Robert Rosner und Brigitte Strohmaier: "Marietta Blau - Sterne der Zertrümmerung. Biographie einer Wegbereiterin der modernen Teilchenphysik", Böhlau Verlag, 2003

Foto: Boehlau Verlag

Dass die nicht einmal 30-jährige Physikerin Marietta Blau 1923 nur einen unbezahlten Job am weltberühmten Wiener Radiuminstitut fand, war nicht außergewöhnlich. Deutschnationale Kräfte machten es schon kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Intellektuellen und vor allem jüdischen Intellektuellen wie ihr schwer, Stellen zu finden.

Blau wurde in dieser Zeit von ihrer Familie finanziell unterstützt, wie Robert Rosner und Brigitte Strohmaier in der Biografie "Marietta Blau - Sterne der Zertrümmerung" (Böhlau, 2003) schreiben. Am Institut selbst fand sie in den Physikern Franz-Serafin Exner und Stefan Meyer Mentoren. Der Frauenanteil erreichte unter deren Leitung mehr als ein Drittel, was für damalige Verhältnisse erstaunlich war. Es herrschte eine Atmosphäre, in der sich Wissenschafter, egal welcher Herkunft und egal welchen Geschlechts, gemeinsam um neue Erkenntnisse bemühten. Der richtige Nährboden für Blaus wichtigste Arbeiten, die sie mit Hertha Wambacher umsetzte: Die beiden Forscherinnen arbeiteten mit fotografischen Methoden, um einzelne Teilchen nachzuweisen. 1937 entdeckten sie auf 2300 Metern Höhe in Fotoplatten Spuren der kosmischen Strahlung, die "Zertrümmerungssterne".

Nicht willkommen

1938 wurde diese Arbeit jäh unterbrochen. Blau flüchtete vor der Verfolgung durch die Nazis. Sie ging zuerst nach Oslo und kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs an die Technische Hochschule in Mexiko-Stadt. Wieder hatte sie einen prominenten Fürsprecher: Albert Einstein vermittelte ihr die Stelle und bemerkte in einem Brief: "Es handelt sich (...) um eine wirklich wertvolle Kraft, die sehr gut imstande wäre, mit bescheidenen Hilfsmitteln an irgendeiner Stelle wissenschaftliches Leben zu wecken." Marietta Blau fand aber in Mexiko-Stadt und später in den USA keine guten Voraussetzungen, um ihre Forschungen weiter zu betreiben. Ihre Arbeiten wurden von anderen fortgeführt und publiziert. Erwin Schrödinger schlug Blau und Wambacher zwar zum Nobelpreis vor. Erhalten hat ihn der britische Physiker Cecil Powell, dessen Forschungen auf ihren Arbeiten basieren.

Die Geschichte am Radiuminstitut wiederholte sich schließlich tragischerweise nach Blaus Rückkehr nach Wien. Für Wissenschafterinnen wie sie hatte sich offensichtlich nichts geändert: Von 1960 bis 1964 arbeitete sie wieder unbezahlt, erhielt zwar den Erwin-Schrödinger-Preis, verarmte aber im Laufe der Jahre. Blau war wie viele andere Emigranten in Österreich der 1960er-Jahre offenbar nicht willkommen. 1970 starb sie schließlich an Krebs - der mit ihrer Arbeit am Radiuminstitut in Verbindung gebracht wurde.

Dunkles Kapitel der Physikgeschichte

Offizielle Anerkennung erfuhr sie zu Lebzeiten nie. Erst 34 Jahre nach ihrem Tod wurden ihre Leistungen gewürdigt. 2004 wurde am Gymnasium Rahlgasse in Mariahilf, wo sie maturierte, eine Gedenktafel angebracht. Ein Jahr später benannte die Uni Wien einen Saal und die Stadt Wien eine Gasse im 22. Bezirk nach der Physikerin. Ein dunkles Kapitel der Physikgeschichte fand nur einen halbwegs versöhnlichen Abschluss. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 10.9.2014)