Lange wurden die Faszien für totes Gewebe ohne Funktion gehalten - nun interessiert man sich zunehmend dafür.

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Mithilfe der Massagerollen, die es in unterschiedlichen Härtegraden gibt, wird der Körper durchgeknetet.

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Ein Faszientraining kann ziemlich wehtun. Dabei sehen die Trainingsgeräte harmlos aus: Die Massagerollen sind aus Schaumstoff und dazu da, sich auf ihnen hin- und herzurollen. Mit dem eigenen Körpergewicht sollen die verschiedenen Muskelpartien durchgeknetet und so die Faszien - das kollagene, faserige Bindegewebe - glatt gestrichen werden. Werden diese nämlich über- oder unterbeansprucht, dann verkleben sie und verursachen Schmerzen - so die Theorie. Mit einem Spinnennetz vergleicht Peter Schober, Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, die Faszien. Sie ummanteln die Muskeln und geben ihnen Form.

Studien ausständig

"Diese Faszien spielen eine zunehmend wichtige Rolle in der Sportmedizin", sagt Schober. Sie seien Transportmedien, über die Schadstoffe abtransportiert werden. Auch der Schmerz, der bei einem Muskelkater entsteht, spiele sich nicht im Muskel selbst, sondern in den Faszien ab. Bei Kindern seien diese Faszien in elastischen Wellenstrukturen angelegt - mit zunehmendem Alter geht diese Elastizität aber verloren, so Schober.

Trainiert wurden die Faszien schon immer, "allerdings irgendwie und unsystematisch", sagt Robert Schleip, Humanbiologe und Faszienforscher an der Universität Ulm. Zunehmend nehmen sich Fitnessstudios des Faszientrainings an. Alfredo Scarlata, Trainer beim Fitnessstudio John Harris, setzt zum Beispiel Elemente davon im Personal Training ein. Derzeit arbeitet er an einem Konzept für ein Training in der Gruppe. "Das Faszientraining ist ein neuer Hype", sagt Schober. Auf dessen straffende Wirkung sollen nicht zuletzt Hollywoodstars wie Gwyneth Paltrow schwören. Selbst Orangenhaut soll dadurch bekämpft werden können.

Schober sieht das kritisch: Vielerorts werde versucht, daraus ein Geschäft zu machen - "Fascia Aerobics" wird gar schon als Trend von morgen gefeiert. Den gleichen Effekt erreiche man mit Sportarten, die es schon lange gibt - und die, ohne dafür wissenschaftlich Belege gehabt zu haben, schon lange ein "Faszientraining" geboten haben, zum Beispiel Yoga, Pilates und Qigong.

Die Faktenlage zu Faszien ist derzeit noch dünn, viele Studien - etwa zur Verletzungsprophylaxe durch ein Faszientraining - sind ausständig. "Man hat immer gedacht, dass das totes Gewebe ohne Funktion ist", sagt Schober. "Derzeit herrscht aber Aufbruchsstimmung", freut sich Faszienforscher Schleip.

Auch in der Physiotherapie spielen die Faszien eine wichtige Rolle: Der Physiotherapeut Andreas Lichtenwörther von der Sportordination in Wien wendet bei seinen Patienten das Fasziendistorsionsmodell an. Zu ihm kommen Menschen, deren Fasziengewebe beispielsweise durch ein Trauma verletzt wurde, darunter viele Sportler mit Überlastungssyndromen. Sie werden anhand von intensiven manuellen Techniken behandelt - "das tut weh, weil in den Faszien viele freien Nervenenden liegen", so der Physiotherapeut. Trotzdem werde die Faszientherapie von immer mehr Patienten nachgefragt.

Hype in der Fitnessindustrie

In welcher Form auch immer - ein Faszientraining dient nicht als Ersatz für andere Trainingsformen, etwa das Muskeltraining, sondern als Ergänzung. Und das in einem durchaus überschaubarem Ausmaß: "Zwischen einem Zehntel und einem Fünftel der Trainingszeit" sollten Hobbyathleten pro Woche dem Faszientraining widmen, empfiehlt Schleip.

Ein Teil dieses Trainings wird eben mit den Rollen durchgeführt, mit denen Druck auf die Bindegewebsstrukturen ausgelöst wird. Wie ein Schwamm sollen diese durch Druck ausgepresst werden. Das führt Stoffwechselprodukte und Lymphe ab. Dort wo's besonders weh tut, soll kurz verharrt, dann weitergerollt werden. Dabei kann man laut den Experten eigentlich nichts falsch machen. Verletzungen, darunter blaue Flecken und Durchblutungsstörungen, kämen relativ selten vor - wohl auch, weil die Intensität der Übungen durch den Einsatz des eigenen Körpergewichts gesteuert werden kann. Wer sich trotzdem nicht sicher ist, dem empfiehlt Schleip, das Training mit einem Arzt abzuklären.

Fehlender Schwung

Außerdem wichtig für jene, die ihre Faszien in Form bringen wollen: Dynamische Dehntechniken und Sprungkraftübungen mit möglichst kurzen Kontaktzeiten. All das ist anstrengender, als erwartet: Um die Balance auf der kurzen Rolle zu halten, muss mit Armen und Oberkörper stabilisiert werden und auch die raschen Sprungsequenzen sind schweißtreibend.

Die Übungen seien ratsam für alle "zwischen null und hundert", sagt Schober. Schleip empfiehlt ein Faszientraining besonders dann, wenn der Körper aus der Form gerät: "Oft hängt der Po nicht deswegen runter, weil zu wenig Liter Muskelmasse drin sind, sondern weil die Spannkraft der Hülle, also der Faszien, abgenommen hat." Selbst ein Sixpack käme durch fasziale Anheftungen zustande, und nicht primär durch das Muskeltraining.

Auch Menschen, denen der "jugendliche Schwung" bei Alltagsbewegungen abhanden gekommen ist und die Schmerzen in Rücken und Nacken haben, empfiehlt er ein Faszientraining: "Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass der Ursprungsort vieler Schmerzen im faszialen Gewebe liegt - und nicht in den Bandscheiben oder den Knochen." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 6.4.2015)