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Pappenheim: Mädchen sollen für ihre berufliche Eigenständigkeit lernen.

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Der jüngere Bruder durfte aufs Gymnasium, während sie mit 16 Jahren die Schule verlassen musste. Dies kann als Initialzündung für den kämpferischen Lebensweg von Bertha Pappenheim gesehen werden. Am 27. Februar 1859 im wohlhabenden jüdischen Bürgertum in Wien geboren, durfte Bertha zwar die katholische Mädchenschule besuchen - eine jüdische gab es zu der Zeit in Wien nicht -, war aber in erster Linie für eine Ehe vorgesehen. Kochen, Haushaltsführung und Handarbeiten schienen dafür ausreichend.

Die "Anfertigung jener hunderterlei wertlosen und geschmacklosen Nichtse, die gerade durch ihre Unbrauchbarkeit so erschreckend dauerhaft sind", wie sie selbst es beschreibt, verabscheute sie zutiefst. Als sie ab dem Sommer 1880 in langen Nachtschichten den schwerkranken Vater pflegen musste, begann sie zu halluzinieren. Lähmungen, Schmerzen, Ess- und Sprachstörungen folgten. Erst 1953 wurde durch eine Fußnote des Psychoanalytikers Ernest Jones in seiner Freud-Biografie bekannt, dass Berthas Leidensgeschichte und ihre Behandlung von Freud und seinem Mentor Josef Breuer in ihren Studien zur Hysterie als Fall der Anna O. beschrieben wurden.

Gleiches Recht auf Bildung

Josef Breuer hatte Bertha Pappenheim, teils unter Hypnose, behandelt. Diese "Erinnerungsarbeit", bei der die einzelnen Symptome erinnert und damit aufgelöst wurden, führten seiner Meinung nach 1882 zur vollständigen Gesundung Berthas, ein Grundstein zur Psychoanalyse war gelegt. Breuer überwies Pappenheim in eine Privatklinik am Bodensee, was für ihren weiteren Werdegang insofern relevant ist, als sie im Zuge dessen ihre Cousine Anna Ettlinger in Karlsruhe besuchte. Diese hatte bereits einen Artikel zur "Frauenfrage" verfasst und darin gleiches Recht auf Bildung für Frauen gefordert. Berthas Interesse für dieses Thema konnte sie ab 1888, dem Jahr ihrer Übersiedelung nach Frankfurt am Main mit ihrer Mutter, endlich in konkrete Taten umsetzen. Sie arbeitete in einer Armenküche und als Vorleserin in einem Mädchenwaisenhaus, dessen Leitung sie bald übernahm. Ihr Ziel war es, die Erziehung der Mädchen weg von einer Heiratsvorbereitung hin auf ein auch beruflich eigenständiges Leben auszurichten.

Zerstörung ihres Lebenswerkes

Aus dieser Zeit stammen auch erste eigene schriftstellerische Arbeiten, zudem übersetzte sie Mary Wollstonecrafts "A Vindication of the Rights of Woman" ins Deutsche. Beim International Council of Women 1904 in Berlin wurde die Gründung eines nationalen jüdischen Frauenverbandes beschlossen, dessen erste Vorsitzende Pappenheim wurde. 20 Jahre lang leitete sie diesen Jüdischen Frauenbund und forderte, die Ideale der Gleichberechtigung zu verwirklichen. Die Zerstörung ihres bedeutendsten Lebenswerkes, des Mädchenwohnheimes Neu-Isenburg, durch die Nationalsozialisten im November 1938 erlebte Pappenheim nicht mehr. Sie starb am 28. Mai 1936 an einem Tumor. (Tanja Paar, DER STANDARD, 9.1.2015)