Peggy Adam
"Gröcha"

Avant-Verlag 2014
104 Seiten, schwarzweiß, 19,95 Euro

Adam-Gröcha-Avant
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Die franko-italo-schweizerische Comiczeichnerin Peggy Adam.

privat

Eine Kleinstadt in der Schweiz, irgendwann in der Zukunft: Menschen, die mit Gesichtsmasken durch die Straßen hetzen oder fluchtartig die Stadt verlassen. Stacheldraht, Straßensperren, Gesundheitszeugniskontrollen, Zwangsquarantäne. Die Polizei stellt unangenehme Fragen, sucht nach körperlichen Anzeichen einer nicht näher benannten "Infektion". Das alles passiert wie beiläufig, ohne die Dramatik entsprechender Hollywood-Blockbuster. Die Bilder einer zukünftigen Katastrophe, die Peggy Adam in ihrem Social-Fiction-Comic "Gröcha" zeigt, lassen Erinnerungen an Ebola, Sars, Schweinegrippe und andere Epidemien wach werden.

Mittendrin in diesem dystopischen Szenario lebt Emma. Sie ist gezeichnet, in mehrerlei Hinsicht: Sie kann das mysteriöse Verschwinden ihrer kleinen Tochter nur schwer verwinden, hört nicht auf, von ihr zu träumen und ihre Gestalt zu sehen. Ihr Chef ist schon schwer genervt von ihrer geistigen Abwesenheit. Marc, der Vater des Kindes, lässt sie im Stich und sich so gut wie gar nicht mehr blicken. Gezeichnet ist auch ihr Gesicht – ein dunkler Fleck, wie ein blaues Auge. Ein Feuermal, wie Emma den Behörden beteuert. Ist sie auch infiziert?

Grenzerfahrung zwischen Wahn und Wirklichkeit

Immer mehr Menschen versuchen, die Stadt zu verlassen, um in den umliegenden Bergen Zuflucht zu suchen. Marc gelingt es, die scharfen Kontrollen zu umgehen, und er macht sich auf den Weg zu einer ominösen Hütte, die sich als ein Schlüssel zu den vergangenen Geschehnissen entpuppen wird.

In der Einsamkeit der Natur wird das wahre Ausmaß des Grauens immer deutlicher. Alles scheint ausgestorben – buchstäblich, wie unheilvolle Anzeichen der Infektion verraten. Doch es gibt auch Leben in den versteckten Bergdörfern, wo noch Rätoromanisch gesprochen wird. Der Weg zur Hütte gerät immer mehr zu einer Grenzerfahrung zwischen Wahn und Wirklichkeit: Marc wird verfolgt von Trugbildern – und seltsam agierenden Tieren.

Feindselige Tiere

Die Tiere scheinen jedenfalls von dem rätselhaften Virus verschont. Feindselig beäugen sie in den Wäldern und auf den Almen das Geschehen und stoßen grässliche Töne aus. Hirsche, Vögel, Kühe, Murmeltiere – sie alle scheinen zu kommunizieren. Hier kommt auch "Gröcha" ins Spiel: Das ist nicht etwa rätoromanisch für Krocha, sondern heißt "Dreck" auf Deutsch und ist der Name eines Hirtenhunds, der immer wieder auftaucht.

Die verlaufende Tusche aus Peggy Adams Feder scheint zu schreien vor Schmerz. Die Berglandschaft in Grau und Schwarz und einem bisweilen grell blendenden Himmel wirkt über jede menschliche Tragödie erhaben. Ein undefinierbares Dröhnen hallt als bildhafte Geräuschkulisse immer wieder durch die düsteren Bilder. Als Emma zur Hälfte des Buches endlich Marc eingeholt hat, um zu klären, was er wirklich über das Verschwinden der Tochter weiß, kommt es zum Machtkampf und schließlich zur Eskalation.

Mensch versus Natur

Was bleibt, ist ein fatalistisches Bild von der Zukunft, das letztlich das Verhältnis von Mensch und Natur infrage stellt. Die soziale Einöde durch Entfremdung und Vereinzelung, der verlorene Kontakt zur Umwelt – es sind nur allzu bekannte Phänomene, aus denen es hier keinen Ausweg mehr gibt. Eine Flucht ist zwecklos. Die Figuren bleiben leider sehr blass in diesem Comic, traumwandlerische Sequenzen lassen viel Spielraum zur Interpretation, vieles bleibt im Dunklen. Trotzdem ist "Gröcha" ein spannender Öko-Thriller, mit Anflügen zwischen David Lynch, Hitchcock und dem Alpen-Klimakatastrophenfilm "Blutgletscher".

Das Bild der Frau und Mutter, die sich der Gewalt eines Mannes entziehen will, taucht hier nur in Ansätzen auf, erinnert aber doch an Peggy Adams vorherigen Band "Luchadoras" (2013 auf deutsch im Avant-Verlag erschienen). Darin verarbeitet die in Genf lebende Französin mit italienischen Wurzeln die nach wie vor ungeklärten Frauenmorde in der mexikanischen Stadt Ciudad Juarez – und deren Wurzeln in einem übermächtigen, rohen Machismo. Auch so ein Thema, das nach wie vor traurige Aktualität hat. (Karin Krichmayr, 19.5.2015)