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Der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un bei seiner diesjährigen Neujahrsansprache. "Die Revolution kommt erst, wenn der Diktator stirbt", sagt der aus Nordkorea geflüchtete Aktivist Kang Choel-hwan.

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Aktivist Kang Choel-hwan flüchtete 1992 nach Südkorea.

Foto: Fabian Kretschmer

derStandard.at: Viele Experten hat es überrascht, dass sich Nordkorea nach dem UN-Bericht sehr besorgt über seinen Ruf in der internationalen Gemeinschaft zeigte. Gaben Ihnen die vergangenen Monate Hoffnung, dass sich die Menschenrechtssituation im Land verbessern wird?

Kang: Im Grunde hat sich Nordkorea schon immer um seinen Ruf im Ausland gekümmert, auch wenn sie es früher nicht so stark nach außen hin gezeigt haben. Sie mussten sich damals nicht so sehr um ihr Image sorgen, denn auch so konnten sie immer wieder Sympathisanten für sich finden – etwa unter den politischen Linken in Südkorea. Das hat sich geändert: Mittlerweile setzt sich hier so gut wie niemand mehr offen für Nordkorea ein, deshalb trifft die Kritik das Land auch härter. Das Regime ist weniger stabil als früher.

derStandard.at: Noch in den Neunzigern saßen doppelt so viele Insassen in den politischen Arbeitslagern ein. Mittlerweile werden nur mehr die Beschuldigten selbst verhaftet, es wird nicht mehr die gesamte Familie weggesperrt. Wieso diese Änderung?

Kang: Das hat unter anderem damit zu tun, dass es mittlerweile unzählige Flüchtlinge gibt. Allein mehr als 27.000 von ihnen leben in Südkorea. Wenn man also wie früher deren gesamten Angehörigen bestrafen wollte, dann würde es das Volk nur noch unruhiger machen und eine Reihe weiterer Flüchtlinge provozieren. Zudem steht die Wirtschaft des Systems kurz vor dem Kollaps, sodass der Zwangsarbeit in den Lagern eine wichtige Rolle zukommt. Die dort hergestellten Waren werden auch exportiert – etwa nach Japan oder Europa.

derStandard.at: Sie vergleichen das Kim-Regime immer wieder mit Nazi-Deutschland unter Hitler. Inwieweit gleichen sich die Systeme?

Kang: Die brutale Verfolgung der politischen Gegner, die Arbeitslager, die Geheimpolizei – es lassen sich viele Parallelen finden. Wie der Nationalsozialismus betrachtet das nordkoreanische Regime seine Feinde nicht als vollwertige Menschen. Das System hat von seiner Struktur her übrigens viele Elemente des Christentums übernommen und missbraucht: Genau wie die Messe am Sonntag gibt es in Nordkorea jede Woche Vorlesungen, Ideologieunterricht, Kritikbühnen. In Nordkorea will man die Gedanken des Volkes manipulieren, dass man an den Führer glaubt wie an einen Gott.

derStandard.at: Das Kim-Regime ist weit mehr als sechs Jahrzehnten an der Macht, doch nie gab es Revolutionsbewegungen oder einen ernstzunehmenden Aufstand. Wie deuten Sie das?

Kang: Nehmen Sie den Nationalsozialismus unter Hitler oder den Stalinismus: Bei solchen Regimen kann man auch nicht behaupten, dass Revolutionen möglich gewesen wären. Das System ist sehr gewalttätig und diktatorisch. Die Revolution kommt erst, wenn der Diktator stirbt oder sich das Regime aufgrund äußerer Umstände verändert. In China ist das genau so passiert: Das Land öffnete sich erst unter den Reformen von Deng Xiaoping. Unter Mao wäre ein Tiananmen-Aufstand nicht denkbar gewesen.

derStandard.at: Als Aktivist kämpfen Sie gegen das Regime unter anderem mit USB-Sticks und DVDs, auf denen regierungskritische Informationen abrufbar sind. Auf welchen Weg gelangen diese ins Land?

Kang: Als wir 2007 damit angefangen haben, haben wir noch Radios geschickt. Damals hat ein örtlicher Fernsehsender aus Seoul 5000 Geräte gespendet. Der Schmuggel läuft stets über China. Die genauen Details kann ich nicht nennen, denn Nordkoreaner können ja auch mitlesen. Nur so viel: An der chinesischen Grenze werden auf den nordkoreanischen Märkten einerseits Waren angeboten, die offen verkauft werden, aber natürlich auch illegale, die die nordkoreanische Regierung verbietet – etwa Radios. Einer der möglichen Wege ins Land führt über chinesische Händler, die die Ware über Lkws transportieren. An der Grenze zu Nordkorea muss man den Zollbeamten bestechen. Mittlerweile haben wir auf diese Weise bereits über 40.000 DVDs in den nordkoreanischen Markt geschleust. Durch Aktionen wie diese wird das Regime instabiler.

derStandard.at: Woher nehmen Sie an, dass externe Informationen Nordkoreas Achillesferse ist?

