Die Gebärdensprache soll Unterrichtssprache werden, fordert die Grüne Abgeordnete Helene Jarmer.

Foto: oegs

Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist keine Muttersprache. Das hat zumindest der Kärntner Landesschulrat beschieden, nachdem eine Mutter einen Antrag auf Sprachentausch für ihre gehörlose Tochter gemäß Schulunterrichtsgesetz gestellt hatte. Mit dem Sprachentausch wollten die ebenfalls gehörlosen Eltern der Schülerin einer Handelsakademie in Kärnten unter anderem erwirken, dass für ihre Tochter die Gebärdensprache als Unterrichtssprache gilt und dass sie das Recht bekommt, Prüfungen in ihrer Muttersprache, also der Gebärdensprache, per Dolmetsch abzulegen.

Die Schülerin erhielte somit das Recht auf barrierefreien Unterricht, könnte komplizierte Sachverhalte direkt nachfragen und sich das gebotene Wissen so wie ihre Kolleginnen unmittelbar aneignen. Deutsch würde damit den Status der ersten lebenden Fremdsprache erhalten.

Keine "lebende Fremdsprache"

Im Oktober habe die Handelsakademie aber festgestellt, dass ein "Wechsel der Sprache nur mit einer lebenden Fremdsprache laut Lehrplan möglich ist", wie es in einem Bescheid des Kärntner Landesschulrats heißt, der dem STANDARD vorliegt. Bei der ÖGS sei das nicht der Fall. Folglich sei es nicht möglich, die Gebärdensprache an die Stelle des Unterrichtsgegenstands Deutsch treten zu lassen.

Nach einem Einspruch der Familie befand nun auch der Kärntner Landesschulrat: Die Anerkennung der ÖGS als Muttersprache sei schulrechtlich nicht vorgesehen. Bei der derzeitigen Rechtsgrundlage gehe auch die Forderung "für einen Sprachentausch ins Leere, zumal es keinen schulrechtlichen Anspruch auf Erfüllung der Forderung gibt".

Landesschulrat würde "sofort" zustimmen

Im Gespräch mit dem STANDARD begründet Landesschulratspräsident Rudolf Altersberger den Bescheid: "Wir stecken als Landesschulrat in einem gesetzlichen Korsett." Er selbst erkenne die ÖGS als Muttersprache an und würde dem Antrag auf Sprachentausch "sofort" zustimmen, aber: "Wir dürfen nicht." Vom Gesetzgeber fordert Altersberger diesbezüglich, Rechtsklarheit zu schaffen und den Sprachentausch für Gehörlose "endlich" zu ermöglichen. Bis dahin helfe die Schule mit Stützlehrern, so gut sie könne.

Schon im Jahr 2005 hat das Parlament die ÖGS als eigenständige Sprache anerkannt. Seither heißt es in der Verfassung: "Die Österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache anerkannt. Das Nähere bestimmen die Gesetze". Jedoch: Auf das Schulunterrichtsgesetz hatte dieser Beschluss bis dato kaum Auswirkungen.

Ministerium will sich der "Frage widmen"

Die grüne Abgeordnete Helene Jarmer fordert im Zusammenhang mit der ÖGS als Unterrichtssprache eine Arbeitsgruppe im Bildungsministerium, die sich besonders mit den Schulgesetzen befasst. In der Folge sollen die nötigen Gesetzesänderungen dem Nationalrat vorgelegt werden. Auf Anfrage erklärt das Unterrichtsministerium dazu: "Die österreichische Gebärdensprache ist als eigenständige Sprache im Artikel 8 der Bundesverfassung anerkannt. Es bedarf einer näheren gesetzlichen Bestimmung zur Umsetzung im Schulbereich." Das Bildungsministerium werde sich dieser Frage auch im Zuge der Umsetzung der Inklusiven Bildung in Österreich widmen.

"Bürokratische Sauerei"

Ursprünglich habe die Familie ihren Antrag im Unterrichtsministerium eingebracht, sagt Franz Dotter, emeritierter Professor für Sprachwissenschaft, im Gespräch mit dem STANDARD. Er begleitet die Familie seit Jahren in der Causa.

Das Unterrichtsministerium habe den Antrag allerdings der betreffenden Schule beziehungsweise dem Landesschulrat zugewiesen. "Hätte das Unterrichtsministerium einen ablehnenden Bescheid ausgestellt, wäre direkt der Gang zum Verfassungsgerichtshof möglich. Mit der Ablehnung durch den Landesschulrat kann als nächste Instanz nur das Bundesverwaltungsgericht angerufen werden", kritisiert Dotter. Die Kärntner Causa sei sei auch kein Einzelfall, der Sprachwissenschafter ortet eine "bürokratische Sauerei auf Kosten der gehörlosen Kinder".

Buchinger: "Rechtsstreit mit Bildungsministerium"

Behindertenanwalt Erwin Buchinger erklärt dem STANDARD, er habe mehrmals vorgeschlagen, den "Rechtsstreit mit dem Bildungsministerium" auf die "handfestere Frage" einer ausreichenden Unterstützung durch gebärdensprachlich unterstützten Unterricht zu konzentrieren. Gleichstellungsrechtlich, das heißt auf dem Boden des Bundesbehinderten-Gleichstellungsgesetzes, sei in dieser Frage nichts zu gewinnen.

Buchinger geht davon aus, dass der Verfassungsgerichtshof mit dieser Frage befasst wird, möglicherweise auch der Behindertenrechtsausschuss der Vereinten Nationen. Dieser könnte feststellen, ob die Nichtanerkennung der Gebärdensprache als Muttersprache eine Verletzung des UN-Behindertenrechtskonvention bedeutet. Buchinger: "Ich bezweifle beides, schließe es aber auch nicht aus."

Drastische Auswirkungen für gehörlose Kinder

Die mangelnde Förderung gehörloser Kinder wirkt sich laut der Grünen-Abgeordneten Jarmer drastisch auf die Betroffenen aus. Gehörlose Kinder hätten bei Eintritt in die Schule, also mit sechs Jahren, eine Wortschatzkompetenz, die jener eines zweijährigen hörenden Kindes entspreche. Zum Pflichtschulabschluss, also mit 15 Jahren, verfüge ein gehörloses Kind lediglich über den Sprachschatz eines achtjährigen hörenden Kindes.

"Der mangelnde Wortschatz ist nicht primär auf die Gehörlosigkeit zurückzuführen, sondern auf fehlende frühe sprachliche Förderung der Kinder und Jugendlichen", sagt Jarmer. Diese könne aber nur in der Gebärdensprache erfolgen, da diese für gehörlose Kinder die einzig mögliche Muttersprache darstelle.

74 Prozent der rund 10.000 gehörlosen Menschen in Österreich sind laut Jarmer funktionelle Analphabeten, nur drei Prozent von ihnen verfügen über die Matura, lediglich ein Prozent habe einen Universitätsabschluss. Die Statistik Austria erklärt auf Anfrage, keine Zahlen zu Gehörlosigkeit und Bildungsstand zu führen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 11.12.2014)