Mehrere besorgniserregende Ergebnisse, aber auch einige gute Nachrichten über das Bildungssystem hat die neueste OECD-Studie "Education at a Glance 2014" ("Bildung auf einen Blick") für Österreich parat. Die "umfassendste internationale Datensammlung zu Bildung und Kompetenzen", wie es in dem 728-Seiten-Kompendium über die Analyse von 34 OECD-Mitgliedstaaten und einer Reihe weiterer Länder, darunter G-20-Staaten (Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) sowie andere Partnerländer, heißt, wird weltweit in neun verschiedenen Städten präsentiert – an diesem Dienstagvormittag in Paris, Brüssel, Berlin, Madrid und Rom.

Die zentralen Aussagen für Österreich auf der Minusseite: In kaum einem anderen Land ist es so schwer, "nach oben zu kommen", also "Aufwärtsmobilität" durch Bildung zu schaffen, wie hierzulande – generell, aber besonders für Frauen. Der familiäre Hintergrund hat einen enormen Einfluss auf die Bildungschancen der Kinder, die Akademikerrate ist nach wie vor sehr niedrig, und um die Lesekompetenzen – sowohl in der jüngeren als auch in der älteren Bevölkerungsgruppe – ist es in Österreich nicht gut bestellt, was in der Folge negative Effekte für die Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt hat.

Auf der Plusseite stehen aber ebenfalls ein paar Dinge: Erneut sehr gute Noten gibt es für das berufsbildende Schulsystem und den im OECD-Vergleich niedrigen Anteil an jungen Menschen, die weder in eine Schule gehen, noch sonst eine Beschäftigung haben.

Grafik: Florian Gossy
Grafik: Florian Gossy

OECD-Generalsekretär Angel Gurría betont in seinem Vorwort die Bedeutung von Bildung und Kompetenzen als "Schlüssel zu einem Wachstum, von dem alle profitieren". Die neue Ausgabe von "Education at a Glance" zeige "deutlich, wie wichtig Bildung und Kompetenzen für den sozialen Fortschritt sind".

Dementsprechend zieht sich dann auch wie ein gesellschaftspolitisches Menetekel der stete Hinweis auf die soziale Dimension von Bildung bzw. deren Einfluss auf den "sozialen Fortschritt" durch die Studie. So warnt Gurría etwa vor einer "Vertiefung der sozioökonomischen Kluft, denn das Ausbildungs- und das Kompetenzniveau wirken sich in immer stärkerem Maße auf die Lebenschancen der einzelnen Menschen aus".

Nur Deutschland und Tschechien liegen noch weiter hinten

Was also sind die zentralen Botschaften für Österreich? Fangen wir mit den schlechten Nachrichten an. Sie betreffen das Thema Bildungsgerechtigkeit: In nur zwei anderen Ländern, die in die Analyse einbezogen wurden, weil es dafür Vergleichsdaten gab, ist es noch schwieriger, durch Bildung sozialen Aufstieg zu erreichen, als in Österreich – und das ganz besonders, und gegenläufig zu den anderen Vergleichsländern, für Frauen: Beim Indikator "Aufwärtsmobilität" zwischen den Generationen, der den Einfluss des familiären (Bildungs-)Hintergrunds der Eltern misst, rangiert Österreich abgeschlagen auf Rang 21 von 23 Ländern.

Dahinter kommen nur noch Deutschland und Tschechien, wo die Chancen für Kinder, einen höheren Bildungsstand als ihre Eltern zu erwerben, noch geringer sind.

Spitzenreiter bei der Ermöglichung von sozialem Aufstieg sind Finnland, Flandern (Belgien), Korea und die Russische Föderation, wo mehr als 55 Prozent der Kinder über einen höheren Bildungsstand als ihre Eltern verfügen. Dagegen haben nur 29 Prozent der 25- bis 64-jährigen Österreicherinnen und Österreicher, die nicht mehr in einer Ausbildung sind oder nicht mehr studieren ("Nichtschüler/Nichtstudierende"), einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern.

