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Das isländische Bankensystem hat das Land heftig in die Krise gestürzt. Der Fehler liegt im System, findet Frosti Sigurjónsson.

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STANDARD: Herr Sigurjónsson, ist Ihnen aufgefallen, dass Sie in linken Blogs in Europa zu einem Star avanciert sind und als Held gefeiert werden?

Sigurjónsson: Nein. Wie kommt das?

STANDARD: Sie haben für den isländischen Premierminister einen Bericht darüber ausgearbeitet, wie man das Bankensystem des Landes reformieren müsste, um es wirklich sicher zu machen. Der Bericht hat es in sich: Sie wollen nichts weniger als eine Finanzrevolution.

Sigurjónsson: Für revolutionär halte ich mich nicht. Richtig ist aber, dass ich die Probleme im Bankensystem an der Wurzel packen möchte. Im Grunde spielt sich überall in den Industrieländern das Gleiche ab: Finanzaufseher und Banken spielen ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Aufseher versuchen dafür zu sorgen, dass Kreditinstitute sicherer arbeiten und zum Beispiel nicht zu viele Kredite zu schnell vergeben. Aber die Aufsicht ist immer hinten nach. Sie kann erst dann eingreifen, wenn der Schaden schon angerichtet ist, und das passiert rasch, weil das System voller Fehlanreize ist. Demgegenüber schlage ich vor, die Fehlanreize zu beseitigen.

STANDARD: Wie soll das geschehen?

Sigurjónsson: In den meisten ökonomischen Lehrbüchern steht, dass Banken von Sparern Geld anvertraut bekommen. Die Banken nehmen dann dieses Geld und geben es in Form eines Kredites an Unternehmen oder Privatleute weiter. Aber so funktioniert es nicht in der Realität. Die Banken sind keine echten Vermittler. Nur ein sehr kleiner Teil der von ihnen vergebenen Kredite ist durch Einlagen oder überhaupt irgendeine Finanzierungsquelle gedeckt.

Tatsächlich erschaffen Banken in der Realität bei nahezu jeder Kreditvergabe Geld, indem sie eine elektronische Gutschrift auf ein Girokonto buchen. Diese Sichteinlagen sind wie richtiges Geld: Ich kann damit meine Rechnungen bezahlen und Ausgaben tätigen. Der größte Teil der Geldmenge sind heute nicht gedruckte Scheine und Münzen, sondern diese elektronischen Sichteinlagen. Die Geldhäuser können das nicht beliebig tun, es gibt gewisse Grenzwerte, die nicht überschritten werden dürfen. Aber im Wesentlichen haben sie freie Hand.

STANDARD: Aber wo liegt das Problem, der Fehlanreiz?

Sigurjónsson: Wenn die Wirtschaft eines Landes boomt, vergeben die Kreditinstitute immer mehr Kredite. Das ist nur natürlich, denn damit verdienen Sie ja ihr Geld. Doch die grenzenlose Kreditvergabe führt fast immer zur Bildung von Blasen: Die Preise für Immobilien und Aktien steigen zu schnell, bis alles zusammenbricht.

Auch im umgekehrten Fall erliegen Banken falschen Anreizen. Wenn so wie in Europa derzeit der Wirtschaftsmotor stottert, werden die Institute zu zurückhaltend und vergeben kaum noch Kredite, was die Krise erst recht anfacht. Dass Banken das Recht haben, Geld zu schaffen, führt dazu, dass aus gesellschaftlicher Sicht nicht die besten Entscheidungen getroffen werden, sondern immer wieder falsche.

STANDARD: Welche Belege haben Sie dafür?

Sigurjónsson: Nehmen Sie das Beispiel Islands: Hier haben die Kreditinstitute die Geldmenge zwischen 1994 und 2008 verneunzehnfacht. Sie haben damit und mit ihren Spekulationsgeschäften den Grundstein für die Krise gelegt. Der Internationale Währungsfonds hat selbst rund 140 Bankkrisen analysiert und fast immer war das Problem, dass Kreditinstitute zu viel Geld in zu kurzer Zeit geschaffen haben.

STANDARD: Wie sieht die Alternative aus?

