Christoph Kappes startet mit Sascha Lobo die Buchplattform Sobooks.de . Das Interview entstand am Rande seiner Präsentation über "Das Lesen der Zukunft" in der "Medienlounge"-Reihe an der FH St. Pölten.

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STANDARD: Herr Kappes, mögen Sie's paradox? Sie stellen kommende Woche bei der Frankfurter Buchmesse mit Sascha Lobo eine Plattform für digitales Lesen vor - gänzlich online und mit Social-Media-Funktionen. Vor ein paar Wochen haben Sie sich von einer der prototypischen Social-Media-Plattformen - Facebook - abgemeldet. Und diese Woche präsentieren Sie Texte zum Medienwandel, die bisher nur im Web erschienen, in einem fetten gedruckten Buch. Wie geht denn das zusammen?

Kappes: Da muss ich auch kurz überlegen. Das Buch mit den Blogbeiträgen haben wir drei Herausgeber - Professor Krone lehrt ja hier in St. Pölten - vor allem für die Wissenschaft gemacht, um eine relevante Auswahl von Texten dauerhaft zitierbar zu halten, in zehn Jahren wäre ja schon vieles nicht mehr lesbar. Von Social Media bin ich eigentlich überzeugt, als neue Kommunikationsform, die mal mehr und mal weniger passt. Bücher liest man zwar im Stillen, aber sie sind doch auch Gesprächsstoff. Ich glaube, die Menschen werden selbst gut herausfinden, wann sie diesen Modus brauchen und wann nicht.

Und meine aktuelle Facebook-Abstinenz kann ich mir selbst nicht gut erklären. Ich habe nach fünf Jahren Intensivnutzung von sozialen Netzwerken echten Widerwillen entwickelt, mich immer wieder in vorgefertigte Interaktionsmuster pressen zu lassen, die völlig unklar sind, die sogar absichtlich unklar gelassen werden, damit mein "Engagement" für Werbezwecke genutzt werden kann. Ausserdem muss irgendjemand draussen bleiben und denen da drinnen zeigen, dass es auch einen Space gibt, der von Facebook nicht markiert ist.

STANDARD: Nun gibt es schon Social-Reading-Plattformen und Funktionen - Textstellen zu teilen, für andere sichtbar zu kommentieren. Warum sollte die Buchwelt auf Sobooks von Christoph Kappes und Sascha Lobo gewartet haben - abgesehen von deren Vermarktungspotenzial über Social Media? Was können Sie mehr oder anders?

Kappes: Bei uns kann man alles im Browser machen, den ganzen Prozess von Lesen, Teilen und Diskutieren und Kaufen. Dadurch kann jeder ohne Brüche lesen, morgens auf dem Handy, mittags auf dem Desktop-PC, abends auf dem Tablet, immer dasselbe Buch ohne irgendwelche Umstellungen. Das ist das Gegenmodell zu Amazon, das alle Software-Module kaum zusammengeführt hat und die Abhängigkeit des Lesers über Kindle-Hardware und Prime-Dienst hochschraubt.

STANDARD: Möchten Sie eigentlich ein neues Buch kaufen, in das andere schon ihre Anmerkungen gekritzelt haben?

Kappes: Nein. Ich möchte immer erst selbst verstehen. Danach will ich aber die Meinung anderer wissen. Und es gibt Bücher, wo ich gern gleich das Urteil von Experten wüsste. Die gute alte Frankfurter Anthologie ist zum Beispiel so etwas: Literatur wird erklärt, zugänglicher gemacht. Das finde ich auch politisch richtig, man würde das wohl "demokratischer" nennen.

STANDARD: Wie verhindern Sie, dass Userinnen und User auf Seite 427 des Buches XY auf Ihrer Plattform plötzlich strafrechtlich relevante Anschuldigungen gegen Autoren oder - dort oder ganz anderswo - Beschriebene posten?

Kappes: Es gibt ein Meldesystem für unangemessene Kommentare, die werden dann ausgeblendet und unseren Moderatoren vorgelegt.

STANDARD: Mit wie vielen Titeln werden Sie starten - und sind welche darunter, die ich nicht woanders auch bekomme? (kann man sagen oder andeuten, welche?)

