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Two thumbs up - Daumen rauf: Der Erfolg braucht sein Gegenteil, und will doch mit diesem nicht in Berührung kommen. Auch Popbarde Robbie Williams (Foto) weiß das allzu gut, hier bei der Bambi-Preisverleihung in Berlin 2013.

Foto: Reuters/TOBIAS SCHWARZ

Sie werden beobachtet. Sie schauen auf dich. Und das ist ja eine schöne Sache, dass wenigstens irgendjemand auf dich schaut. Schau auch ein bisschen auf dich. Wenn jeder auf sich selbst schaut, dann ist auf jeden geschaut. Aber auf manche wird eben mehr geschaut. Die Sichtbarkeit ist nicht demokratisch verteilt. In einer Gesellschaft, in der du stets von anderen beobachtet und beurteilt wirst, ist die erste Pflicht, dich stets selbst zu beobachten und zu beurteilen.

Es gibt ja ein paar Dinge, bei denen wir uns schnell einig sind, dass sie kritikwürdig sind - einig mit fast allen unseren Mitmenschen, oder zumindest mit unserer Peergroup, oder wenigstens mit uns selbst. Die Gier, die Umweltzerstörung, die Praktiken der Banken, das Fernsehprogramm oder überhaupt der Kapitalismus. Worte selbst fällen das Urteil: Gier ist böse, das steckt da drin in dem Begriff, das Urteil kriegt man da nicht raus. Andere Begriffe sind neutral. Und wieder andere sind doch durchwegs positiv besetzt. Erfolg. Kreativität. Leistung. Kompetenz. Effizienz. "Kritik des Erfolgs" oder "Ein Loblied dem Versagen" oder "Ein Hoch auf die Ineffizienz!" - wie klingt das denn schon?

Ich frage mich aber dennoch immer wieder, ob wir diese Begriffe nicht einer Kritik unterziehen müssen, einer Kritik, die uns notgedrungen verdammt nahe kommen muss. Ausbeuter sind immer die anderen. Aber kompetent, erfolgreich, effizient und kreativ, das sind wir doch selbst, oder wollen es zumindest sein. Wir mögen den Druck gelegentlich kritisieren, der von diesen Anforderungen ausgeht, aber in dem Fall sind wir immer ins Kritisierte verstrickt. Wir sind Täter und Opfer zugleich.

Extrem aufgeblasene Typen

Wollen wir etwas erreichen, also Erfolg haben, müssen wir zuallererst Erfolg darstellen. Schon im Teenageralter lernen wir zu "performen", und wir wissen insgeheim auch, dass wir alle irgendwie Poser sind. Okay, die anderen noch mehr. Es finden sich immer andere, die noch mehr posen. Die besonders peinlichen Namedropper. Die extrem aufgeblasenen Typen. Die Nervensägen, die stets nur von ihren Siegen sprechen.

Falls Sie das für ein neues Phänomen halten, so wird Sie überraschen, dass schon 1930 ein Soziologe Namens Gustav Ichheiser (was für ein Name übrigens in diesem Zusammenhang) eine kleine Schrift mit dem Titel Kritik des Erfolges geschrieben hat. Erfolg, so seine These, verdanke sich hauptsächlich einem Machiavellismus des Alltags, bei dem Rücksichtslosigkeit, Reklame, Bluff und Protektion den Sieg davontrügen.

Und doch sind wir längst über die 1930er hinaus. Erfolg ist etwas anderes als Leistung und koppelt sich von dieser in einer mehr und mehr immateriellen Ökonomie vollends ab - das ist in etwa die These, die der deutsche Sozialforscher Sighard Neckel vor einigen Jahren in seinem Buch Flucht nach vorn. Die Erfolgskultur in der Marktgesellschaft vertreten hat. Erstens dringt die Erfolgskultur von der Arbeitswelt in alle Lebensbereiche ein, und zweitens ist Leistung immer weniger objektiv zu beurteilen.

Sie wird also zu einer "Zuschreibungskategorie und entsteht im Medium der Wertungen Dritter. Erfolge müssen auffallend sein und möglichst frappant dargstellt werden." In diesem Wettbewerbsindividualismus herrschen die drei Grundfragen vor, die die Kulturkritikerin Susan Faludi formuliert hat: "Are you known? Are you sexy? Had you won?"

Jeder muss am besten in jedem Lebensbereich ein "Erfolgreicher" sein, aber die Tragödie des Erfolges ist, dass Erfolg und Misserfolg einander bedingen. Neckel: "Je süchtiger eine Gesellschaft nach dem Erfolg greift, umso mehr Konkurrenten wetteifern um ihn, was eine zunehmende Anzahl von Aspiranten leer ausgehen lässt." Denn wenn alle Erfolg haben, "hat ihn keiner". Der Erfolg braucht sein Gegenteil, und will doch mit diesem nicht in Berührung kommen. Es ist in dieser Kultur angelegt, die Menschen in Gewinnertypen und Loser zu sortieren. In jene, die uns nützen können, und in jene, die das nicht tun, nein, genauer, die uns nicht nur nicht nützen, sondern die uns schaden, weil bisweilen schon die bloße Tatsache, mit den Losern auf der Straße gesehen zu werden, die Gefahr heraufbeschwört, dass ein Teil ihres Loserseins auf uns abfärbt.

