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"Soccer"-Fan beim Match der Vereingten Staaten gegen Deutschland: Dieser Herr interessiert sich für eine Sportart, die die meisten seiner Landsleute für "langweilig", "schwul", "sozialistisch", "europäisch" und "nicht-amerikanisch" halten, kurzum also für uninteressant. 

Foto: Reuters/Gentile

Alle Spiele die ich während der Weltmeisterschaft sah, musste ich (leider) auf meinem Laptop und auf Spanisch sehen, dankbar, dass es "Univision" gibt. Ich bin zurzeit in Los Angeles, USA. Während die ganze Welt im Fußballfieber zitterte, existiert in diesem Land die Fußballweltmeisterschaft nicht. Das einzige Spiel, über das ich jemanden reden hörte, war das unglaubliche Deutschland-Brasilien-7:1-Spektakel. Nicht einmal die paar eigenen Spiele diskutierten die Amis. Nicht, dass es da viel zu diskutieren gegeben hätte. Nein, in diesem Land existiert Fußball nicht.

Warum nicht? Amerikaner lieben ja Sport. Genau, aber nur wenn es ein amerikanischer Sport ist, der von vielen Pausen, Werbung, Bier und Burgern (oder Hot Dogs) begleitet wird. Sie lieben (American) Football, Baseball und Basketball - und ab und zu auch Hockey. ("Es ist kanadisch" , pflegen sie zu sagen, "wir haben es aber übernommen.") Andere Sportarten interessieren sie nicht so sehr. Oder überhaupt nicht. Fußball, die weltweit meistgeliebte und gespielte Sportart finden sie "langweilig", "schwul", "sozialistisch", "europäisch", "nicht-amerikanisch". Kurz: uninteressant.

Sehr untypisch

Vor kurzem wurde im LACMA (Los Angeles County Museum of Art), einem der wichtigsten Museen des Landes, eine sehr untypische Ausstellung eröffnet: Fútbol: The Beautiful Game zeigt 50 Werke von 30 Künstlern. Die Werke sind groß, bunt und faszinierend: Video-Installationen, Fotos, Gemälde, Skulpturen. Beim Eingang steht die Marakana, eine riesige Skulptur von Nelson Leirner. Sie zeigt ein überfülltes Fußballstadion. Erst beim zweiten Blick erkennt man, dass die Zuschauer eigentlich bunte Figuren sind: Mickymäuse, Buddhas, Zwerge, römische Soldaten, heilige Marias, Feen. Es spielen grüne Hulks gegen rote Power Rangers. Das ganze Stadium ist mit kleinen Jesus-Skulpturen umrahmt.

Die Skulptur ist eine Ode an den Fußball, an diese interkulturelle Religion, das Phänomen, das keine Grenzen kennt. Globalisierung im kleinen Maßstab. "Wir wollten die Menschen ins Museum bringen, die sonst nie Museen besuchen, und dabei das globale Phänomen, das in Amerika nie Fuß fasste, unserem Publikum vorstellen", sagt Ausstellungskurator Franklin Sirmans. Welche Menschen? Frage ich mich. Die Latinos? Sie scheinen die einzigen in den Vereinigten Staaten zu sein, die sich ernsthaft für Fußball interessieren. Und tatsächlich - die meisten Künstler in der Ausstellung stammen aus Südamerika.

Wirklich, warum mögen Amerikaner Fußball nicht? Schwer zu sagen. Sie wissen es selber nicht genau. Zurzeit sind mehr amerikanische Kinder im Fußball aktiv als in irgendeiner anderen Sportart. Aber nur, wenn sie sehr jung sind - sobald sie die High-School erreichen, werden Baseball, Football oder Basketball interessanter. Das sind die coolen Sportarten, die in "Colleges" gespielt werden. Durch diese Sportarten kommt man näher zum Traum vom Ruhm, Millionen am Konto und einem Ex-Model als Ehefrau. Somit bleibt Fußball ein Sport für Kinder.

Witzigerweise spielen die Mütter hier eine wichtige und leider auch negative Rolle: Die Mütter fahren die Kinder zum und vom Fußballtraining nach Hause, sie bleiben während des Spiels und sehen zu, werden dadurch Fans - und oft auch Trainerinnen.

So ist der Begriff "Soccer Mom" entstanden. Und wie ein junger Mann in einer Online-Diskussion über Amerikaner und Fußball sagt: "Es gibt keine bessere Art, junge Burschen, die nur Mädels faszinieren wollen, von einer Sportart abzubringen, als sie mit mühsamen Müttern aus den Vorstädten zu assoziieren." Stimmt: "Soccer Mom" kann in diesem Macholand einfach nichts Cooles sein.

