Beim Österreichischen Logistik-Tag in Linz war es das ganz große Thema: Experten diskutierten über Industrie 4.0 und deren Auswirkungen auf die Logistikbranche. Unter diesem Begriff werden die Entwicklungen hin zur "intelligenten Fabrik", deren Produktionsabläufe durch die Vernetzung von IKT und Herstellungs- und Logistikprozessen weitgehend autonom erfolgen, zusammengefasst. "Das Spannende daran ist, dass die Steuerung von Ablaufprozessen in Zukunft wesentlich dezentraler erfolgen wird", sagt Veit Kohnhauser, Leiter Logistik & Operations Management an der Fachhochschule Salzburg. Produkte, Maschinen und Behälter werden in Zukunft "miteinander reden", soll heißen, sich teilweise selbst steuern.

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Die „vierte industrielle Revolution“, kurz Industrie 4.0, erfordert ein Umdenken in der Branche, sind sich Experten sicher. Aber noch wissen die meisten Logistikunternehmen nicht, wie sie es anpacken sollen.
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Neue Lösungsansätze

Heute enden Datentausch und Transparenz häufig am Werkstor. Das soll sich in Zukunft ändern. Treibende Kraft ist die Konkurrenz aus Asien und Südamerika. Europas Wirtschaft kann auf volatilen Märkten nur mit neuen Lösungsansätzen in Produktion und Logistik reagieren, ist Kohnhauser überzeugt. Durch die frühzeitige Entwicklung von intelligenten Fabriken und vernetzten Produktionsanlagen ergibt sich für Exportunternehmen zum Beispiel im Maschinen- und Anlagenbau die Chance, als Leitmarkt in diesem Bereich zu agieren. Das deshalb, weil sich die Anlagen durch hohe Flexibilität, hohe Reaktionsgeschwindigkeit und geringere Fehlraten sowie kurze Leerlaufzeiten auszeichnen.

Schwachstellen werden schneller erkannt

Die Herausforderung für Logistiker: Sensoren und Datenträger übernehmen in Zukunft immer mehr Funktionen. Produkte können jederzeit eindeutig identifiziert und lokalisiert werden. Schwachstellen in der Lieferkette oder im Fertigungsbereich werden schneller erkannt und beseitigt. Die notwendige Infrastruktur und Standardisierung dafür muss allerdings erst geschaffen werden.

Auch die Prozesskostenoptimierung findet derzeit nur ansatzweise statt - sowohl zwischen Unternehmen als auch in den Unternehmen selbst. Das ist aber bei 4.0 zu wenig. "Eine ganzheitliche Sicht mit neuen Zugängen wie beispielsweise mit anwendbaren mathematischen logistischen Optimierungsmodellen lässt das Ziel der zweistelligen Prozesskostensenkung auch wirklich realistisch erscheinen", sagt Karl Knall, Geschäftsführer von Math.Tec in Wien

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In der Theorie greifen die einzelnen Elemente der intelligenten Produktion friktionsfrei ineinander. In der Praxis herrscht aber weitgehend Rätselraten.
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Die steigende Lieferfrequenz bei gleichzeitig kleiner werdenden Bestellmengen stellt die Logistik unter 4.0 vor neue Herausforderungen. Der E-Commerce-Handel führt dies klar vor Augen. Für Christian Rohrhofer, den wissenschaftlichen Techniker am Logistikum in Steyr, ist klar: "Die Logistik muss in der Lage sein, diese Veränderungen abfedern zu können und dabei trotzdem hohe Leistungen zu erbringen."

Höhere Frequenz, geringere Mengen

Die Frage, die sich jedes Unternehmen in Zukunft stellen muss, lautet: Wie kann man den Kunden helfen, einen Mehrwert zu schaffen, sagt Wilfried Sihn, Logistikexperte und Geschäftsführer von Fraunhofer Austria. Diesen Mehrwert müssen auch Logistiker bieten. Logistiker sollten beispielsweise ihre Lagerbewirtschaftung auf den Prüfstand stellen und sich fragen, welche Auswirkungen Industrie 4.0 auf ihre gegenwärtigen Dienstleistungen haben könnte. Ein Drittel der heimischen Logistiker beschäftigt sich bereits mehr oder weniger intensiv mit diesen Herausforderungen, doch bei den anderen zwei Dritteln sei das Thema noch sehr unterbelichtet. Sihn: "Die Logistiker sollten schleunigst nachdenken, wie sie sich auf die Entwicklung einstellen", sonst drohe der Verlust von Kunden.

Datensicherheit steht in den Vordergrund

Der Experte hat den Eindruck, dass gerade im Supply-Chain-Management heute viele wertvolle Ressourcen verschwendet werden. Der Weg zwischen Warenausgang und -eingang ist eine "Misstrauensstrecke", die die Akteure in den Griff bekommen sollten. "Warum nicht mit offenen Karten spielen und das Misstrauen öffentlich überwinden?", fragt Sihn. Entstehen würde das Misstrauen durch die Unsicherheit beim Datentransfer. Zweifellos ist die Frage der Datensicherheit einer der generellen Ursachen für das Misstrauen beim physischen Gütertransport. Hier müssten Barrieren weggeräumt und partnerschaftliches Miteinander in den Vordergrund rücken.

Aus Fehlern lernen

"Firmen leben in Kästchen" und müssten besser heute als morgen ihr bisheriges Agieren und Denken infrage stellen und sich auf die Entwicklungen von Industrie 4.0 einstellen. Österreichische Firmen können von den Fehlern lernen, die in Deutschland bei der Implementierung von Industrie 4.0 bisher passierten. Sihn schätzt, dass 50 Prozent der österreichischen KMUs schon von Industrie 4.0 gehört haben, aber damit noch wenig anfangen können. Den anderen 50 Prozent ist das Thema schon bewusst, sie wüssten aber noch nicht, wie sie es anpacken sollen. (Markus Trostmann, DER STANDARD, 17.09.2014)