Und wo im OECD-Durchschnitt zwölf Prozent der Erwachsenen einen niedrigeren Bildungsstand als ihre Eltern haben, sind es in Österreich mehr als 15 Prozent. Österreich sticht – mit Deutschland, Italien, der Slowakei, Spanien, Tschechien und den Vereinigten Staaten – auch negativ heraus beim Anteil der Erwachsenen, die den gleichen Bildungsstand wie ihre Eltern erreicht haben. Hierzulande ist er nämlich höher als der Schnitt aller verglichenen Länder, wo er bei 40 bis 50 Prozent liegt.

Für Frauen ist es besonders schwierig

"Es scheint in Österreich besonders schwierig zu sein, einen Hochschulabschluss zu erlangen, wenn die Eltern weniger als einen Sekundarstufe-II-Abschluss haben", heißt es in der Österreich-Analyse – wenn die Eltern also nur Pflichtschule oder eine mittlere Schule ohne Matura haben. Die Zahlen: Im OECD-Schnitt ist die Chance für Kinder aus solchen Familien doppelt so hoch wie in Österreich (20 vs. 10 Prozent)

Überraschendes Detail beim Mobilitätsindikator: "Ungewöhnlich" sei, dass in Österreich Männer deutlich öfter "aufwärtsmobil" sind als Frauen (33 vs. 25 Prozent). In den meisten anderen OECD-Staaten ist es umgekehrt. Nicht nur ist der Aufstiegswert generell deutlich höher, dort schaffen im Schnitt 40 Prozent der Frauen und 38 Prozent der Männer ein höheres Bildungsniveau als ihre Eltern. Für Frauen ist in Österreich der soziale Aufstieg also besonders schwierig.

Achtung, abwärts geht's schnell

Aber nicht genug, dass in Österreich der soziale Aufstieg extrem schwierig ist – es ist auch umgekehrt die Chance überdurchschnittlich groß, dass nicht einmal das Bildungsniveau der Eltern erreicht wird, es also zu sozialem Abstieg kommt. Österreich ist das Land mit der höchsten "Abwärtsmobilität", selbst wenn die Eltern Akademiker sind. Während in allen anderen OECD-Ländern die Hälfte der Erwachsenen mit Akademikereltern ebenfalls Akademiker werden, sind es in Österreich nur 42 Prozent.

Im OECD-Schnitt befinden sich vier von fünf (83 Prozent) 15- bis 19-Jährigen in einer Schule, typischerweise einer höheren Schule, oder auf dem Weg zu einer Ausbildung im Tertiärsektor, also Uni oder Fachhochschule. Österreich liegt hier mit 79 Prozent unter dem OECD-Wert. Das setzt sich dann in einer entsprechend niedrigen Akademikerquote fort. Dazu heißt es in "Education at a Glance": "Der Zugang zum Tertiärbereich wird auch durch Ungleichheiten in vorgelagerten Bildungsbereichen beeinflusst."

Bereits aus der Pisa-Studie sei dieser Zusammenhang hinlänglich bekannt. Im Durchschnitt erzielt ein Schüler mit günstigerem sozioökonomischem Hintergrund 39 Punkte mehr in Mathematik als ein weniger begünstigter Schüler, was fast einem Jahr Unterricht entspricht. OECD-Schlussfolgerung: "Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung im Elementar-, Primar- und Sekundarbereich ist von essenzieller Bedeutung, um allen Schülern, unabhängig vom Bildungsstand ihrer Eltern, deren Beruf oder Erwerbsstatus, die Chance auf einen Zugang zum Tertiärbereich zu eröffnen."

Aus der Pisa-Studie wisse man auch, "dass sich die Leistungen von Schülern mit sozioökonomisch ungünstigem Hintergrund in mehreren Ländern, in denen stärker auf Chancengerechtigkeit ausgerichtete Maßnahmen entwickelt und umgesetzt wurden, verbessert haben".

Viel Geld für wenige Akademikerinnen und Akademiker

Insgesamt laboriert Österreich nach wie vor an einer vergleichsweise niedrigen Akademikerrate. Liegt der OECD-Akademikerschnitt für die 25- bis 65-Jährigen bei 33 Prozent, waren es in Österreich im Bezugsjahr 2012 20 Prozent. Damit liegt Österreich noch immer unter dem OECD-Wert des Jahres 2000 (22 Prozent), aber hat doch zugelegt (2000: 14 Prozent). Nimmt man die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen, befindet sich Österreich auf Platz 33 von 36. 23 Prozent Akademiker in dieser Altersklasse liegen doch weit unter den 40 Prozent der OECD-Länder insgesamt.

