Wien - "Warum darf ich nicht mit ihnen musizieren? Ich gehöre doch dazu! Ich bin doch der Konzertmeister!" Diese Worte soll Arnold Rosé ausgerufen haben, als der 74-Jährige, über viele Jahrzehnte einer der bedeutendsten Geiger, sich unmittelbar nach dem "Anschluss" plötzlich von seinem Orchester ausgeschlossen sah. Rosé gelang die Flucht nach London; seine Tochter Alma wurde in Auschwitz ermordet.

1938 ging ein tiefer Riss durch alle Bereiche der österreichischen Gesellschaft und also auch durch die Wiener Philharmoniker. Ein neues Buch verdeutlicht dies bereits durch sein Cover: Es zeigt das Orchester mit dem Dirigenten Arturo Toscanini, einem der wenigen, der sich dem Wahnsinn von Anfang an widersetzte. Das Foto ist zerrissen: Sinnbild für den plötzlichen Bruch, den der "Anschluss" zur Realität machte.

Schon zuvor waren einige Orchestermitglieder "illegale" Parteigenossen der NSDAP geworden, schließlich betrug der Anteil während des Dritten Reiches fast 50 Prozent. Rund ein Viertel der Philharmoniker wurde verfolgt, ermordet oder vertrieben. Diesen Schicksalen wird im Buch in siebzehn biografischen Skizzen vor allem nachgegangen. Erschütternd sind nicht nur die Geschichten jener, die den Nationalsozialismus nicht überlebten.

Fast genauso bestürzend sind die antisemitischen Tendenzen, die bereits für die Zeit vor 1938 vor allem auf Basis mündlicher Quellen namhaft gemacht werden - und vielleicht noch verstörender die ausgewerteten Tonbandprotokolle der philharmonischen Hauptversammlungen nach 1945. Sie zeugen davon, wie der alte Geist weiterwirkte. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass eine Entnazifizierung im Orchester praktisch nicht stattgefunden hat.

Späte Öffnung

Was allerdings Dirigent Josef Krips festhielt, der nach Kriegsende das Wiener Kulturleben neu organisierte, dass eine Entlassung aller politisch Belasteten einer Zerstörung des Klangkörpers gleichgekommen wäre, fehlt im Buch. Denkbar drastisch wird allerdings die Atmosphäre in der Nachkriegszeit beschworen, die, so Autor Fritz Trümpi, von einer umfassenden "Schuldabwehr" bestimmt wurde. Umso wichtiger ist die späte Aufarbeitung, die erst durch die - späte - Öffnung des Orchesterarchivs ermöglicht wurde. Denn die Geschichte der unerwünschten Philharmoniker gehört zur Historie des Orchesters dazu - so wie Arnold Rosé. (daen, DER STANDARD, 27./28.12.2014)