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Die Sozialistische Partei, eine Abspaltung der Kommunisten, wirbt mit Putin. Die Kommunisten hingegen könnten zum Joker werden, sie suchen die Balance zwischen Westen und Osten.

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In dem Einkaufszentrum neben dem "Park der Kathedrale" im Herzen von Chisinau, schwimmen Goldfische in einem Wasserbecken. Gold ist die Farbe des Ostens. Man findet es nicht nur auf den Dächern der orthodoxen Kirchen, sondern auch in der Mode. Im trüben Novemberwetter hilft das Glitzern ein wenig. Auch der Glamour der wenigen Reichen wirkt in dem armen Land anziehend.

Der 25-jährige Alexandru F. wird kommenden Sonntag Renato Usatii wählen, einen Millionär, der in Russland mit der Zulieferung von Treibstoff an die Eisenbahnen sein Geld gemacht hat. Usatii und seine Partei Patria tauchten erst vor ein paar Monaten auf und sind klar prorussisch. Manche sehen in ihm nur den verlängerten Arm des Kreml. Am Donnerstag beantragte die Wahlkommission sogar, dass Patria von den Wahllisten gestrichen wird. Die Begründung: Die Partei werde mit 8,1 Mio. Lei (426.000 Euro) aus Russland finanziert. Die Parteispitze protestierte und nannte das Vorgehen so kurz vor den Wahlen eine politische Aktion. Ein Gericht bestätigte noch am Donnerstag den Antrag der Wahlkommission, wonach Patria am Sonntag gar nicht gewählt werden kann. Doch Usatii kündigte an, dass er beim Höchstgericht berufen wird.

Anti-Korruptionswahlkampf

Tatsächlich wäre eine Nichtteilnahme, der einzigen wirklich aussichtsreichen prorussischen Partei demokratiepolitsch bedenklich. Offiziell setzt Usatii auf einen Anti-Korruptionswahlkampf. Was bei jungen Leuten wie Alexandru F. gut ankommt, ist aber der Slang den Usatii benutzt. Er spricht wie die Kids auf der Straße, vulgär und angriffslustig. Alex F. ist aber auch mit Usatiis politischen Ausrichtung einverstanden. Denn der junge Mann, der für eine Webpage über russischen Fußball berichtet, wird auch von einem russischen Unternehmen bezahlt. In Rubel, nicht in der moldauischen Währung Lei.

Auch der 19-jährige Vladislav Daminescu wird Usatii wählen. "Er bezahlt sich selbst und nutzt den Staat nichts aus", erklärt er seine Motive. "Und er macht viel für die Leute. Er hat einem tauben Mann eine Wohnung gekauft." Tatsächlich versucht Usatii mit zur Schau gestellter Mildtätigkeit Wähler zu überzeugen. Daminescu, der Tourismus studiert, imponiert aber vor allem der Erfolg. Er selbst will "wenn sich nichts ändert, nicht in Moldau bleiben". Daminescu plant nach Paris zu gehen und dort ein Hotel zu führen. Wie viele seiner Landsleute sieht er keine Zukunft in dem Staat mit 3,1 Millionen Einwohnern, von denen 22 Prozent unter der Armutsgrenze leben. Viele Moldauer haben bereits vor vielen Jahren ihr Land verlassen, etwa 600.000 arbeiten in Westeuropa, 260.000 in Russland. Moldau hängt stark von den Auslandsüberweisungen (etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr) ab. Sie machen laut der Weltbank 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.

Nicht so rebellisch

Die meisten Moldauer wollen aber gar nicht ihr Land verlassen. Am wichtigsten sind ihnen Jobs, von denen sie leben können. Die 35-jährige Viktoria T., eine Anwältin hofft, dass die EU-Annäherung diese wirtschaftliche und soziale Entwicklung bringen wird. "Alle meine Freunde und ich, wir gehen zu den Wahlen, um die proeuropäischen Parteien zu wählen", erzählt sie. "Wir hoffen, dass Europa uns hilft." Viktoria T. hat Angst vor einem Szenario wie in der Ukraine, aber sie glaubt nicht, dass die Leute auf die Straße gehen werden. "Wir Moldauer sind nicht so rebellisch wie die Ukrainer, wir sind konfliktscheu und haben keinen revolutionären Geist", sagt die Frau mit dem Burberry-Schal, bevor sie weiter eilt.

Ein zweites Euromaidan-Szenario ist auch unwahrscheinlich, weil es nicht danach aussieht, als würden die prorussischen Kräfte gewinnen. Dennoch steckt die Regierungspartei ihre Grenzen ab. "Wir werden nicht akzeptieren, dass sich die Richtung in die Moldau geht, ändert", sagt die liberaldemokratische Politikerin Liliana Palihovici. Auch Regierungssprecher Vlad Kulminski schließt nicht aus, dass es zu "einem Szenario wie in der Ukraine kommt, wenn man den Weg Richtung EU verlassen würde". "Niemand will einen scharfen U-Turn. Aber wenn die prorussische Seite gewinnt, dann könnte es zu Protesten kommen", so Kulminski.

