Jakob Arjouni wäre am 8. Oktober 50 Jahre alt geworden.

Foto: Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Als Jakob Arjouni am 8. Oktober 2004 vierzig wurde, feierten wir in Frankfurt. Jakobs Verlag, Diogenes, hatte eine Überraschungsparty organisiert. Einige Freunde waren bei der Buchmesse engagiert, ein paar andere kamen aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Ich reiste aus Zürich an, wo ich damals wohnte, und machte im Zug noch mein Geburtstagsgeschenk fertig, mit der Hand in ein kleines Büchlein gekritzelte, persönliche Linernotes für eine CD, auf der ich zehn Lieder zusammengeschnitten hatte.

Jakob liebte Musik, obwohl er nicht direkt musikalisch war. Aber er hatte eine Obsession für Rhythmen. Sein Schreiben, sagte er einmal, drehe sich vor allem um Rhythmus. Das war ein originelles, aber auch rätselhaftes Statement, zumal Jakob Arjouni für den gesellschaftlichen Tiefgang seiner Krimis bekannt geworden war, für den Humor, mit dem er seine Hauptfiguren ausstattete, für die politische Entschlossenheit, mit der er einem durch keine Konventionen beschränkten Gerechtigkeitsbegriff nachspürte.

Sein berühmtester Held war der türkischstämmige Privatdetektiv Kemal Kayankaya. Er sah aus wie ein Türke, sprach aber nur Hessisch. Er kriegte alle Vorurteile ab, wusste sich aber gut zu wehren. In Happy Birthday, Türke ermittelte Kayankaya im Drogenmilieu, in Mehr Bier unter rabiaten Umweltschützern, in Ein Mann, ein Mord in der Schattenwelt der Asylanten. Dann bekam Kayankaya zehn Jahre Pause, bevor er in Kismet zwischen die Fronten des Jugoslawienkriegs geriet, der sich auch ins Frankfurter Bahnhofsviertel verlagert hatte. Der letzte Kayankaya-Roman Bruder Kemal war, als Jakob Arjouni vierzig wurde, noch nicht geschrieben.

Die Feier fand in Jakobs Frankfurter Lieblingskneipe statt, dem "Kanonensteppel". Man kann die Hütte ohne weiteres mit einem großen Wiener Heurigen vergleichen, nur dass es da "Äppelwoi" zu trinken gibt, einen gar nicht so harmlosen Apfelmost, und deftiges Essen, gewöhnungsbedürftigen Sauermilchkäse mit Zwiebeln, oder, formidabel, Ochsenbrust mit grüner Sauce. Jakob, der auf einen unspektakulären Abend mit ein paar Verlagskollegen gewesen war, fiel aus allen Wolken, als immer mehr Leute, mit denen er nicht gerechnet hatte, auftauchten und den Kanonensteppel langsam, aber sicher in eine Partyzone verwandelten. Es gab ziemlich viel Äppelwoi, ziemlich viel grüne Sauce, vielleicht sogar ein paar Schnäpse, und als die Hütte zu einer unmöglich frühen Tageszeit zusperrte, verlagerte sich der harte Kern in den "Frankfurter Hof", wo am Ende jedes Buchmessentages sowieso alle, die noch stehen können, zusammenkommen.

Jakob war glücklich. Er war in Form, virtuose Schlagfertigkeit, keckerndes Lachen, Verarschungskaskaden, gerührte Umarmungen. Hätte er gewusst, dass in Frankfurt eine Party für ihn geschmissen würde, wäre er wahrscheinlich gar nicht erst angereist. Er konnte Verpflichtungen ums Verrecken nicht leiden, und welcher Verpflichtung entkommt man schwerer als einer Party zu eigenen Ehren? Bei fast jeder Verabredung, die er wahrnahm, deponierte Jakob gleich einmal eine Sicherheitsausrede, um, falls nötig, wieder abhauen zu können.

Jakobs erster Held

Umso lieber blieb er an diesem Abend. Daniel Kampa von Diogenes schleppte eine Flasche Champagner nach der nächsten an, und abgesehen davon, dass sich Jakob mit Champagner im Frankfurter Hof angemessen gewürdigt fand, war er natürlich auch schon redlich betrunken und surfte auf dem Champagner-High bis in die frühen Morgenstunden. Es war ausgelassen, es war lustig, es war schön. Es war eine Nacht, in der sich die alte Ostbahn-Kurti-Weisheit empirisch erhärtete, dass die Zeit zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh doppelt so schnell vergeht wie zwischen zwölf und achtzehn Uhr am Nachmittag. Und es war die einzige Geburtstagsparty, die Jakob - nein, nicht schmiss - für sich schmeißen ließ.

Ich schreibe das genau zehn Jahre später, an Jakob Arjounis 50. Geburtstag. Jakob ist seit fast zwei Jahren tot. Er starb an Bauchspeicheldrüsenkrebs, einer besonders deprimierenden Krankheit, weil sie jede Hoffnung auf Genesung ins Lächerliche zieht. Als Jakob die Diagnose erhielt, war er nach vielen Jahren in Paris und Südfrankreich gerade erst wieder nach Berlin gezogen, hatte eine neue Wohnung am Lietzensee bezogen und die Arbeit an einem neuen Kayankaya-Roman begonnen, zehn Jahre nach Kismet. In der Zwischenzeit waren vier andere, völlig unterschiedliche Romane entstanden: Hausaufgaben, eine Abrechnung mit dem linksliberalen Lehrerstand, Chez Max, eine Science-Fiction-Story, der Gaunerroman Der Heilige Eddy und die Neonazi-Novelle Cherryman jagt Mister White.

