Adele Neuhauser vor einer Arbeit Gironcolis: "Die Nase könnte von der Seite meine sein."

Foto: Heribert Corn

Bruno Gironcoli: "Der Kopf" (1960–1964).

Foto: Heribert Corn

Wien – Ja, Adele Neuhauser litt ein wenig unter der Qual der Wahl. Zwischen Todesfällen und deren Aufklärung sollte die TV-Kommissarin in der Mumok-Sammlungspräsentation Die Gegenwart der Moderne (bis 8. 2. 2015) unter 150 Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien, Filmen und Architekturmodellen nach ihrem Lieblingswerk fahnden. Kandinsky, Klee, Kirchner nannte sie schließlich, Malerei jedenfalls, Farbmacht.

Das wiederum hängt mit ihrer Familiengeschichte zusammen: Großvater Leopold Schmid war Maler, Bildhauer und Professor an der Kunstakademie; zu seinen bekanntesten Arbeiten zählen die Sgraffiti am Wiener Künstlerhauskino. Die Großmutter gab ihre künstlerischen Ambitionen auf, „der Großvater fand, ein Künstler reicht – und das ist er“. In der Zwischenzeit gibt es aber noch zwei Maler in der Familie, Neuhausers Halbbruder Peter Marquant und dessen Frau Josefina Pino.

Doch als die Schauspielerin den Tatort Museum auf der Suche nach den drei K schnellen
Schritts durchmaß, fiel ihr Blick auf ein Wandobjekt – kühl, kühn, abstrakt, verdrahtet und ver schattet –, das sie sofort als ein Werk Bruno Gironcolis enttarnte.

STANDARD: Statt vor Klee, Kandinsky oder Kirchner stehen wir jetzt vor einem Bildobjekt von Bruno Gironcoli. Weder malerisch noch farbintensiv. Ist das nicht ein ziemliches Kontrastprogramm?

Neuhauser: Stimmt. Ich liebe Malerei, die Farben, den Umgang mit Materialien, ob es nun Dispersion, Öl oder Aquarell ist. Aber diese Wandskulptur, dieses Bildobjekt fasziniert mich. Mir gefällt, dass Gironcoli sehr einfaches Material verwendet. Und ich mag den Titel: Kopf. Hier in der Mitte, das wirkt wie ein Herz, hier ein Auge, das Augenlid, der spitze Mund. Die Nase könnte von der Seite meine sein (lacht). Und hier der Griff, an dem man sich festhalten kann, wenn einem der Kopf davonfliegt. Das Großartige an diesem Werk ist, dass alles einen Zusammenhang hat. Das sind wir: komplexe Wesen. Alles hat miteinander zu tun – bei diesem Kopf, so wie in der Welt an sich.

STANDARD: Was schätzen Sie an Gironcoli?

Neuhauser: Eben dass er Zusammenhänge finden möchte. Das ist doch das Wesen der Kunst: Auf die Essenz zu kommen, und jeder pickt sich einen Teil heraus. Dieses Visionäre empfinde ich bei ihm ganz stark. Diese Arbeit, die durch die Schatten an der Wand wie eine Lichtzeichnung wirkt, hat auch Humor, das ist mir ganz wichtig. Wenn mir jemand mit erhobenem Zeigefinger die Welt erklären will, habe ich ein Problem.

STANDARD: Wann haben Sie begonnen, sich mit Kunst auseinanderzusetzen?

Neuhauser: Ich beschäftige mich in dem Sinn nicht mit Kunst, sondern Kunst umgibt mich. Sie ist für mich, wie für jedermann, ein Teil des Lebens. Ohne Künstler würden wir wenig Anleitungen kriegen fürs Leben.

STANDARD: Kunst als Lebenshilfe?

Neuhauser: So wie dieser Gironcoli, den man aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und immer neue Perspektiven entdecken kann, so ist auch das Leben nicht eindimensional. Erst von mehreren Seiten betrachtet, wird es zu einem Gesamtwerk. Oder sagen wir: zu einem Kunstwerk. Das Leben so zu gestalten, dass es zum Kunstwerk wird, dabei helfen uns die Künstler. Dass es oft ein schmerzvoller Weg ist, habe ich durch meine Großeltern erfahren. Ich glaube mir vorstellen zu können, welche Qualen man als Künstler mit sich und der Welt durchmacht.