Kappes: Wir fangen klein an, knapp 50, das können wir schnell hochdrehen, Verträge mit vielen Verlagen von Bastei Lübbe bis zur großen Random House-Gruppe haben wir ja. Am Anfang kommt es aber darauf an, das Softwareprodukt zu schleifen, so etwas benutzt man ja mehrfach täglich. Und wir müssen die Diskussionsformate beobachten und vielleicht erweitern. Wir wissen ja noch gar nicht was passiert, wenn viele Leute gleichzeitig in einem Buch diskutieren und wie das sechs Monate später wirkt.

STANDARD: Wie komme ich drauf, mein erstes Buch auf Sobooks zu lesen oder zu kaufen, wenn ich weder Ihnen noch Lobo folge, keiner meiner Freunde und Follower schon Ihr Kunde ist und mir eine Lese-Empfehlung mit Link schickt - und ich auch gerade kein Interview zur Buchmesse lese?

Kappes: Über gute Bücher wird gesprochen, auch im Internet, das ist ja der Witz, die Nachricht findet Sie. Außerdem werden wir sehr gut über Google auffindbar sein, besser als jeder Shop.

STANDARD: Was kostet eigentlich ein Buch bei Ihnen? Kaufe ich bei Ihnen Bücher oder miete ich quasi befristet das Nutzungsrecht, wird es Flatrates geben für X Bücher im Monat?

Kappes: Wir haben normale E-Book-Preise, wegen der Buchpreisbindung. Bei uns gibt es aber auch ein kostenloses Repertoire an gemeinfreien Klassikern und wir werden wohl Bücher stärker featuren, die unter zehn Euro sind. Bei digitalen Gütern sind die Leute seit iTunes gewohnt, eher kleinere Beträge zu zahlen, das aber häufiger als früher. Verlage müssen sich da mittelfristig anpassen.

STANDARD: Die "Süddeutsche" kündigt an, sie wolle Rezensionen künftig quasi zusammen mit Usern verfassen. Steckt da womöglich Sobooks dahinter? Oder wollen die Kollegen in München im Gegenteil mit der Ankündigung Sobooks zuvorkommen?

Kappes: Ich denke mal, die wollen uns zuvorkommen. Fragen Sie uns dazu bitte auf der Buchmesse nochmal.

STANDARD: Was haben Sie denn in das Projekt Sobooks investiert - und wann wollen Sie davon leben können? Gehört Sobooks nur Ihnen beiden, oder gibt es schon Investoren/Gesellschafter - womöglich gar Verlage?

Kappes: Wir sind vier Gründer, alle vom Fach und jeder arbeitet mit. Lobo und ich haben auch privat Geld reingesteckt, es gab eine kleine Förderung vom Land Hamburg und wir haben auch Business Angels, die uns den Rücken stärken.

STANDARD: Sascha Lobo hat Sobooks einmal etwas großspurig als Post-Amazon-Modell beschrieben - wie kommt er darauf? Kann man nicht auch dort Bücher kommentieren und teilen?

Kappes: Ja, wir sind natürlich der Nano-David gegen Amazon, aber wir hatten eben auch die Freiheit, 25 Jahre nach Erfindung des E-Books eben nicht wie ein Retailer der 90er, sondern mit heutigen Erkenntnissen den ganzen Buchprozess neu zu denken. Riesen, und vor allem Konzern-Riesen, sind da selten gut. Dabei ist die Idee, alles im Browser zu machen, eigentlich ganz simpel. Nur will Amazon das auch nicht, weil sie dann die Kontrolle über die Plattform verlieren.

STANDARD: Wollen Sie bei Start und Landung und während der vielen Flüge ohne Internetempfang grundsätzlich keine Bücher lesen? Man braucht ja selbst in Städten nicht weit zu fahren oder nur zu gehen, um zu merken, dass all die besten Handy-Netze des Landes da und dort weit entfernt von gutem Empfang, ja überhaupt Empfang sind. Als besser zum Sobooks-Abo auch ein gedrucktes Buch einstecken?

Kappes: Sie werden auch in der Browserversion Bücher speichern können, wenn Sie offline sind, da arbeiten wir schon dran. Und wir haben eine App, die nach der Buchmesse erscheinen wird, da können Sie dann auch 50 Bücher offline auf die Insel nehmen. Solange Sie Akku haben (lacht). (Harald Fidler, DER STANDARD, 4./5.10.2014; Langfassung)