Checker und Saufpunks

Nun umfasst all das, wie erwähnt, nicht nur das Arbeitsleben, sondern nahezu alle Arten sozialer Praktiken, was die Sache besser und schlechter zugleich macht. Schlechter, weil wir dem Hamsterrad der Statuskonkurrenz nicht einmal im Freundeskreis entkommen. Besser, weil sich die Milieus ausdifferenzieren und wir jene Gruppen hinter uns lassen können, deren Erfolgskulturen nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmen. Nur: Ohne Erfolgskultur ist kein Milieu. Auch unter den Saufpunks gibt es die Checker, oder in feministischen Unibasisgruppen (die alle zusammen mackerhaftes Posertum verdammen würden) gibt es die Zentralfrauen, also die Erfolgreichen ihres Milieus. Ein Loser unter den Bankern kann natürlich versuchen, ein Held unter den Punks zu werden. Sehr häufig passiert das aber wohl nicht.

Wenn sich diese Muster heute auf alle Arten sozialer Praktiken beziehen, dann heißt das aber natürlich auch: auf das ganze Leben. Der Darmstädter Philosoph Andreas Gelhard weist in seiner kleinen Denkschrift Kritik der Kompetenz darauf hin, dass der moderne Kompetenzbegriff so ziemlich alle denkbaren Fähigkeiten umfasst - ganz anders als etwa Begriffe wie "Intelligenz" oder "Fertigkeiten".

"Kompetenz" meint ein Bündel von "fachlichen, sozialen, personalen, moralischen und emotionalen Kompetenzen". Indem Menschen als "kompetent" adressiert werden (und andere im logischen Umkehrschluss als inkompetent), ist derjenige oder diejenige, der oder die den Kompetenzansprüchen nicht genügt, nicht bloß als Mathematiker oder Geigenbauerin, sondern gleichsam vollends im Leben, "als Mensch" gescheitert. Kurzum: Diese Kultur produziert mit dem Könner den vollends Unfähigen gleich mit.

Ruhelose Gehetztheit macht sich breit. Kursstürze sind nie auszuschließen. Das Burnout ist die paradigmatische Krankheit des Zeitalters. Noch der Begriff selbst ist infiziert vom Geist der Erfolgsgesellschaft. Anders als bei der Depression muss sich jener, den das Burnout ereilt, seiner Krankheit nicht schämen. Im Gegenteil. Er kann sie wie ein Verwundetenkennzeichen der Leistungsgesellschaft tragen. Wer ausgebrannt ist, muss vorher ja für etwas gebrannt haben, ist also kein Low Performer, sondern ein Überperformer, was ja ein ruhmenswürdiger Defekt ist.

Welch ein Parcours der Begriffe: Effizienz, die ja erstrebenswert ist, schlägt um in einen Terror von Takt und Zeit, der genau das verhindert, was die Effizienz garantieren soll - nämlich innovative, originelle Lösungen. Kreativität, die wir uns alle wünschen, wird bis zum Letzten ausgebeutet und schlägt um in Selbstknechtung, dürfen wir doch nie im Leben Mittelmäßiges oder Durchschnittliches produzieren.

Gesellschaftliche Wettbewerbsmärkte mit ihren Zentralbegriffen Erfolg, Kompetenz, Leistung, Effizienz und Kreativität spannen also ein Kraftfeld auf, eine Matrix, in der wir modelliert werden und uns selbst ummontieren. Nicht alles daran ist schlecht. Kreativität ist besser als unkreativer Trott. Anerkannt werden in den Augen von anderen ist schön, und es zu erstreben ist kein Charakterfehler. Aber doch etabliert sich eine gesellschaftliche Bühne, und, wohlgemerkt, wir zimmern alle tagtäglich an ihr mit, "auf der bestimmte Typen der Persönlichkeitsentwicklung belohnt und andere bestraft werden", wie der amerikanische Ökonom Sam Bowles schrieb. "Indem wir lernen, in so einer Umgebung zu funktionieren, werden wir zu jemandem, der wir unter anderen Umständen nicht geworden wären."

Womöglich sind es diese schönen Sehnsuchtsbegriffe, mit denen wir uns, ohne es zu ahnen, neue gesellschaftliche Pathologien eingehandelt haben: die grassierende Gereiztheit, die Shitstorms, all den Neid, die wir auch als Rache an all jenen verstehen dürfen, die mehr Aufmerksamkeit haben, als ihnen zusteht, jedenfalls in den Augen derer, die überzeugt sind, sie hätten weniger davon, als ihnen zustünde. (Robert Misik, Album, DER STANDARD, 6.9.2014)