STANDARD: Gilt das nicht auch für die Schauspielerei?

Neuhauser: Im Grunde ja. Aber mein Vorteil ist, dass ich ein vorgefasstes Universum habe, worin ich mich bewege. Das ist manchmal, wenn der Text nicht standhält, schwierig; manchmal tun sich unglaubliche Dinge auf. Aber etwas aus dem Nichts zu erschaffen, davor habe ich den größten Respekt.

STANDARD: Leben Sie mit Bildern?

Neuhauser: Ich würde es noch gern erweitern. Ich habe glücklicherweise ein paar Arbeiten von meinem Großvater, meinem Bruder und seiner Frau, über die ich sehr glücklich bin, weil sie mir jeden Morgen einen positiven Schub in die Welt geben. Es ist schön, wenn man mit einem so reichen und doch so zurückhaltenden Blick auf die Welt wie dem ihren entlassen wird in den Tag. Das tut dieser Kopf von Gironcoli auch. Man muss sich beim Betrachten beruhigen, obwohl er verwirrend ist. Er ist wie unsere täglich unterschiedliche Verfassung: ein komplexes Ding.

STANDARD: Gegenständlich oder abstrakt: Was haben Sie lieber?

Neuhauser: Eher abstrakt. Ich erinnere mich, dass mein Großvater beim Spazierengehen manchmal abrupt innehielt und ich mich fragte, warum. Was ist es, was den Blick und die Aufmerksamkeit des Künstlers auf sich zieht? Wo ist der Ausgangspunkt eines Werkes? Das fasziniert mich an der Kunst: Wenn ein Künstler sich in der Welt spürt, wenn er einen bestimmten Menschen, Landstrich oder Felsen betrachtet – was bleibt übrig? Es geht um die Reduktion auf das Wesentliche. So ist es auch bei mir, wenn ich ein Problem habe, muss ich es reduzieren und in kleinste Bestandteile zerlegen. Dann kann ich es wieder zusammenbauen – und erst dann kann ich das Problem vielleicht auf lösen. Dieser Kopf von Bruno Gironcoli könnte mir dabei helfen, eventuell.

STANDARD: Inwiefern?

Neuhauser: Wir haben Chaos im Kopf, aber alles hat seinen Anfang und sein Ende. Das zeigt diese Arbeit deutlich. Es hängt alles miteinander zusammen. Wir sind eben nicht nur eine Strebe, sondern wir sind mehrere.

STANDARD: Reden Sie mit Ihrem Bruder, dem Maler Peter Marquant, viel über Kunst?

Neuhauser: Ja. Bei meinem Großvater habe ich nur betrachtet. Mit Peter und seiner Frau führe ich Gespräche, höre zu, wenn sie mit Freunden über Kunst reden. Oft habe ich bemerkt, dass Künstler sehr streng sind und nur wenig bestehen kann vor ihrem kritischen Blick. Peter ist anders, sehr offen. Er hat mich vorsichtiger gemacht in meinem Urteil. Aber ich ur teile ja auch nicht wirklich wissend, sondern eher emotional. Erst wenn mich etwas sehr fasziniert, lese ich nach.

STANDARD: Für eine Benefizaktion haben Sie gemeinsam mit Ihrem Bruder gemalt. Schwierig?

Neuhauser: Eigentlich nicht schwierig, aber eine ungeheure Überwindung, weil ich großen Respekt vor seiner Arbeit habe. Oft höre ich ja, das sei Kritzelei, zielloses Geschütte, das könne jeder. Das ist nicht so, ich habe gesehen, wie schnell etwas banal werden kann.

STANDARD: Malen, bildhauern, töpfern Sie zur Entspannung, wie viele Ihrer Kollegen?

Neuhauser: Ich habe leider eine anstrengende Eigenschaft: Ich muss die Dinge gleich richtig gut können, sonst lass ich’s. Das war so beim Versuch, ein Instrument zu lernen, beim Malen ebenfalls. Das ist natürlich blöd, denn das Malen gibt einem wahnsinnig viel. Aber es gibt so viele Künstler, die das großartig können. Da denke ich mir: Ich schau’s mir lieber an. (Andrea Schurian, Spezial, DER STANDARD, 18.7.2014)