Die griechische Regierung kämpft seit Monaten um ihr politisches Überleben. Im Versuch, ihre politische Handlungsfähigkeit wiederzugewinnen, zog sie die Präsidentenwahl um zwei Monate vor. Bis Ende Dezember finden im Parlament drei Wahlgänge statt. Diesen Mittwoch scheiterte die erste Runde. Der Kandidat der Regierung, Stavros Dimas, erhielt Zustimmung von nur 160 Abgeordneten. Das sind nur fünf mehr, als die Regierungsparteien gemeinsam haben. Falls die Regierung auch beim letzten Termin nicht die nötigen 180 von 300 Stimmen erzielt, muss das Parlament Anfang 2015 neu gewählt werden. Da die Regierung über wenig Rückhalt verfügt, sind Neuwahlen wahrscheinlich.

Umfragen zeichnen ein klares Bild, wie diese Neuwahlen ausgehen würden: Die konservative Nea Dimokratia von Regierungschef Samaras stürzt auf den zweiten Platz ab. Ihr Koalitionspartner, die sozialdemokratische Pasok, fällt auf fünf Prozent. Wie bei der EU-Wahl im Mai liegt in Umfragen die Linkspartei Syriza vorne, die das Ende der Kürzungspolitik und Sofortmaßnahmen gegen die humanitäre Krise ankündigt.

Seit fünf Jahren setzt die griechische Regierung unter Aufsicht von EU-Kommission und EU-Regierungen ein brutales Kürzungsprogramm um: Abbau von Arbeitsrechten, Massenentlassungen in Schulen, Universitäten und Krankenhäusern, massive Einschnitte bei Pensionen und Sozialleistungen haben Griechenland in die tiefste Rezession eines europäischen Landes seit 1945 gestürzt. Davon hat die Bevölkerung offensichtlich genug. Entscheidet sie sich für einen anderen Weg, steht das politische Programm der europäischen Eliten infrage.

Eigentlich gehört es zu den Prinzipien der EU-Kommission, sich nicht in nationale Wahlen einzumischen. Doch offenbar liegt ihr viel daran, die griechische Politik auch künftig bestimmen zu können. Zuletzt erklärte Kommissionschef Juncker im ORF: "Ich denke, die Griechen wissen sehr genau, was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Eurozone bedeuten würde." Er hoffe, dass weiterhin "bekannte Gesichter" und nicht "extreme Kräfte" das Land anführten. Dieser Drohung müssen europäische Demokraten entgegnen: Nein, Herr Juncker! Was richtige und falsche Wahlergebnisse sind, entscheidet nicht die Kommission, sondern die griechische Bevölkerung. Junckers Äußerung ist ein inakzeptabler Eingriff in ihre politische Souveränität.

Es ist kein Geheimnis, dass Juncker und Syriza politisch wenig gemeinsam haben. Dennoch unterstützte ihr Vorsitzender Alexis Tsipras, Spitzenkandidat der europäischen Linken bei der Europawahl, Junckers Anspruch auf die Kommissionsspitze. "Ich stimme mit Herrn Juncker politisch nicht überein, aber ich respektiere das Wahlergebnis", sagte Tsipras. Wahlentscheidungen und den Willen der Bevölkerung zu respektieren ist ein demokratischer Mindeststandard - auch zwischen politischen Gegnern. Diesen Mindeststandard verletzt Juncker im Dienst seiner politischen Agenda.

Warum diese Entgleisung? Für Juncker und die übrigen Verfechter der europäischen Kürzungs- und Verarmungspolitik sind Privatisierungen, der Abbau des Sozialstaats und die Deregulierung des Arbeitsmarktes die wichtigsten Ziele. Sie fürchten nichts mehr als den Versuch eines politischen Kurswechsels. Also muss die Demokratie sich fügen. Sie muss, mit Angela Merkel gesprochen, "marktkonform" werden: Denn Juncker und Co bereiten die Reaktionen der "Märkte" - genauer der Konzerne und Investoren - größere Sorgen als die Tatsache, dass mehr als ein Drittel der Griechinnen und Griechen nicht mehr krankenversichert sind.

Das führt zur absurden Situation, dass Juncker ganz unverblümt die korrupten Altparteien Nea Dimokratia und Pasok unterstützt - also jene "bekannten Gesichter", deren jahrzehntelange Herrschaft Griechenlands Probleme verursacht hat.

Junckers Aussagen waren nicht der erste Angriff auf die Entscheidungsfreiheit der Griechen. Schon bei der Wahl 2012 hatte ein Trommelfeuer neoliberaler Politiker, Ökonomen und Banker so viel Angst und Unsicherheit in Griechenland verbreitet, dass die Altparteien und ihre Kürzungspolitik knapp gewinnen konnten. Dieser Bruch der Demokratie darf sich nicht wiederholen. Man muss mit Syriza politisch nicht übereinstimmen, um das Recht der Griechen zu verteidigen, ihr Parlament selbst und ohne Nötigung von außen zu wählen. Daher müssen alle, denen die Demokratie ein Anliegen ist, in den nächsten Wochen wachsam sein: Finger weg von der Demokratie! (Martin Konecny, Lida Mittendrein, DER STANDARD, 19.12.2014)