Seit über 60 Jahren trennt die Demarkationslinie am 38. Breitengrad die zwei Koreas. Norden und Süden haben sich in diametrale Richtungen entwickelt, politisch, wirtschaftlich, auch linguistisch. Überraschenderweise lassen sich jedoch viele architektonische Gemeinsamkeiten finden.
Zumindest legt das die Ausstellung "Crow's Eye View: The Korean Peninsula" nahe. 2014 debütierte sie auf der venezianischen Architekturbiennale und gastiert nun in Seoul. Anhand der Architektur stellt sie die beiden koreanischen Hauptstädte gegenüber, vergleicht und verwischt die Landesgrenzen. Besucher werden erstaunt darüber sein, wie ähnlich sich die Nachbarländer auf vielen Fotos sind.
Schaut man sich die zentralen Plätze der beiden Hauptstädte aus der Vogelperspektive an, wird das besonders deutlich. Während der nordkoreanische Kim-Il-sung-Platz vor allem von Parteigebäuden gesäumt wird, reihen sich in Südkorea die großen Konglomerate aneinander. Natürlich muss man sich im Norden die im Süden omnipräsenten Werbetafeln wegdenken. Auch der Autoverkehr ist nicht vergleichbar. Gleichzeitig werden jedoch beide Städte von quadratischen Apartmentklötzen dominiert, von Bergen durchzogen und von einem Fluss in Nord und Süd geteilt.
Stadtplanung am Reißbrett
Pjöngjang ist architektonisch gesehen eine sozialistische Musterstadt. Das wurzelt vor allem in einem tragischen Kapitel: Die Stadt lag nach dem Koreakrieg wortwörtlich in Schutt und Asche. Sie wurde gründlicher niedergebombt als Dresden 1945. Weit über 90 Prozent aller Gebäude waren zerstört.
Für die Stadtplaner des Staatsgründers Kim Il-sung ergab sich dadurch eine einmalige historische Chance. Während die kommunistischen Architekten andernorts ihre Vision stets auch in die Realität der bereits vorhandenen Infrastruktur einbetten mussten, konnte die nordkoreanische Hauptstadt ohne Kompromisse, ohne historisches Erbe am Reißbrett geplant werden. Keine andere Stadt reflektiert die sozialistische Architektur in dem Maße wie Pjöngjang.
In die Höhe gebaut
Der architektonische Stil wurde aus der Sowjetunion importiert, ohne diesen jedoch blind zu übernehmen. In den meisten Apartmentwohnungen lassen sich etwa die traditionellen koreanischen Bodenheizungen finden, Ondol genannt. Um die Emanzipation der Frau zu fördern, wollte man sie aus dem Haushalt herausholen. Daher wurden in jedem Apartmentblock Gemeinschaftskantinen und Waschsalons errichtet.
Das Ziel der nordkoreanischen Stadtplaner war es, in Pjöngjang die Grenzen zwischen urbanem und ländlichem Raum aufzuheben. Daher wurde in die Höhe gebaut, um mehr Platz zwischen den Gebäuden für Grünflächen und Erholungsgebiete zu haben. Jeder Bezirk ist in mehrere Einheiten gegliedert, die quasi autark existieren. Die Stadt sollte nicht nur ein Ort des Konsums sein, sondern auch einer der Produktion. (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 30.3.2015)