Als ich ihn fragte, warum er wieder zu Kayankaya zurückkehre, antwortete Jakob: "Ich habe Lust gehabt, nach Hause zu kommen. Ich wollte mich auf vertrautem Terrain mit jemandem bewegen, den ich seit langem kenne und mag." Kayankaya ist 1957 geboren, Arjouni 1964. Jakobs erster Held hatte ihm also sicherheitshalber ein paar Jahre voraus, was einleuchtet, wenn man weiß, dass Arjouni Happy Birthday, Türke mit 21 schrieb und es auch im richtigen Leben gern hatte, wenn er in Gesellschaft eines breitschultrigen, älteren Freundes unterwegs war. Er fühlte sich dann sicherer.

Kayankaya wird übrigens gemeinsam mit seinem Autor älter und auch ein bisschen weniger wild. In Bruder Kemal, einer Kulturbetriebsposse, hat er es sich, wenigstens im Vergleich zu früher, schon in einer ziemlich bürgerlichen Existenz eingerichtet. Kayankayas Wohnung ist nicht mehr so schmuddelig wie seinerzeit im Bahnhofsviertel, und die harten Getränke lässt er inzwischen weg. Am auffälligsten aber ist, dass eine gewisse Wärme durch das Buch weht, die einer beiläufigen, aber wichtigen Liebesgeschichte geschuldet ist - für so etwas wäre der junge Kayankaya nicht zu haben gewesen. Zärtlichkeit fand damals maximal zwischen den Zeilen der Gespräche statt, die Kayankaya morgens um vier mit seinem Kumpel Slibulski führte, inklusive harter Getränke und nie ohne Pointe.

Ein abgeschlossenes Werk

Dass er schwer krank war, erfuhr Jakob mitten während der Arbeit an Bruder Kemal. Ich habe das Buch in der Zwischenzeit immer wieder nach Indizien durchsucht, die darauf hindeuten, dass die Krankheit sich auch in der Story blicken lässt. Immer noch kann ich keine solchen Hinweise entdecken. Jakob erzählte mir, dass er einige der schrecklichsten Momente - jene, in denen klar wurde, dass seine Bauchschmerzen nicht auf harmlose Gallenblasenbeschwerden, sondern auf den tödlichen Krebs zurückzuführen seien - nur deshalb überstand, weil er sich in die nächste Szene seines Buches imaginieren konnte, weil er eskapistisch nach dem Satz suchte, der diese Szene richtig einleitete und nach dem nächsten Satz, der den Rhythmus dieses Satzes aufnahm und ihn - den Autor, der sich gleichzeitig als erster Leser verstand - zwangsläufig und immer tiefer in die Welt hinüberführte, in der Kayankayas Dinge zwar schwierig standen, aber sich zum Guten wenden würden. Jakob war sterbenskrank, aber für Kayankanya dachte er sich Witze aus.

In der New York Times schrieb William Grimes, die Arbeit an Bruder Kemal sei ein Wettlauf gegen den Tod gewesen. Das stimmte nicht ganz. Bruder Kemal wurde fast zu früh fertig, denn die Idee, mit seinem alten Kumpel Kayankaya noch ein bisschen mehr Zeit zu verbringen, und sei es mit geschlossenen Augen auf dem Krankenbett, spendete Jakob Trost und die Gewissheit, selbst trotz der ganzen Scheiße jederzeit mit Kayankaya einkaufen oder was trinken gehen zu können, Rituale, die er selbst über alles liebte. Noch in den letzten Wochen seines Lebens ging er jeden Samstag auf den Wochenmarkt am Karl-August-Platz in Charlottenburg, um dort das beste Gemüse auszusortieren und selbst dann noch mit Kennerblick ein paar fette Würste für die Familie einzukaufen, als er selbst nichts mehr davon essen konnte.

Ich frage mich, ob er zu seinem Fünfziger eine Party geschmissen hätte. Wäre er gesund geblieben, hätte er wahrscheinlich nichts dagegen gehabt, dass ein paar Freunde wie zufällig bei "Mariella" in der Leonhardstraße auftauchen, diesem wunderbaren italienischen Imbiss, den Jakob bald nach seiner Ankunft in Berlin zu seiner Lieblingskneipe erklärt hatte. Das Licht der Sonne fällt durch die Schlucht der Friedbergstraße bis spät in den Nachmittag genau auf den Platz vor der Kneipe, so, dass man auch im Herbst auf dem breiten Trottoir sitzen kann, um einen Schluck Rotwein zu trinken und eine Zigarette zu rauchen, ganz hatte sich Jakob das Rauchen ja nie abgewöhnt.

Vielleicht hätte es auch im "Kanonensteppel" wieder ein bisschen gescheppert. Es ist Buchmessenzeit. Könnte gut sein, dass ein neuer Arjouni am Start wäre und wenn schon Party, dann hier. Jetzt gibt es alle fünf Kayankaya-Romane in einem Buch, die der Verlag zu seinem 50. Geburtstag herausgebracht hat, aber die Freude über das sorgfältig gemachte Buch verblasst hinter der Trauer, dass es sich dabei um ein abgeschlossenes Werk handelt.

Wir müssen die Sinnfrage also mit Kayankaya erörtern. Auf die fällige Frage, woran er glaubt, antwortet der: "Keine Religion, keine Sternzeichen, keine warmen Steine oder Glückszahlen. Wenn ich Halt brauche, nehme ich mir ein Bier."

Guter Tipp. (Christian Seiler, Album, DER STANDARD, 11./12.10.2014)