Kang: Regelmäßig bekommen wir Geheimdokumente aus Nordkorea zugespielt, etwa Akten von der Sicherheitspolizei. Dort steht sehr genau aufgeführt, wie stark westliche Medien bereits verbreitet sind und wie sehr die Behörden über dessen Einfluss besorgt sind. Es gibt zum Beispiel Fälle, in denen hochrangige Beamte solche Informationen in die Hände bekommen und sich gegen das Regime äußern. Wir hoffen darauf, dass unsere Informationen später eine Revolution auslösen könnten. Wenn man einen Krieg vermeiden will und eine friedliche Wiedervereinigung anstrebt, gibt es nur einen Weg: Das nordkoreanische Regime muss ausgewechselt werden – durch eine Revolution von innen.

derStandard.at: Einer Ihrer – mittlerweile verstorbenen – Onkel war ebenfalls Journalist. Wie unterscheidet sich der Berufsstand in Nordkorea vom westlichen Journalismus?

Kang: Natürlich gibt es dort keinen Journalismus, der vergleichbar mit der westlichen Auffassung wäre. Die Medien stehen unter totaler Kontrolle der Partei. Alle Zeitungen werden von einer eigens dafür zuständigen Abteilung zensiert. Früher diente die "Rodong Sinmun", das Parteiorgan, noch der gesamten Arbeiterpartei. Mittlerweile ist sie zu einer einzigen PR-Maschine für Kim Jong-un geworden. Ihr einziger Zweck ist es, das Regime zu schützen und den Führerkult aufrechtzuerhalten. Manche Artikel der "Rodong Sinmun" sind umrahmt – das soll bedeuten, dass der "Große Führer“ sie persönlich gelesen hat.

derStandard.at: Als Sie als Flüchtling in Seoul ankamen, mussten Sie sich misstrauische Fragen von südkoreanischen Journalisten gefallen lassen. Sind die Vorurteile gegen nordkoreanische Flüchtlinge noch immer weit verbreitet?

Kang: In Talkshows im südkoreanischen Fernsehen findet man immer noch Leute, die allen Ernstes glauben, dass man sich in den Arbeitslagern frei bewegen und diese verlassen dürfe. Sogar einige Abgeordnete behaupten weiterhin, dass man uns Flüchtlingen nicht alles glauben sollte. Diese Leute sind manipuliert von Nordkorea. Sie streuen das Misstrauen gegen die nordkoreanischen Flüchtlinge.

derStandard.at: Wenn man Umfragen Glauben schenkt, dann interessieren sich die meisten Südkoreaner nicht besonders für die aktuelle Situation ihres Nachbarn.

Kang: In Südkorea wird zwar viel über eine mögliche Wiedervereinigung diskutiert, aber man redet kaum über die Menschenrechtsverletzungen im Land und das Leiden der Bevölkerung. Das hat auch mit der eigenen Vergangenheit zu tun: Südkorea selbst verfügt nur über eine kurze demokratische Tradition, das Bewusstsein über die Grundrechte ist nicht tief verankert. Außerdem glaubt man, dass es den innerkoreanischen Frieden stört, wenn zu viel über die Menschenrechtssituation debattiert wird – solch ein Unsinn!

derStandard.at: Ihre Familie lebt noch immer in Nordkorea. Sie vermuten, dass Ihre Schwester erneut verhaftet wurde und in dasselbe Lager eingewiesen wurde wie Sie damals. Was ist der neueste Stand?

Kang: Ich habe immer noch keinen Kontakt zu ihr. Über die UN habe ich vor zwei Jahren eine offizielle Anfrage an Nordkorea gerichtet, aber die wurde einfach ignoriert. Ich hoffe immer noch, dass unsere Familie eines Tages wiedervereint ist. Dass ich in meinem Leben ein geeintes Korea erleben werde, ist sehr wohl möglich. Für mich ist es auch ein privater Kampf, wegen meiner Schwester und meiner Familie. Es gibt aber viele, die noch viel Schlimmeres durchgemacht haben als ich. (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 2.1.2015)