Wien - Ob du es glaubst oder nicht: Am 6. Mai hat sich Simon Brenner im Internet die Flug- und Zugverbindungen nach Nischni Nowgorod herausgesucht, und bereits am nächsten Morgen ist er in der Maschine nach Moskau gesessen.

Das glaubst du eigentlich nicht. Denn ohne Visum für Russland kommst du in Wien nicht einmal bis zum Gate. Du glaubst auch eher nicht, dass "die Fahrt vom Moskauer Flughafen zum Bahnhof" - als gäbe es in dieser Megapolis nur je einen - doppelt so lang wie der Flug gedauert hat. Und schon gar nicht glaubst du, dass der Brenner am Bahnhof von ein paar Kindern ausgeraubt wurde. Denn so viel ist sicher: In der Metro, in Brennerova von Wolf Haas schlicht "U-Bahn" genannt, und in den Bahnhöfen gibt es genügend bewaffnete Aufpasser.

Du kannst auch nicht glauben, dass die österreichische Botschaft in Moskau den Detektiv drei Tage "dunsten" ließ. Vielleicht hätte Brenner gleich zur Konsularabteilung gehen sollen, die für Passangelegenheiten zuständig ist.

Mühsam konstruiert

Haas behält natürlich seinen hinlänglich erprobten Stil voll Ellipsen, Austriazismen und umgangssprachlichen Wendungen bei. Zumindest 21-mal gebraucht der im Roman Das ewige Leben (2003) erschossene Erzähler beziehungsweise dessen Maul, das totzuschlagen vergessen worden war, das Münchhausen-Mantra "Ob du es glaubt oder nicht".

Und fast ebenso oft wird der Leser aufgefordert aufzupassen. Aber je mehr man aufpasst, desto mehr beschleicht einen das Gefühl, eine mühsam konstruierte Geschichte aufgetischt zu bekommen. Haas hat für seinen achten Brenner-Krimi alles vermanscht, was er auf den Chronikseiten über gefangengenommene Algerien-Touristen und das Stockholm-Syndrom, über das Verbot des Straßenstrichs in Wien und die Etablierung von Laufhäusern zusammengelesen hat.

Herta, zwangspensionierte Lehrerin mit viel Energie, bittet ihren Lebensgefährten, den mittlerweile etwa 63-jährigen Brenner, eine Scheinehe mit einer 25-jährigen, ungemein feschen Russin einzugehen, derer sie sich erbarmt. Gleich nach der Trauung lässt sie die beiden allein. Denn Herta verreist für mehrere Wochen in die Mongolei.

Dort fällt ihre Wandergruppe in die Hand von Terroristen. Herta verliebt sich in einen ihrer Geiselnehmer. Und Brenner darf sich mit dem Lösegeld auf den Weg nach Ulan Bator machen. Das wird nett und anschaulich erzählt, mit der eigentlichen Brennerova-Geschichte haben diese Abenteuer aber gar nichts zu tun: Sie dienen Haas nur dazu, das wenig überraschende Ende hinauszuzögern.

Auch der dritte Strang - eine Fehde im Rotlichtmilieu, in die Brenner "intuitiv" gerät - ist recht autark. Hier geht es zumindest wunderbar absurd, sanft philosophisch und Quentin-Tarantino-mäßig zu. Der Einfall, den mit allerlei Symbolen, Tierabbildungen und Schriftzeichen tätowierten Körper als Schatzkarte zu interpretieren, verspricht so manches, doch nur wenig wird eingelöst.

Einer der raren Höhepunkte ist, wie Brenner einem Mann beim Plakatieren zusieht - und bei diesem immer mehr enthüllenden Akt die Lösung seines Falles präsentiert bekommt. Die Brillanz älterer Brenner-Krimis, darunter Wie die Tiere, erreicht der neue aber nicht. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 1.9.2014)