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"Nicht so tun, als wäre nichts passiert" will Estlands amtierender und wohl auch künftiger Premier Taavi Roivas.

Foto: AP / Felice Calabro

Tallinn - Mit einem breiten Lächeln erklärte Estlands Premier Taavi Roivas seine Reformpartei zum Sieger der Parlamentswahl vom Sonntag. Seine als klassische liberale Kraft geltende Partei kam auf 27,7 Prozent der Stimmen. Das ist zwar ein Verlust von 0,9 Prozentpunkten und einem Mandat gegenüber den letzten Wahlen, trotzdem bleibt die Reformpartei mit 30 (von insgesamt 101) Sitzen stärkste Kraft im Riigikogu.

Roivas, mit 35 Jahren EU-weit jüngster Regierungschef, wird damit auch mit der Bildung des neuen Kabinetts beauftragt. Dessen Formierung dürfte allerdings deutlich schwerer fallen als zuletzt. Die Sozialdemokraten als bisheriger Koalitionspartner der Reformpartei verloren zwei Prozentpunkte und damit vier Sitze. Ihre 15 Mandate reichen der Reformpartei nicht mehr zur Mehrheit.

"Proestnische Regierung"

Noch härter erwischte es die konservative IRL, die vor einem Jahr von den Sozialdemokraten als Regierungspartei abgelöst wurde: Sie stürzte um fast sieben Prozentpunkte ab und stellt nur noch 14 Abgeordnete.

Profitieren konnten von den Stimmverlusten die prorussische Zentrumspartei, die ihr Wahlergebnis um 1,5 Prozent steigerte und mit einem Viertel aller abgegebenen Stimmen auf nun 27 Sitze kommt, und zwei neue politische Kräfte: die Estnische Freie Partei (acht Sitze) und die Estnische Konservative Partei (sieben Mandate). Beide Parteien gehören zum konservativen Lager.

Am wahrscheinlichsten gilt nun eine Koalition zwischen Reformpartei, Sozialdemokraten und IRL. Roivas hatte schon vor der Wahl ein Bündnis mit der Zentrumspartei ausgeschlossen. Er stehe nur für eine "proestnische Regierung" zur Verfügung, sagte der Premier süffisant. Um die von dem als Moskau-nah geltenden Ex-Premier Edgar Savisaar betriebene Annäherung der ehemaligen Sowjetrepublik an Moskau gibt es in Tallinn heftigen Streit, speziell vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise.

Stärkere Nato-Einbindung

Estland könne bei der Gestaltung seiner Beziehungen zu Russland nicht so tun, als wäre nichts passiert, sagte Roivas. "Unser östlicher Nachbar verhält sich schon seit ziemlich vielen Jahren als Aggressor gegenüber anderen freien Ländern", erklärte er. Daher werde es unter ihm keine Kursänderung geben. Roivas hatte im Wahlkampf unter anderem Investitionen in die eigene militärische Infrastruktur und eine noch stärkere Einbindung der baltischen Republik in die Nato angekündigt.

Die Sicherheitspolitik war eines der zentralen Wahlkampfthemen. Die Ängste der Esten vor einer russischen Expansion sind schon aufgrund der eigenen Geschichte groß, die aktuellen Ereignisse in der Ukraine lassen diese nur noch wachsen.

So wird die auf die russischsprachige Minderheit setzende Zentrumspartei trotz ihrer Stimmengewinne weiterhin in der Opposition bleiben, auch wenn Savisaar versuchte, mit den Sozialdemokraten anzubandeln und sie vor weiteren Stimmverlusten bei einer neuen Koalition mit der Reformpartei warnte. Pathetisch verglich sich Savisaar nach der Wahl gar mit dem ermordeten russischen Oppositionellen Boris Nemzow. "Ich leite wie er die Opposition und fühle die gleichen Angriffe, die gegen ihn gefahren wurden", sagte er (André Ballin, DER STANDARD, 3.3.2015)