Dafür lässt sich Österreich die Produktion seiner vergleichsweise wenigen Akademiker einiges, nein: viel, sogar sehr viel kosten. Es zeigt sich einer der höchsten Beträge in der ganzen OECD. Österreich gehört zu den drei Ländern, die den höchsten staatlichen Aufwand für die Ausbildung von Akademikern haben.

So gibt der österreichische Staat für Akademiker um 68.000 US-Dollar mehr öffentliche Gelder aus wie für die Ausbildung eines Absolventen einer Schule im Sekundarbereich. Im OECD-Schnitt kommen Akademiker die Staaten rund 38.000 US-Dollar teurer als die Absolventen auf der nächstniedrigeren Bildungsstufe. Nur Dänemark und die Niederlande geben noch mehr für ihre Akademiker aus als Österreich.

Es lohnt sich aber trotzdem

Diese Investition macht sich allerdings auch bezahlt, nicht nur für die Hochschulabsolventen selbst, sondern auch für den Staat, weil Akademiker später mehr Geld durch Einkommenssteuern und höhere Sozialversicherungsbeiträge einbringen, aber auch niedrigere Kosten in Form von Sozialtransfers verursachen als Steuerzahler mit niedrigerer Bildung und entsprechend niedrigerem oder gar keinem Einkommen.

Laut "Education at a Glance" beläuft sich der staatliche Nettoertrag aus einer Investition in einen Abschluss im Tertiärbereich im OECD-Schnitt bei einem Mann auf mehr als 105.000 US-Dollar (81.060 Euro, mit Sekundarabschluss: 39.000 US-Dollar), bei einer Frau mit Uni-Abschluss auf mehr als 60.000 US-Dollar (mit Sekundarabschluss: 24.000 US-Dollar / 30.107 Euro). Unter Berücksichtigung der direkten Kosten, des entgangenen Einkommens und der öffentlichen Zuschüsse übertrifft der staatliche Nutzen bei einem männlichen Absolventen des Tertiärbereichs den staatlichen Aufwand um das Vierfache, bei einer Absolventin um das 2,5-Fache.

Bildung hilft gegen Arbeitslosigkeit

Dazu kommt, dass eine akademische Ausbildung noch immer ein sehr guter Schutz gegen Arbeitslosigkeit ist. In Österreich ganz besonders: Insgesamt sind im OECD-Schnitt mehr als 80 Prozent der Erwachsenen mit einem Hochschulabschluss in Beschäftigung, aber weniger als 60 Prozent der Erwachsenen mit einer Ausbildung unterhalb des Sekundarbereichs II, also einer höheren Schule mit Maturaabschluss. In Österreich hingegen ist die Kluft zwischen diesen beiden Gruppen sogar noch größer, seit dem Jahr 2000 liegt sie konstant bei 30 Prozentpunkten.

Altersübergreifende Leseschwäche

Einigermaßen trist ist der Befund zur Lesekompetenzen, bei denen es in Österreich quasi an allen Ecken und Enden mangelt. "Unbefriedigend" seien die Lesekenntnisse sowohl bei jüngeren als auch bei älteren Menschen, heißt es in der OECD-Analyse. Nur 13 Prozent der 25- bis 34-Jährigen schafft die höchsten Kompetenzlevels 4 und 5 beim Lesen, im OECD-Schnitt sind es 18 Prozent. Ähnlich das Bild in der älteren Generation: Von den 55- bis 64-Jährigen sind nur zwei Prozent unter den Besten, OECD-weit ist der Wert in dieser Altersgruppe mehr als doppelt so hoch (5 Prozent).

"Das ist besonders besorgniserregend", schreiben die OECD-Analysten, "weil Österreich eines jener Länder ist, in denen niedrige Kompetenzen einen signifikanten Einfluss auf Karrierechancen haben." Die Beschäftigungsraten für die Highperformer beim Lesen sind mit fast 90 Prozent (89) wesentlich höher als für Menschen, die nicht gut lesen können (73 Prozent).

