Anna Stainer-Knittel alias "Geierwally" als ungefähr 16-Jährige: Dieses Selbstporträt wird rund um das Jahr 1857 datiert.

Foto: By Anna Stainer-Knittel [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Geschichte der Geierwally wird in vielen Romanen, Theaterstücken, Filmen erzählt, sodass man außerhalb Tirols glauben könnte, sie sei eine Kunstfigur. Dem ist aber nicht so.

Anna Knittel (1841 bis 1915) wuchs im Tiroler Elbigenalp auf. Sie war die Tochter eines Büchsenmachers und wurde im Lechtal deshalb bekannt, weil sie es wagte, einen Adlerhorst mit einem frischgeschlüpften Jungen "auszunehmen".

Es war dies damals die wenig tierschützerische Art, die Adlerpopulation in den Alpen möglichst zu dezimieren, auf dass sie später nicht die Schafe auf der Weide reißen. Ein solches Nest zu leeren war eine gefährliche Sache - die ausgewachsenen Adlereltern sahen es naturgemäß nicht gern, wenn sich jemand an ihrer Brut zu schaffen machte. Weil dieses Nesterausnehmen gefährlich war und eine Art Mutprobe, machten dies normalerweise die jungen Männer eines Dorfes.

Doch es hatte davor einen Unfall gegeben, so erzählt man sich die Geschichte, und niemand der Burschen fand sich für die schwierige, gefährliche Aufgabe. Deshalb stieg kurzerhand Anna Knittel in die Felswand, packte das Adlerjunge in einen Rucksack und ließ sich von den oben Wartenden den Felsen hinaufziehen. Weil sie den Adler aufzog, erhielt sie ihren Spitznamen "Geierwally". Das war 1863, und Anna war 17.

Erfolg als Malerin

Auch ohne Mutproben auf dem Berg machte die "Geierwally" im Anschluss eine ansehnliche Karriere. Sie wurde Malerin, studierte in München an einer Privatschule, denn die staatliche Münchner Kunstakademie öffnete erst 1920 die Türen auch für weibliche Studenten. Mittlerweile verheiratet, ließ sich Anna Knittel-Stainer in Innsbruck nieder und eröffnete ein florierendes Geschäft für Porträts und Landschaftsmalerei. Auch das Abenteuer am Berg in ihrer Jugend diente als Sujet.

Auf diesen Stoff stieß die Münchner Schriftstellerin Wilhelmine von Hillern. Entweder weil sie bei einem Besuch in Innsbruck auf das Bild in der Auslage von Stainer-Knittels Geschäft aufmerksam wurde oder weil sie die Familie Stainer-Knittel kennenlernte - die Quellen sind da unterschiedlich. Jedenfalls schrieb Wilhelmine von Hillern 1875 den Roman "Geierwally", der ein Bestseller werden sollte. Von Hillern sagte einmal, dass dieses Buch nicht das beste ihrer Werke war. Sicher war es mit Übersetzungen in elf Sprachen aber das berühmteste. Es machte sowohl die Schriftstellerin als auch die Protagonistin, die Geierwally, weithin bekannt.

Die Schriftstellerin nahm es dabei mit der Wahrheit nicht so genau, sondern schrieb einen typisch schmalzigen Heimatroman mit viel Herzschmerz und einer bis fast zuletzt unerwiderten Liebe zu einem feschen Jäger. Mehrfach wurde das Buch verfilmt, auch in naturalistischer Blut-und-Boden-Manier, wie die Datenbank FemBio anführt. Trotzdem: Die Geierwally, ein "Weibsbild mit Eigenschaften", könne prototypisch für Emanzipation im Alpenraum gesehen werden, heißt es da. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 18.8.2014)