Familientherapeut, Autor und STANDARD-Kolumnist Jesper Juul.

Foto: family lab

Diese Serie entsteht in Kooperation mit familylab Österreich.

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Frage:

Seit mehr als einem Jahr lebe ich getrennt vom Vater meines zweijährigen Sohnes. Unsere Beziehung war ein reine Katastrophe wegen seines Aggressionsproblems und meiner Unfähigkeit, mich seinen Launen unterzuordnen. Das Leben von meinem Sohn und mir verläuft jetzt wieder in geregelten Bahnen. Job, Krabbelgruppe, Wohnung, Umgebung, Unterstützung durch die Familie – alles hat sich nach den ersten schweren Monaten gefügt. Auch der Vater meines Sohnes holt diesen mittlerweile jedes zweite Wochenende zu sich und geht sehr liebevoll mit ihm um.

Jedoch gibt es dabei ein paar Probleme: Bei jeder Begegnung zwischen uns versucht er mir so viel Hass und Verachtung wie möglich zukommen zu lassen. Ich erwidere diese Beleidigungen nicht und versuche trotzdem, normal mit ihm zu reden, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie so ein Umgang mit dem Ex-Partner auf Trennungskinder wirkt. Zusätzlich wächst mein Sohn in zwei unterschiedlichen Kulturen auf, da der väterliche Teil der Familie aus der Türkei stammt. Auf die unterschiedlichen Wurzeln und die Zweisprachigkeit meines Sohnes bin ich sehr stolz. Leider bekomme ich von der Zeit, die er bei seiner türkischen Familie verbringt, nichts mit. Mit zwei Jahren kann er ja auch noch nicht so zusammenhängend erzählen.

Rätseln über Fernsehkonsum

Wenn ich dem Vater Fragen, zum Beispiel bezüglich des Fernseh- und Schwarzteekonsums unseres Sohnes, stelle, werden diese kurz und knapp und vor allem unzufriedenstellend beantwortet. Oder ich werde angeschrien und beschimpft. Das Leben meines Ex-Partners scheint nicht so gut zu laufen, wofür er bestimmt mir die Schuld gibt. Ich hätte trotzdem gerne eine gute Kommunikation mit ihm, damit wir in Sachen Erziehung an einem Strang ziehen und unser Sohn nicht noch mehr verwirrt wird als nötig, wenn er schon in zwei so unterschiedlichen Welten aufwächst. Vielleicht heilt die Zeit ja alle Wunden, und der Vater meines Sohnes wird irgendwann normal mit mir umgehen können. Oder wird das nie passieren?

Was macht diese schlechte, aggressive Kommunikation mit meinem Sohn? Sollte ich den Kontakt zum Vater unterbinden? Gibt es irgendetwas, das ich tun kann, damit ich wieder wie ein normaler Mensch behandelt werde und unseren Sohn mit dem Vater, zwar in getrennter Art und Weise, aber trotzdem gemeinsam, erziehen kann?

Antwort:

Als Sie noch mit dem Vater Ihres Sohnes zusammenlebten, waren Sie ein Opfer und sind es noch. Die Rollen sind klar verteilt: Er ist das Biest, und Sie sind die Schöne. Er benimmt sich daneben, sie benehmen sich. Ich sage das, weil Sie drei Dinge erkennen müssen:

Erstens wird sich sein Verhalten Ihnen gegenüber nicht ändern. Sein männlicher Stolz wurde tief verletzt, als Sie ihn verlassen haben. Nun zeigt er Ihnen, seinem Sohn und seiner Familie, wie sich ein echter Mann einer respektlosen Frau gegenüber verhalten soll.

Zweitens haben Sie in keiner Weise – sowohl moralisch als auch legal – das Recht dazu, sich in sein Leben als Person und auch als Vater einzumischen. Das gilt natürlich für beide Seiten. Jegliche Frage danach, was die beiden machen, wird vom Vater als Versuch, ihn zu kontrollieren, beurteilt, und kein echter Mann sollte das akzeptieren.

Drittens und wohl am wichtigsten ist die Frage, wie diese unglückliche Beziehung zwischen den Eltern Ihren Sohn beeinflussen wird. Hier empfehle ich Ihnen, dass Sie Ihre Prioritäten in Ordnung bringen. Fernsehen und Schwarztee sind dabei Ihre geringsten Sorgen.

Männliche Vorbilder

Die wirkliche Gefahr – aus europäischer Sicht – ist, wie Ihr Sohn lernen wird, sich auf Mädchen, Frauen und natürlich auch Sie einlassen zu können. Wird er kooperieren – den Stil seines Vaters annehmen – oder andere männliche Vorbilder finden?

Das wird jedoch nicht nur durch das Verhalten seines Vaters Ihnen gegenüber vorgegeben, sondern auch durch Ihr Verhalten seinem Vater gegenüber. Bis jetzt war dieses ausweichend und verteidigend (zum "übergeordneten Wohl"). Ich lege Ihnen nahe, dass Sie einen anderen Weg finden, der Ihnen, Ihrem Sohn und auch Ihren künftigen Beziehungen mit Männern besser dient.

Ich nehme an, dass Sie eine nette und gebildete Frau sind, also müssen Sie Ihre eigenen Worte finden. Diese werden niemals für Sie funktionieren, wenn Sie nett, sensibel und ausgefeilt sind. Sie müssen Ihre innere Zicke finden, dabei zornig und laut oder zornig und eiskalt klingen und Ihre derzeitige Komfortzone verlassen. Wenn Sie dazu nicht bereit sind, schlage ich vor, dass Sie dem Vater die Möglichkeit verweigern, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. So das auf legalem Weg nicht möglich ist, sind Sie drei in ernsthaften Schwierigkeiten.

Frage des Anstands

Die Wahl, die Sie mit dem Vater Ihres Sohnes getroffen haben, und die Art von Mann, die in Bezug auf Sie aus ihm wurde, macht Sie für die Zukunft Ihres Sohnes verantwortlich. Im schlechtesten Fall wird sie ein 14 Jahre alter Junge ab und zu hassen, weil er ohne seinen Vater aufwachsen musste. Sie beide werden das überleben, und Ihre Beziehung wird davon profitieren. Ihr Sohn wird den Rest seines Lebens versuchen, sich wieder mit seinem Vater zu verbinden.

Der Mann, den Sie ausgewählt haben, wird erkennen müssen, was tausende andere Väter in allen Kulturen erfahren: Du kannst als Vater nicht gut genug sein, wenn du dich der Mutter deines Kindes gegenüber nicht anständig verhältst. (Jesper Juul, derStandard.at, 8.2.2015)