Nikolay-Leitner: Schlechterbezahlung
von Frauen ist Dauerbrenner.

Foto: Regine Hendrich

Bald 24 Jahre ist es her, dass Ingrid Nikolay-Leitner beruflich zu dem wurde, was sie bis heute ist: Im Jänner 1991 trat sie als erste und bis 1998 einzige Gleichbehandlungsanwältin Österreichs an. Damals mit dem Ziel, zwischen Männern und Frauen im Arbeitsleben mehr Gerechtigkeit einkehren zu lassen.

Angesiedelt war die neue Stelle nicht, wie oft vermutet wird, im früheren Frauenministerium Johanna Dohnals (SPÖ), sondern im Sozialministerium. Doch die Funktionsbezeichnung war eindeutig weiblich: "Es hieß Gleichbehandlungsanwältin und nicht -anwalt. Auch ein Mann in diesem Job wäre damals Gleichbehandlungsanwältin gewesen. Das hat der Verfassungsgerichtshof in der Folge für korrekt befunden", sagt die Juristin und Pädagogin.

Als Frau, die mit feministischem Anspruch die Sache der Frauen vertritt, wurde Nikolay-Leitner in der Folge dann auch wahrgenommen. Aufregerin Nummer eins sei von Anfang an die Einkommensfrage gewesen, sprich: die Schlechterbezahlung von Frauen. Bei den Beschwerden sei dieses Problem ab dem ersten Tag im Mittelpunkt gestanden, erinnert sich die heute 61-Jährige.

Dazu sei als Aufreger Nummer zwei das Thema der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz gekommen. Nikolay-Leitner: "Das wurde intensiv diskutiert." Resultat: Gleich nach ihrem Einstand befand sich die neue Gleichbehandlungsanwältin im Mittelpunkt öffentlichen Interesses.

"Typische Feministin der 1970er-Jahre"

Davor hatte sie im Hintergrund gewirkt. Von Dohnal und dem SPÖ-Langzeitbundeskanzler Bruno Kreisky "für die Sozialdemokratie politisiert", hatte sie als Mitarbeiterin des Frauen-Staatssekretariats die Reden Dohnals zu Themen wie Arbeitsmarkt und Kunst geschrieben. Nun war sie "in den ORF-Diskussionsrunden fast Stammgästin".

In dieser Anfangszeit habe sie "das Exponiertsein genossen", schildert die 1953 Geborene. Sie kommt aus einer eher konservativen Sieben-Kinder-Familie in Wien und bezeichnet sich selbst als "typische Feministin der 1970er-Jahre". Heute hingegen sei sie "froh, nicht den extrem belastenden Weg als Politikerin eingeschlagen zu haben". Was Medienkontakte angehe, lasse sie "lieber die Jungen vor".

Damit meint sie die inzwischen elf Gleichbehandlungsanwältinnen des Bundes, die neben ihr als Leiterin in der diesbezüglichen Wiener Behörde werken. Zusammen mit ihren Kolleginnen in den Länderbüros Graz, Klagenfurt, Linz und Innsbruck beackern sie auf der Grundlage von EU-Richtlinien und eines wenig überschaubaren, weil uneinheitlichen österreichischen Gleichbehandlungsgesetzes ein weites Feld sozioökonomischer Ungerechtigkeiten - von der Genderfrage hin zu Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit oder des Alters.

Mehrfachdiskriminierung als Tabu

Diese moderne Gleichbehandlungs-Vielseitigkeit habe Vor- und Nachteile, sagt Pionierin Nikolay-Leitner. So rücke etwa - ein Vorteil - das "in Österreich noch kaum diskutierte" Phänomen der Mehrfachdiskriminierung (als Frau und Migrantin, als Migrant und wegen der Religion usw.) unaufhaltsam in den Mittelpunkt. Ähnlich sei es mit der Altersdiskriminierung, die in einem bisher öffentlich wenig wahrgenommenen hohen Ausmaß existiere. Doch - ein Nachteil - das geschehe viel langsamer als in den 1990er-Jahren, wo die ganze Aufmerksamkeit auf das Gender-Thema fokussiert habe.

Ein Mann-Frau-Problem hingegen ist ihr seither fast unverändert erhalten geblieben: der in Österreich besonders klaffende Gender-Gap bei den Einkommen. Dieser, so Nikolay-Leitner, sei Folge eines Missverhältnisses: "Dass über das Thema seither viel gesprochen, sich aber nichts Substanzielles geändert hat". (Irene Brickner, DER STANDARD, 4.11.2014)