Wenn ich die Amerikaner frage, antworten sie: "Ich verstehe das Spiel nicht" und "Es ist langweilig". Fußball ist viel leichter zu verstehen als Baseball, und genau so einfach oder kompliziert wie American Football oder Basketball. Aber die Generation, die es nicht in der Schule spielte, hat einfach kein Interesse daran, die Regeln zu erlernen. Sie haben eh "ihre" Sportarten, in denen sie die besten sind. (Ich finde es immer sehr amüsant, dass es "Baseball World Series" gibt und frage mich, wer dabei "World" ist - sind Amerikaner nicht die einzigen in der "World", die Baseball spielen?)

Man kann die Spiele nicht zufällig sehen und sie lieben lernen, weil sie die Fernsehsender nicht zeigen. Sie beinhalten nämlich zu wenige Werbepausen, um genug Geld für die Sender zu verdienen. Auch die Zuschauer lieben die Pausen, in denen sie sich Bier holen, essen und plaudern. Beim Fußball kann jede Sekunde etwas passieren: Man muss sich 45 Minuten lang wirklich konzentrieren. Amerikaner sind ein wenig wie Kinder - sie haben eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne. Sie müssen immer amüsiert, immer aufs Neue verführt, aber dann wieder in Ruhe gelassen werden. Sie geben das auch selber zu. Jemand war in einer Online-Diskussion besonders witzig und brachte das mangelnde Interesse an Fußball in Verbindung mit Pestiziden: "Pestizide verursachen ADHD (Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität). 45 Minuten aufmerksam zu sein ist mit ADHD schwierig. Esst Bio und ihr werdet Fußball mögen!"

Auch das Punkten spielt eine Rolle - genau wie Kinder, wollen Amis immer wieder kleine Erfolge sehen. Bei einem Fußballspiel wird nicht so oft - manchmal überhaupt nicht - gepunktet. Sie klagen auch darüber, dass das Spiel nicht linear genug, sondern zu "matrix-like" ist: Der Ball fliegt im Augenblick von einem Ende des Feldes zum anderen, wechselt im Sekundentakt die Mannschaft. Sehr verwirrend.

Und dann gibt es noch den wichtigsten Aspekt: den Nationalstolz. In einem Forum sagte jemand einfach: "Wir mögen Fußball nicht, weil er nicht amerikanisch ist!" Glenn Beck, der Starmoderator von Fox News, meinte: "Ich hasse Fußball wahrscheinlich deshalb, weil die ganze Welt Fußball so liebt!" Und Ann Coulter, die berüchtigte konservative Publizistin mit der sehr lauten Stimme, schrieb vor Kurzem in ihrem Blog: "Jede Steigerung des Interesses am Fußball kann nur ein Zeichen für den moralischen Verfall dieser Nation sein." Ja, Ann weiß es genau: Der Rest der Welt ist moralisch komplett verfallen. Und das ist die Schuld des Fußballs.

Amerikaner haben "ihre" Sportarten. So wie sie ihre Musik, ihre Filme und ihre Kunst haben. Meine erste Antwort auf die Frage, warum sie Fußball nicht mögen, lautete: weil er fremd ist. Ich musste aber gleich zugeben, dass wir Europäer auch nicht Baseball oder American Football spielen. Dadurch verlor mein Argument an Kraft. Amerika wurde von europäischen Immigranten besiedelt, sie brachten Pasta, Pizza, Wurst und Frank Sinatra mit. Warum nicht auch Fußball? Ich fragte und recherchierte, die Antwort fand ich leider nicht.

Nachdem die CIA vor Kurzem gestanden hat, im Kalten Krieg US-Kunst von Pollock, Lichtenstein, Warhol u. a. sehr aktiv (auch finanziell) unterstützt und beworben zu haben, würde es mich nicht wundern, wenn eines Tages herauskäme, dass auch US-Sportarten ein politisches Produkt sind. Sie stärken die nationale Identität noch mehr als Kunst. Hilfreich ist es dabei auch, das Fremde für schmutzig zu halten. G. W. Bushs Redenschreiber Marc Thiessen nannte Fußball einst eine "sozialistische Sportart". Und wir wissen, dass in den USA "sozialistisch" ein sehr, sehr schmutziges Wort ist.

Vielleicht ist diese republikanische Einstellung genau der Grund, warum junge Intellektuelle und "Hipsters" immer häufiger Fußball schauen (und dabei moralisch komplett verfallen). Man sagt mir, dass der Trend in großen Städten wie New York, Seattle, Portland immer stärker werde, "weil es anders, international" sei. Stimmt, in Los Angeles z. B. werden die Spiele im Hof des HAMMER Museum übertragen. "It's just a matter of time", sagt mir der Sportsoziologe Michael DeLand und erklärt, dass das Land immer bunter wird (fast 20 % der Amerikaner sind Latinos, und die lieben Fußball) und dass die neue Generation es in der Schule gespielt habe und die "komplizierten" Regeln kenne, wodurch sie automatisch mehr Interesse zeige. Wer weiß, vielleicht habe ich die Chance, mir die nächste WM in der Sportbar ums Eck anzuschauen, wenn ich es noch so lange in Los Angeles aushalte. (Ana Tajder, Album, DER STANDARD, 19./20.7.2014)