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Öffentliche Gratisschulen - wie hier in Gizo südlich von Kairo - werden zu einer Armutsfalle, befürchten Experten. Nur fünf Prozent von Kindern nicht gebildeter Eltern vom Land hätten eine Chance, eine kostenlose, höhere Erziehung zu genießen.

Foto: Reuters/Mohamed Abd El Ghany

Der Staat denke immer noch wie in der Ära von Präsident Gamal Abdel Nasser, der alles dem Staat übertragen und Investoren keine Beachtung geschenkt habe, kritisierte vor wenigen Tagen der ägyptische Geschäftsmann Samih Sawiris in einer Fernsehsendung. Als Beispiel nannte der Tourismusinvestor die Schwierigkeiten, Land zu erwerben.

Nassers Bodenumverteilung

Gamal Abdel Nasser, charismatischer Präsident nach der Revolution von 1952, hatte mit seiner Landreform 15 Prozent des kultivierten Bodens von Großgrundbesitzern an Kleinbauern umverteilt. Der Sozialismus war seine Ideologie, Staat und Bürokratie erhielten einen großen Einfluss. Mit verschiedenen Instrumenten der Umverteilung sollte das Los der Armen verbessert werden.

Nassers Nachfolger haben nach wenigen Jahren eine wirtschaftliche Öffnung eingeleitet, aber seine Ideen sind immer noch tief in den Köpfen der meisten Ägypter verwurzelt, auch solcher, die sich liberal nennen. Viele seiner Rezepte sind immer noch in Kraft und werden zum Teil sogar noch erweitert. Erst vor wenigen Monaten hat die Regierung für Beamte ein Maximallohn eingeführt, der nicht mehr als das 35-Fache des Mindestlohnes betragen darf, den es schon lange gibt.

Revolutionsforderung

Auch die umfassenden Subventionen für Energie und Lebensmittel gehen auf Nasser zurück. Aus Angst vor politischen Unruhen werden nur zögernd Anpassungen vorgenommen, obwohl man inzwischen weiß, dass dieses System ineffizient ist und beispielsweise die Benzinsubventionen zu 80 Prozent den Reichsten zugutekommen. "Soziale Gerechtigkeit" war neben "Brot" und "Freiheit" eine der zentralen Forderungen der Revolution vom Frühjahr 2011.

Soziale Gerechtigkeit solle heute zwei Ziele erreichen, die negativen Umstände neutralisieren, in die Menschen geboren werden, und harte Arbeit belohnen, definiert der Ökonom Ahmed Galal vom Economic Research Forum in Kairo die Formel. Als er 2013 Finanzminister war, hat er deshalb eine spezielle Abteilung für soziale Gerechtigkeit eingerichtet. Ihre Mitarbeiter sollen gezielte Programme für Arme erarbeiten, damit man wegkommt vom Gießkannenprinzip.

Gut gemeint, aber nicht gut

Dass die gut gemeinten Absichten nicht nur ihr Ziel verfehlen, sondern sogar negative Effekte haben können, haben ausführliche Studien über das ägyptische Schulwesen ergeben, das eigentlich von der Grundschule bis zur Universität gratis ist.

Der weitaus größte Teil der ägyptischen Kinder besucht die öffentlichen Schulen, die - weil der Staat zu wenig Mittel hat - miserabel ausgestattet sind. Die schlecht bezahlten Lehrer sind kaum motiviert und tun wenig im Unterricht. Viele verdienen sich mit Nachhilfe ihr Geld, denn in den privaten Nachhilfestunden wird der Stoff aufgearbeitet und die Kinder auf die stressigen Prüfungen vorbereitet.

Nicht selten ist der Klassenlehrer dann der Nachhilfelehrer. Die Kosten für diese Zusatzstunden belasten die Familien mit 513 Pfund pro Jahr und Kind (rund 65 Euro), was 2014 das ganze Land 1,1 Milliarden Euro kostete, wie das Zentrum für ökonomische Studien (ECES) errechnet hat. Mit dem Resultat, dass viele Kinder aus armen Familien schon früh aus dem System fallen, zu Schulabbrechern werden und es gar nicht an die Universität schaffen.

Gratisschule als Armutsfalle

Die Gratisschule werde zu einer Armutsfalle, profitieren würden vor allem die Reichen, erklärt Direktor Sherif Diwany. Kinder reicher, gut ausgebildeter Eltern, die in der Stadt leben, haben eine Wahrscheinlichkeit von 98 Prozent, eine kostenlose, höhere Erziehung zu genießen, Kinder armer, nicht gebildeter Eltern vom Land dagegen nur fünf Prozent. "Die, die es nicht nötig haben, profitieren von der kostenlosen Universität. Das ist das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit", lautet deshalb die Schlussfolgerung von Ahmed Galal. (Astrid Frefel aus Kairo, DER STANDARD, 14.3.2015)