Foto, das Josef Dabernig 2002 im tschechischen Adamov im Rahmen des Drehs für "Rosa coeli" schoss.

Foto: Josef Dabernig, Mumok

Josef Dabernig, Filmemacher mit Lust auf Widersprüche.

Foto: Josef Dabernig

Wien - Als einmal jemand nach einem geeigneten Drehort für ein Porträt des Künstlers Josef Dabernig suchte, schlug dieser nicht etwa ein Kaffeehaus oder seine Privatwohnung vor, sondern die Südosttangente. Ein Atelier hat der in Kärnten geborene 56-jährige Bildhauer und Filmemacher gar nicht: er verweigert sich der "Kultur, einen Arbeits- und Präsentationsraum zu haben".

Anlässlich der Personale Rock the Void stellt man nun im Mumok die Frage, wo Josef Dabernig am besten kennenzulernen sei, neu. Und angesichts eines Kunstschaffens, in dem Autoreisen, Unorte und Zwischenräume eine wesentliche Rolle spielen, scheint es folgerichtig, dass man sich für eine Busfahrt entschied. Ziel der Reise sind die Drehorte zweier Filme Dabernigs - aber auch die langen Strecken durchs Niemandsland, die dabei zurückzulegen sind, werden wohl gehaltvoll sein, hat der in Wahlwiener doch viel über seine Drehorte zu erzählen. Und: "Reisen ist ja eine Form der filmischen Erfahrung", sagt Dabernig.

In der Schau Rock the Void nehmen die Filme des ursprünglichen Bildhauers eine Sonderstellung ein: Sie brechen die klaren, durchsystematisierten Strukturen des Ausstellungsraums mit Körperlichkeit und Menschlichkeit. Als sich Dabernig 1996 von Rastern und Listen abwandte, kam er dem Dogma des österreichischen Experimentalfilms, der Zerschlagung der Narration, nämlich nicht nach. Dabernig wollte Erzählfilme machen, aber solche mit "experimentellem Touch".

Ein Schlüsselfilm für Dabernigs Stil ist der 2003 entstandene Kurzfilm Rosa coeli: Ein Mann kommt in eine heruntergekommene Industriekleinstadt, man sieht ihn beim Unterzeichnen irgendwelcher Dokumente in einem Hotel. Die Kamera fängt Wohnblöcke oder Details des Interieurs ein.

Darüber liegt ein Text, professionell vorgetragen, der von der Heimkehr in den Ort der Kindheit erzählt, in Erinnerungen kramt oder historische Exkurse einfügt. Der Witz ist: Bild und Ton gehören ursprünglich nicht zusammen, sie sind "mutwillig zusammengebaut", wie Dabernig seine dialektische Arbeitsweise umschreibt.

Gedreht wurde der Film in den tschechischen Ortschaften Adamov und Blansko, zwei Städtchen, die man "fast nicht findet, es führt nicht einmal eine gescheite Straße hin". Dabernig hat die Orte Ende der 1990er-Jahre beim Vorbeifahren mit dem Zug entdeckt. Die "total städtische Architektur mitten im Brünner Karst" faszinierte ihn.

Archäologe der Moderne

Wieder eingefallen sind ihm diese Motive im Jahr 2002, als der Schweizer Autor Bruno Pellandini ihm eine Zusammenarbeit vorschlug. Als Mitarbeiter der Diagonale hatte dieser einige Filme Dabernigs kommentiert. Der Künstler war der Zusammenarbeit mit dem Kritiker gegenüber zunächst skeptisch, ließ sich schließlich aber darauf ein, vermutlich aus der unermüdlichen Lust am Widerspruch: "Der Bruno ist aus einer anderen Welt, und das war das Interessante für mich", sagt Dabernig, der sich durchaus auch selbst gerne von seinen Filmen überraschen lässt.

Es gefiel Dabernig, die Industrieatmosphäre des Ostens mit der Literatursprache Pellandinis zu kontrastieren. Die titelgebende Klosterruine Rosa coeli - deutsch: Himmelsrose - kommt hingegen gar nicht im Film vor. "Der Text schweift in historische Ebenen ab", zu Dingen, mit denen er eigentlich nicht vertraut sei, erklärt Dabernig. In der Geschichte stöbern möchte er nicht, die sei eher Pellandinis Metier. Sein Interesse galt vor allem der Sozialismusindustrie. Einen "Archäologen der Moderne" hat ihn Georg Schöllhammer genannt. Das freut Dabernig.

Was den Künstler interessiert, sind jüngere Metamorphosen des Ortes, der Umgang der Bevölkerung mit dem Vermächtnis seit der Wende 1989: "Einen Wohnblock haben sie jetzt zum Beispiel angefärbelt, damit er nicht mehr so massiv wirkt", staunt Dabernig. Dass man statt des Kulturhauses kürzlich ein Einkaufszentrum errichtet hat, bedauert er nicht; er sieht es vielmehr als "positives Indiz, dass der Ort funktioniert". Ein Nostalgiker sei er nicht. Einen Film würde er dort heute aber nicht mehr drehen.

Die Historie stand auch bei der Wahl von Pohorelice als Drehort nicht im Vordergrund. Dort entstand 2010 der Film Herna. Eigentlich hätte ja überhaupt in Brünn gedreht werden sollen. Dass just der letztendlich bespielte Drehort eine tragische Geschichte im Zusammenhang mit dem Brünner Todesmarsch hat, erfuhr Dabernig nur nebenbei.

Eigentlicher Fokus in Herna ist das Thema Spielsucht, das genau genommen ortlos ist. Die Inspiration fand Dabernig denn auch im Wiener Prater, wo er zum Fußballschauen immer wieder ein Wettbüro besuchte und "dabei auch das Ambiente studierte". Eines Abends registrierte er beim Hinkommen ein Auto mit laufendem Motor, in dem eine Frau und ein Kind saßen. Beim Heimgehen, "nach dem Match", war die Situation unverändert.

"Mit welcher Laune wird der Typ zurückkommen", fragte sich Dabernig - und übernahm die erlebte Szene in seinen Film. Herna ist eine weitere Zusammenarbeit mit Pellandini. Der schrieb einen Text über Leute, die Schlösser kaufen, ohne etwas damit anfangen zu können. Als er das bisweilen operettenhafte Hörspiel las, bei dem sogar im Versmaß gesprochen wird, sei er "fast in Ohnmacht gefallen". Aber er vertraute dem Autor: "Das wird schon so passen." Widersprüche begrüßt er in seiner Kunst eben nicht nur dann, wenn er sie im Griff hat. (Roman Gerold, Spezial, DER STANDARD, 5.9.2014)