"Dein Himmel ist der meine nicht mehr. Die Zeit, in der du dich bewegst, hat nicht mehr viel mit dem Raum zu tun, in dem ich mich bewege. Noch gehe ich vorwärts und habe die Zukunft im Blick. Du querst in Riesensprüngen eine Vergangenheit, die mir nicht mehr vertraut ist." Es dauert eine ganze Weile, bis die Krankheit, die im Untergrund von Beatrix Kramlovskys neuem Buch Der vergessene Name wütet, beim Namen genannt wird: Alzheimer. Das im Eingangszitat angesprochene Du heißt Sigrid, sie ist bzw. war eine erfolgreiche, vitale Juristin, die nun mit zunehmender Geschwindigkeit der Furie des Vergessens anheimfällt.
Der namenlos bleibende Mann, der sich an sie wendet, ist ihr Gatte, ein Journalist Anfang 60. Große Reportagen hat er geschrieben, und es ist noch nicht lange her, dass er glaubte, erklären zu können, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die Krankheit seiner Frau ist auch für ihn ein Massaker der Illusionen. In einem kreisenden Erzählprozess, durchzogen von Dialogen mit Sigrid, der die Welt abhandenkommt, nimmt der Erzähler die Erinnerungsspur auf.
Es wird ihm klar, was er alles verpasst und verhindert hat. Ein gemeinsames Haus zum Beispiel, ein zweites Kind neben der Tochter Marion. Auch sie wird im Verlauf des Buches verschwinden, so wie Paul, der beste Freund des Erzählers. Aus der Unschärfe von Sigrids Erinnerung tritt hingegen eine neue Figur auf den Plan: Karl.
Der Erzähler wusste bisher nichts von ihm. Gar nichts. Was weiß man? Was bleibt? Was ist wichtig? Es sind große Fragen, die dieses schmale Buch aufwirft – und zwar ohne dem Leser Antworten oder eine eindimensionale Deutungsmöglichkeit aufzudrängen. (Stefan Gmünder, Album, DER STANDARD, 22./23.11.2014)