth Rona oder Berta Karlik (als eine der wenigen Forscherinnen nichtjüdischer Herkunft) beschäftigt, zahlreiche Wissenschafterinnen forschten an der Biologischen Versuchsanstalt (BVA) im Prater, die Teil der Akademie der Wissenschaften war.

Von den Folgen der rassistischen Politik der Nationalsozialisten waren diese Frauen in besonders dramatischer Weise betroffen: Einige von ihnen - wie Jahoda, Blau oder Rona - konnten flüchten. Andere, wie Elise Richter, die erste a. o. Professorin an der Uni Wien, Käthe Leichter oder gleich fünf frühere BVA-Mitarbeiterinnen (nämlich Eleonore Brecher, Henriette Burchardt, Martha Geiringer, Auguste Jellinek und Elisabeth Przibram), wurden in Konzentrationslagern ermordet. Ihr Anteil war im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen besonders hoch.

Verdrängte Forscherinnen

An all diese Frauen wollte man sich an den auch nach 1945 männerbündisch dominierten Unis und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) allzu lange nicht erinnern. Und selbstverständlich auch 1947 noch nicht, als der Text der Bundeshymne approbiert wurde, zumal das damals verantwortliche Unterrichtministerium "ein Bollwerk des Cartellverbands" war, wie ein US-Experte 1948 nach Washington berichtete.

Als "Land der Berge" erstmals als Bundeshymne gesungen wurde, war im Land der reaktionären Hemmer und Verhinderer konsequenterweise noch keine einzige Tochter der Wissenschaft Ordinaria der Universität Wien oder Mitglied der ÖAW geworden.

Diese Pionierleistungen gelangen dann der Physikerin Berta Karlik, die 1956 als erste Frau ein Ordinariat erhielt. Erstes weibliches Vollmitglied der ÖAW wurde Karlik überhaupt erst 1973. (Fachkollegin Lise Meitner war ab 1948 nur korrespondierendes ausländisches Mitglied.) Und ehe erstmals eine Frau eine staatliche österreichische Universität leitete, sollte es von da an auch nur mehr läppische 34 Jahre dauern, also bis zum Jahr 2007. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 16.7.2014)