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Lediglich vier Prozent der Studierenden kommen über die Berufsreifeprüfung an die Uni.

Die Pubertät hat bei Daniel Skina "sehr schwer zugeschlagen". Er war schlecht in der Schule und "wenig ambitioniert". Kurz vor der Matura hat Skina die Schule geschmissen und ist als Au-pair nach Frankreich gezogen. "Als ich zurück nach Wien kam, war mir klar, dass ich die Schule fertig machen werde – aber auch, dass da ein paar Jahre dazwischenliegen werden", erzählt der heute 30-Jährige. "Mein Umfeld hat die Schule absolviert, ich hatte keine großen Perspektiven am Arbeitsmarkt gesehen ohne eine Ausbildung."

Skina entschied sich daher für einen Lehrberuf, parallel dazu holte er die Matura nach. Für ihn "der letzte wichtige Schritt ins Erwachsenwerden und in die Selbstständigkeit". Aus seinem Interesse an der Literatur entschloss sich der Mattersburger schließlich für eine Lehre zum Buch- und Medienwirtschafter bei einer Wiener Buchhandlung.

"Ich wollte etwas machen, für das ich Leidenschaft habe", erzählt er. Es war ihm "wichtig, eine Ausbildung in einem Berufsfeld zu machen, mit dem ich mich identifiziere und für das ich Leidenschaft entwickeln konnte". Auch wenn der Lehrberuf dann doch nicht so viel mit der Literatur zu tun hatte. "Man arbeitet halt", sagt Skina.

Vertiefende Ausbildung

Neben der Lehre machte Skina die Matura nach. Ein Jahr nach seinem Lehrabschluss wurde er auch damit fertig und begann nebenher zu studieren. Während seiner Zeit als Student arbeitete er weiter geringfügig in seinem Lehrbetrieb. "Es war für mich von vornherein klar, die Lehre war ein wichtiger Punkt meiner Ausbildung, aber nicht der letzte. Ich habe die Matura nur gemacht, um zu studieren", erklärt er die Wahl zu seinem Kunstgeschichtestudium, das er im vergangenen Jahr abschloss: "Die Uni war wunderbar. All das, was mich zu Schulzeiten sehr gestört hat, das Lehrer-Schüler-Verhältnis, die hierarchischen Mechanismen von dörflichen Schulen, habe ich an der Uni kompensieren können." In der Schule habe er sich nie toleriert oder akzeptiert gefühlt, die eigenen Anliegen und Talente hätten keine Rolle gespielt. "Das Korsett des Schulsystems ist ja auch sehr eng geschnürt und nicht flexibel", sagt er. Das Studium war die erste Ausbildung, die Skina nach seinen Interessen gestalten konnte.

Die Gründe dafür, dass Lehrlinge, die bereits in der Erwerbstätigkeit stehen, sich für ein Studium entscheiden, sind vielfältig. "Einige wollen sich in dem Fach, in dem sie ausgebildet sind, auch auf einer universitären Ebene vertiefen", sagt Roland Löffler vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung. Einschlägige Fachhochschulbildungen seien hierbei etwa interessant, denn sie würden "weitere Karrieremöglichkeiten im Unternehmen ermöglichen".

Lehre als Zwischenschritt

Auch Stephanie Marx entschied sich für eine Lehrstelle. Nach dem Abitur in Thüringen kam ein Hochschulstudium für ihre Eltern nicht infrage, sie hätten es nicht unterstützt. "Sie wollten, dass ich einen Beruf ausübe, arbeiten gehe", erzählt die 30-Jährige. Marx wurde Hotelfachfrau, wusste aber, dass das "nicht die letzte Entscheidung" in ihrem Bildungsweg sein würde. Aber es war eine Möglichkeit, vom "Rockzipfel der Eltern" wegzukommen und selbstständig zu werden.

Nach der Lehre und drei Jahren als Rezeptionistin erfüllte sich Marx den Wunsch, an die Uni zu gehen. Am Anfang sei es schwierig gewesen, sich im Germanistikstudium einzufinden: "Ich habe mich sehr unwohl gefühlt. Ich war ja schon 24, als ich begonnen habe, alle anderen waren sehr jung", sagt sie. Zusätzlich hatte sie keine staatliche oder elterliche Unterstützung, dadurch stand das "finanzielle Prekariat" immer im Hintergrund. Weshalb sie nebenher weiter erwerbstätig war. Heute ist Marx Vorsitzende der Hochschülerschaft an der Universität Wien und studiert Germanistik im Master und Philosophie im Bachelor.

48 Prozent aller Studienanfänger haben wie Marx eine AHS-Matura absolviert, 40 Prozent erreichen ihre Studienberechtigung durch eine BHS-Matura. Lediglich sechs Prozent erlangen den Hochschulzugang "nichttraditionell", davon vier Prozent durch die Berufsreifeprüfung. Ungefähr 1.1000 Lehrlinge befinden sich aktuell in Programmen der Berufsreifeprüfungen. Durch diese werde die Durchlässigkeit an den Unis stark erhöht, meint Löffler. "Dadurch können sich Lehrlinge auch in Studienrichtungen tertiär weiterbilden, die nicht unmittelbar mit dem Lehrberuf zu tun haben", sagt der Berufsbildungsforscher. "Der einmal gewählte Beruf ist oft nicht der Lebensberuf." Die Entscheidung, eine Lehre zu absolvieren und später trotzdem die Branche zu wechseln, sei auch eine wichtige Motivation.

Benefit durch Doppelausbildung

Heute ist Skina Teamleiter bei der Nationalbibliothek. Durch sein Studium habe er zwar einen "Benefit, den andere Lehrlinge nicht haben", am meisten in seiner Ausbildung habe ihm aber die Lehre gebracht. "Meine Lehrstelle und meine Berufserfahrung haben mir den Weg geebnet", sagt er.

Wenn Lehrlinge in ihrem "abgestammten Berufsfeld" bleiben, dann seien zusätzliche akademische Abschlüsse zwar nicht unmittelbar ein Vorteil, "aber bringen Aufstiegsmöglichkeiten im Unternehmen, die sonst nur Absolventen einer vollschulischen Bildung mit Studium zur Verfügung stehen", sagt Löffler. Durch die Universität erlange man wissenschaftlich fundierte Kenntnisse, die von Vorteil seien. Gegenüber Uniabsolventen, die direkt von der Schule an die Uni gekommen sind, kämen den Absolventen mit doppelter Ausbildung ihre praktischen Kenntnisse zugute, etwa im technischen Bereich: "Durch die Erfahrung können sie Probleme schon im Planungsprozess und in der Umsetzung besser verstehen." (Oona Kroisleitner, derStandard.at, 16.11.2014)