Immerhin: Rechnen im Sinne von Alltagsmathematik liegt den Österreichern offenbar mehr, denn bei den rechnerischen Fähigkeiten rangiert das Land im OECD-Schnitt.

Berufliche Bildung eine starke Säule

Zum Positiven: Die berufliche Bildung wird erneut als "wichtige Säule des österreichischen Bildungssystems" hervorgehoben. Hier nimmt Österreich einen Spitzenplatz ein. Im Vergleichsjahr 2012 waren hierzulande 76 Prozent der Schüler, die eine höhere Schule, also die Sekundarstufe II (Schulen mit Matura, also AHS bzw. HAK, HTL, HBLA) besuchten, in einer berufsbildenden Schule. Das ist der zweithöchste Wert in der OECD.

Ganz vorne, auf Platz 4 von 37 Ländern, liegt Österreich auch mit seinem hohen Anteil jener Menschen, die als höchsten Bildungsabschluss eine höhere Schule der Sekundarstufe II, also mit Maturaabschluss, haben. 63 Prozent der 25- bis 64-Jährigen fallen in diese Gruppe, OECD-weit sind es 44 Prozent.

Wenige Weder-noch-Jugendliche

Besonders hervorgehoben wird auch der besonders niedrige Wert der "Weder-noch"-Gruppe: Mit 9,7 Prozent 15- bis 29-Jährigen, die weder eine Schule bzw. Ausbildung absolvieren, noch in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, liegt Österreich deutlich unter dem OECD-Schnitt von 15 Prozent.

Traditionell hoch ist die Attraktivität der österreichischen Universitäten für ausländische Studierende. 15 Prozent aller Studierenden hierzulande kommen aus dem Ausland, das gilt als eine der "höchsten Konzentrationen internationaler Studierender" in einem Land.

Überalterte Lehrerschaft

Bezüglich des Schulbereichs wird von der OECD darauf hingewiesen, dass "trotz hoher Einkommen die Lehrerschaft in Österreich rapide altert". In Österreich sind mehr als die Hälfte der Lehrer in der Sekundarstufe 50 Jahre und älter, im OECD-Schnitt 36 Prozent.

Dazu kommt eine problematische Altersdynamik: Während im Durchschnitt aller Länder mit vergleichbaren Daten der Anteil der Lehrkräfte im Sekundarbereich, die 50 Jahre und älter sind, zwischen 2002 und 2012 um vier Prozentpunkte und in Italien, Japan, Korea und Portugal um mindestens zehn Prozentpunkte gestiegen ist, waren es in Österreich sogar 26 Prozentpunkte. Umgekehrt steigen nur vergleichsweise wenige junge Pädagoginnen und Pädagogen in die Sekundarstufe I als Lehrerin oder Lehrer ein: 24 Prozent der Sekundarstufenlehrer sind unter 40 Jahre alt (OECD: 36 Prozent).

Hohe Lehrergehälter, wenige Unterrichtsstunden im Vergleich

Mit 78.500 US-Dollar (60.600 Euro) Jahresgehalt für Lehrer in der Sekundarstufe I (mit maximalen Qualifikationen, wie die OECD schreibt), bekommen österreichische Lehrer „eines der höchsten Gehälter in der OECD“, wo der Schnitt bei 53.686 US-Dollar (41.444 Euro) liegt. Österreich gehört neben Chile, Israel und Korea zu jenen Ländern, in denen die Gehälter in der obersten Gehaltsstufe mindestens doppelt so hoch wie die Anfangsgehälter sind.

Bei den zu unterrichtenden Stunden wird Österreich im Bericht neben Island, Japan, Tschechien, der Türkei und Ungarn explizit hervorgehoben: Es gehört nämlich zu jenen Ländern, in denen der Anteil der Arbeitszeit, die Lehrkräfte in der Sekundarstufe I im Unterricht verbringen, bei weniger als 35 Prozent liegt – wohingegen er etwa in Schottland 63 Prozent beträgt. (Lisa Nimmervoll, derStandard.at, 9.9.2014)