Ärger über Klon-Kommunisten

Andererseits wollen die Kommunisten keine Eskalation. Mihail Barbulat von der Kommunistischen Partei ist eher besorgt, dass es Wahlfälschungen geben könne. "Wir haben gesehen wie andere Parteien Kartoffeln und Zucker verteilt haben." Was die Kommunisten besonders ärgert sind aber die Klon-Kommunisten, eine kürzlich entstandene Partei, die auch mit Hammer und Sichel wirbt und die aufgrund eines Verfassungsgerichtsurteils eigentlich gar nicht antreten dürfen. Dass sie es trotzdem tun gilt in Moldau als ein möglicher Unruhefaktor in der angespannten Situation. "Die zentrale Wahlkommission hätte die Partei zurückweisen müssen", sagt Barbulat. "Wir glauben, dass es politisch motiviert ist, dass sie dies nicht getan haben. Wenn die Regierungsparteien mit dem Wahlergebnis nicht zufrieden sind, könnten sie den Antritt der Klon-Kommunisten verwenden, um insgesamt die Wahlen für ungültig zu erklären", mutmaßt er.

Barbulat sitzt in einer schicken Villa. Vor der Parteizentrale steht eine Lenin-Büste, davor liegen ein paar rote Nelken. Drinnen hängt eine rote Fahne mit Hammer und Sichel an der Wand. Im oberen Geschoss sitzt der langjährige Parteichef und Präsident, Vladimir Voronin und telefoniert. Die Kommunisten könnten am Ende der Joker sein.

"Auf den Boden trampeln"

Die Aussagen von Regierungspolitikern, dass sie einen Euromaidan in Moldau nicht ausschließen würden, nimmt sein Parteifreund, der ehemalige Kulturminister Barbulat, nicht sehr ernst. "Wenn man einer Schlange Angst machen will, dann muss man auf den Boden trampeln. Die versuchen nur die Wähler zu manipulieren", sagt er. Barbulat meint, dass es auch gar keinen Sinn machen würde, wenn die Regierungsparteien nach den Wahlen protestieren würden. "Gegen wen denn? Gegen den freien Willen der Wähler?" Die allermeisten Leute in der moldauischen Hauptstadt Chisinau wollen keine gefährlichen geopolitischen Spiele, sondern mit "Russland und Europa in Freundschaft sein", wie etwa der 23-jährige Adrian S. sagt. Auch der 25-jährige Valentin Kovalenko hat "Angst vor dem Krieg und Provokationen zwischen Russland und Moldau". Er glaubt, dass die USA nicht an guten Beziehungen mit Russland interessiert sind. "Von der EU weiß ich das nicht", meint er. Der PR-Fachmann ist aber ziemlich sicher, dass Moldau wieder eine proeuropäische Regierung bekommt und die Annäherung an die EU weiter geht. "Wir haben ja bereits die biometrischen Pässe und Visafreiheit." Kovalenko hofft, dass sich dann auch die innenpolitische Situation beruhigen wird.

Drohungen der Investoren

Der Regen der letzten Tage hat sich in den Löchern der Gehsteige gesammelt, sodass die Leute permanent versuchen müssen, die Wasserlacken zu umgehen. Chisinau hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Hier fahren teure Autos, in manchen Geschäften bekommt man Luxus-Produkte, die man in anderen Staaten Südosteuropas niemals kaufen könnte. Viele neue Restaurants und schicke Caféhäuser sind entstanden. Im Hotel Codru trifft sich am Abend die Business-Community um Beaujolais zu verkosten. Die Investoren drohen damit das Land zu verlassen, wenn die prorussische Seite wieder an die Macht kommt. Außerhalb der Stadt fällt ziemlich schnell die tiefe Armut ins Auge. Über ein Viertel der Menschen leben von der Landwirtschaft. Das russische Embargo, das Schritt für Schritt seit einem Jahr ausgebaut wird, setzt diesen Menschen schwer zu. Und viele Leute glauben nicht, dass die Politiker überhaupt irgendetwas anderes im Sinn haben als ihre eigenen Interessen, egal ob proeuropäisch oder prorussisch.

"Ministerium für Jugendprobleme"

Alexandru Petrov vom moldauischen Jugendrat bekrittelt, dass nach Recherchen der Zivilgesellschaft, die Paarteien im Durchschnitt nur 14 Prozent ihrer Wahlversprechen erfüllt haben. Er erzählt, dass die Institutionen viel zu wenig zusammenarbeiten würden. "Heuer hat allein drei Mal der Jugendminister gewechselt", so Petrov. Petrov, dessen Organisation sich gegen die grassierende Korruption im Bildungsbereich einsetzt, erzählt, dass vieles noch nach dem alten Sowjet-System ausgerichtet sei. So würde das Ministerium im Russischen noch als "Ministerium für Jugendprobleme" benannt sein. Dementsprechend würde mit den Anliegen der jungen Leute umgegangen. Von den 40 Jugendzentren die mit Hilfe von Geldern aus dem Ausland errichtet worden seien, seien nur etwa zehn in Betrieb, so der junge Mann, der aussieht wie eine moldauische Ausgabe von James Dean. Er war auch eine Zeit in den USA. "Und das war gut, weil dort habe ich Hoffnung geschöpft. Ich bin voller Kraft zurückgekehrt. Ich habe verstanden, dass Veränderung möglich ist." (Adelheid Wölfl aus Chisinau, Langfassung, DER STANDARD, 28.11.2014)