Erstautor Georg Winter und Studienleiter Giulio Superti-Furga untersuchten Transportmoleküle, die die Wirkung von Krebsmedikamenten beeinflussen.

Foto: CeMM

Die Aufklärung des spezifischen Eintrittsmechanismus in die Zelle könnte den Einsatz eines im Test befindlichen Anti-Krebs-Wirkstoffes zur zielgerichteten, personifizierten Tumorbehandlung möglich machen. Das berichtet das renommierte Fachjournal "Nature Chemical Biology" in einem Artikel des CeMM-Forschungszentrums (Research Center for Molecular Medicine) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Konkret hat das Team um Giulio Superti-Furga den in klinischen Tests befindlichen Wirkstoff YM155 untersucht. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass dessen krebszelltötende Wirkung vom Vorhandensein eines körpereigenen Transport-Proteins als Eingangstor zur Zelle abhängt. Fehlt dieses für das aktive Einschleusen notwendige molekulare Tor mit der wissenschaftlichen Bezeichnung SLC35F2, zeigt der untersuchte Wirkstoff YM155 keine Wirkung, weil er nicht in die Zelle gelangen kann.

Zugeschnittene Therapien

Die Anwendung von Chemotherapien, die sich prinzipiell auf alle schnell teilenden Körperzellen und somit auch auf Tumorzellen auswirken, ist neben der Strahlentherapie die gebräuchlichste Strategie bei der Behandlung von Krebs. Große Einschränkungen in der Anwendbarkeit entstehen aber durch eine unspezifische, nicht zielgerichtete Wirkung der Medikamente und damit verbundenen Nebenwirkungen.

Die molekularmedizinische Forschung am CeMM hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Krankheitsursachen und die Wirkweisen von Medikamenten auf molekularer Ebene zu verstehen. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass Therapien auf die Patienten zugeschnitten und gezielt eingesetzt werden können, sodass diese auch tatsächlich davon profitieren.

Im Zentrum der aktuellen Untersuchung stand der Wirkstoff YM155 (auch Sepantronium bromide genannt), der in mehreren klinischen Studien bei verschiedenen Krebsarten, wie Lungen- und Prostatakarzinom, aber auch Lymphomen getestet wurde. Während einige Patienten gut auf die Therapie ansprachen, blieb bei der Mehrheit ein lang andauernder positiver Effekt aus. "Wir haben die Herausforderung angenommen und systematisch und unvoreingenommen alle Gene in einer menschlichen Krebszelllinie ausgeschaltet, um die Ursache für das Wirken bzw. Nicht-Wirken des Medikamentes zu finden", sagt Superti-Furga. Das Vorhandensein des Transport-Proteins SLC35F2 hätte sich dabei als Schlüssel erwiesen, obwohl dessen mechanistische Involvierung einer gängigen Theorie widerspricht.“

Molekulare Tore

YM155 zählt zu einer Art der Klassen von chemische Substanzen, die durch den Einbau in die DNA der Tumorzelle diese zerstören und damit den Zelltod herbeiführen. Wie genau die Moleküle in die Zelle eindringen ist generell noch ungeklärt. Während die am weitesten verbreitete Theorie davon ausgeht, dass die meisten chemische Substanzen passiv in die Zelle eindringen, konnte die Studie im Fall von YM155 zeigen, dass dieses aktiv, durch ein spezielles "Tor" (das körpereigene Transport-Protein SLC35F2) in die Zelle transportiert werden muss, um dort seine Wirkung zu entfalten.

Es gibt ungefähr 400 ähnliche Tore, viele davon an der Zelloberfläche, sowie allgemein an der Schnittstelle zwischen Umwelt und Körper (z.B. im Darm). Diese molekularen Tore stellen den Zugang der Zelle zu Nahrung und essentiellen Elementen sicher. Was genau sie transportieren, ist nur teilweise bekannt. So ist auch noch unerforscht, welche körpereigenen Stoffe das Tor SLC35F2 transportiert. Da es jedoch bei einigen Krebserkrankungen im Vergleich zu den entsprechenden gutartigen Geweben stark hochreguliert ist, könnte dies ein weiterer Schlüssel für ein verbessertes Verständnis von molekularen Wechselwirkungen dieser Krebserkrankungen sein.

In der vorliegenden Studie konnte das Transport-Protein als mechanistisch gut verstandener Biomarker identifiziert werden. "Auf Basis unserer Studie glauben wir, dass man Patienten dann für klinische Studien mit YM155 auswählen sollte, wenn ihre Tumore hohe Levels von SLC35F2 aufweisen. Dadurch könnte der therapeutische Effekt von YM155 zielgerichteter eingesetzt werden, und es wäre ein logischer Schritt hin zu einer personalisierten Krebstherapie", sagt Superti-Furga.

Schnittstelle Biologie/Chemie

Die Forscher am CeMM sind aber noch ehrgeiziger und wollen eine groß angelegte kollaborative Studie über mehrere Jahre koordinieren, die die vollständige Entschlüsselung des Durchschleusevermögens all dieser molekularen Tore zum Ziel hat. "Wüssten wir, was jedes dieser kleinen Tore an Nähr- und Arzneistoffen, sowie an möglichen Umweltgiften transportieren kann", sagt Superti-Furga, "hätten wir eine zentrale Schnittstelle zwischen lebenden Organismen und ihrer Umwelt, oder zwischen Biologie und Chemie erhellt."

Das Projekt um diese Klasse von Transportproteinen, die technisch "solute carrier proteins" genannt werden, nennt der Wissenschaftler die "Tore zum Leben" oder kurz auf Englisch „Gates2Life“. Es wird erwartet, dass es durch die Erweiterung dieser Studie möglich sein wird, Wirkstoffe in Zukunft gezielter an das richtige Gewebe kommen zu lassen, und dass darüber hinaus die molekulare Grundlage der Wechselwirkung zwischen Ernährung, Metabolismus und Arzneimittelwirkung besser verstanden werden kann. (red, derStandard.at, 28.7.2014)