Vor rund 48 Millionen Jahren lebte der Wal Ambulocetus natans in Gewässern im Gebiet des heutigen Pakistan. Seine Lebensweise lässt sich am ehesten mit jener der heutigen Krokodile vergleichen: Wie diese lauerte er unter der Wasseroberfläche auf Beute.

Weitere Bilder auf Jacqueline Dillards Blog.

University of California Press/Jacqueline Dillard

Fünf Walvorfahren zieren das Buchcover: Indohyus, Pakicetus, Ambulocetus, Kutchicetus und Basilosaurus (von unten nach oben).

University of California Press

Hans Thewissen präsentiert Ambulocetus natans. Auf den T-Shirts im Video ist "Nate, der gehende Wal" abgebildet - dieser ist seit 2013 das Maskottchen von Thewissens Universität, der Northeast Ohio Medical University.

Hans Thewissen

Die Evolution der Wale und der Fund von Indohyus.

nature video

Die Evolution der Wale als Animation.

Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa

Ambulocetus hat bereits Einzug in die Kunst gehalten - hier in einer Zeichnung der wissenschaftlichen Illustratorin Jeannette Rüegg.

Jeannette Rüegg

Für Charles Darwin stellte es sich als nahezu unlösbares Dilemma dar: Wale waren ganz offensichtlich zu den Säugetieren zu rechnen. Doch Wale leben ausschließlich im Wasser - im Gegensatz zu fast allen anderen Säugetieren. Wenn seine Theorie der Evolution zutreffen soll, dann mussten die Vorfahren der Wale ebenfalls an Land gelebt haben. Doch wie konnte sich ein perfekt an das Leben im Ozean angepasstes Tier aus einem Landlebewesen entwickelt haben?

Darwins Problem bestand in einer fast vollständigen Abwesenheit von fossilen Überresten, die die Ahnenreihe der Wale hätte belegen können. Außer Skeletten des riesigen schlangenförmigen Basilosaurus - die "Königsechse" wurde ursprünglich für ein Reptil gehalten - waren zu seiner Zeit kaum Funde dieser Tiergruppe bekannt, ein Umstand, der noch weit mehr als ein Jahrhundert andauern sollte. Diese Lücke im Stammbaum war daher immer schon ein beliebtes Beispiel der Kreationisten, um die Evolutionstheorie ins Lächerliche zu ziehen.

Von Pakistan ...

Dass den Evolutionsleugnern mittlerweile auch in diesem Bereich fundierte Argumente entgegengehalten werden können, ist zu einem großen Teil den Entdeckungen Hans Thewissens zu verdanken. Dabei stand die Suche nach dem Missing Link der Walevolution gar nicht auf dem Plan des Wirbeltierpaläontologen, wie er in seinem Buch The Walking Whales erzählt. Als der US-niederländische Forscher im Jahr 1991 in Pakistan seine erste Grabungskampagne durchführt, ist er auf der Suche nach Hinweisen für Beziehungen zwischen indischen und asiatischen Landsäugetieren des Eozän, einem Zeitalter vor rund 49 Millionen Jahren, als die Platten der beiden Kontinente noch nicht aufeinandergeprallt waren. Doch nach wenigen Tagen findet die Expedition ein jähes Ende: die Invasion in Kuwait steht bevor und die US-Regierung sieht ihre Staatsbürger in Gefahr.

Thewissen muss mit geringer Ausbeute heimkehren, unter seinen Funden befindet sich jedoch auch die verknöcherte Ohrkapsel eines Wals, eine Bulla tympanica. Dieser Knochen ist bei Walen in Form und Dicke unter allen Säugetieren einzigartig. In der Ohrkapsel findet Thewissen einen Amboss, eines der drei winzigen Gehörknöchelchen. Diese unterscheiden sich bei Walen von jenen der Landsäugetiere. Der entdeckte Amboss stellt im anatomischen Vergleich jedoch offenbar eine Zwischenform dar und ähnelt in Details den Gehörknochen von Paarhufern - ein erster Hinweis auf ihre nächste Verwandtschaft.

Erst rund zehn Jahre zuvor waren dürftige Funde von Wal-Überresten aus der Region beschrieben und die Gattung Pakicetus, "Pakistan-Wal", anhand eines Schädelfragments aufgestellt worden. Thewissen ist die Bedeutung seines Fundes klar, allerdings ist weiteres Material nötig.

In der nächsten Grabungssaison hat der Forscher mehr Glück: Er stößt auf das weitgehend vollständige Skelett eines Tieres mit eindeutigen Merkmalen eines Wals - und Hinterbeinen. Die Entdeckung stellt eine Sensation dar, vergleichbar mit anderen Übergangsformen wie dem berühmten Archaeopteryx oder dem Fisch-Amphibien-Wesen Tiktaalik. Thewissen nennt seinen Fund Ambulocetus natans, "gehender und schwimmender Wal". In den kommenden Jahren folgen mit Kutchicetus und Dhedacetus Vertreter jüngerer Walfamilien. Und dem katzengroßen Paarhufer Indohyus kann er anhand der Gehörknochen die enge Verwandtschaft mit den Walen nachweisen.

Die Forschungsarbeit Thewissens beschränkt sich jedoch nicht auf das Ausgraben fossiler Knochen. Detailliert beschreibt er die verschiedenen Wege und Methoden, mit denen lange ausgestorbenen Lebewesen ihre Geheimnisse entlockt werden können. Um die Lebensweise der Urwale und ihre Anpassung an einen neuen Lebensraum zu verstehen, beschäftigt er sich mit ihren rezenten Verwandten ebenso wie mit Bewegungsstudien anderer im Wasser lebender Säugetiere wie Robben und Otter, deren unterschiedliche Schwimmtechniken beispielhaft dafür sind, wie sich die Entwicklung jener der frühen Wale abgespielt haben könnte. Mit Isotopenanalysen lassen sich Aussagen über die Lebensräume und Ernährungsweisen der Tiere treffen und damit der Zeitpunkt einschränken, wann die Wale vom Süßwasser in die Meere gewechselt sind.

... in alle Weltmeere

Mit Genanalysen schließlich lässt sich die Verwandtschaft zwischen den einzelnen Tiergruppen feststellen. Die sich mit dem Fossilbefund deckende Erkenntnis, dass die Flusspferde die nächsten lebenden Verwandten der Wale sind und diese damit gemeinsam mit Kühen und Schweinen in der Gruppe der Cetartiodactyla, den "Wal-Paarhufern", zusammengefasst werden, hätte Darwin begeistert. (Michael Vosatka, DER STANDARD, 18.2.2015)