Sigurjónsson: Man muss den Banken das Recht zur Gelderschaffung wegnehmen. Dieses Recht wird dem Staat, etwa der Zentralbank, übertragen. Was ich vorschlage, ist Folgendes: Alle für die tägliche Verfügbarkeit bei Kreditinstituten gehaltenen Girokonten werden auf die Bilanz der Notenbank übertragen. Das sorgt für Sicherheit: Eine Notenbank kann nicht pleitegehen. Sie kann die jederzeitige Verfügbarkeit dieser Gelder garantieren. Auf diese Konten bei der Zentralbank wird es aber keinerlei Zinsen geben.

Wer seine Gelder längerfristig anlegen möchte und Zinsen kassieren will, der muss zu den Geschäftsbanken gehen und dort ein Sparbuch eröffnen. Die Banken dürften nur mehr dieses Geld nehmen und in Form von Krediten weitergeben. Jeder Kredit müsste also 1:1 durch Spareinlagen oder sonst eine Quelle gegenfinanziert sein. Es geht also nicht um eine Verstaatlichung des Finanzsystems. Das Geldsystem muss verstaatlicht werden.

STANDARD: Risiken gibt es aber auch hier. Was, wenn alle Sparer ihr Geld bei der Bank abheben wollen, weil sie dem Institut nicht mehr vertrauen?

Sigurjónsson: Ja, das wäre möglich. Derzeit ist ein solcher Ansturm so gefährlich, weil eine Bank von einer Stunde auf die andere gestürmt werden kann. Nach meinem Vorschlag wären aber alle täglich verfügbaren Bankguthaben bei der Notenbank. Sparer müssten also warten, bis ihre angelegten Einlagen behoben werden können. Ein Bankenansturm würde also nicht Tage, sondern Jahre dauern. Das würde einen Teil seines Schreckens nehmen.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, dass die Realwirtschaft zu wenig Geldmittel bekommt, wenn ihr Vorhaben Realität wird?

Sigurjónsson: Nein. Die Geldmittel werden nicht reduziert. Nur die Neuzufuhr wird neu geregelt. Ganz wichtig wäre es aber, ein System der Checks und Balances aufzubauen. Derzeit entscheiden die Banken, ob sie Geld erschaffen wollen, und sie entscheiden auch, wer es bekommen soll. In dem System, das ich vorschlage, ist das anders: Ein eigens eingerichtetes Komitee von Ökonomen in der Notenbank würde entscheiden, ob die Geldmenge ausgeweitet werden soll. Als Basis für dieser Entscheidung würden Wachstums- und Inflationszahlen herangezogen werden. Das Parlament würde dann beschließen, wie dieses zusätzliche Geld ausgegeben wird.

STANDARD: Wie sind Sie auf die Idee für Ihren Bericht gekommen?

Sigurjónsson: Die theoretischen Grundlagen stammen von mehreren Ökonomen, nicht von mir. Die Anfänge dieses Berichtes gehen bis in das Jahr 2008 zurück: Damals wurde Island von der internationalen Bankenkrise schwer getroffen, mehr als 90 Prozent des Finanzsystems kollabierten. Ich war damals als Unternehmer tätig und habe mich nur um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert.

Aber diese Krise war ein Weckruf: Man bekam das Gefühl, dass da etwas grundsätzlich nicht stimmt. Ich bin politisch aktiv geworden und wurde ins Parlament gewählt. Gleichzeitig habe ich begonnen, das Bankenwesen zu studieren, und gesehen: Das Bankensystem funktioniert ganz anders, als die meisten denken.

STANDARD: Eines der überraschenden Dinge an Ihrem Vorschlag ist, dass Sie im Parlament eine konservative Partei vertreten. Aus dieser Richtung würde man sich nicht ein Plädoyer für ein verstaatlichtes Geldsystem erwarten.

Sigurjónsson: Ich bin ein großer Fan des freien Marktes. Die beste Lösung für die meisten Probleme liegt darin, sie dem Privatsektor zu überantworten. Aber es gibt wichtige Dinge, bei denen das zu Recht anders ist: Das Gesetzt zum Beispiel macht der Staat. Ich glaube, das Recht, Geld zu schaffen, ist einfach zu wichtig, um es der Privatwirtschaft, den Banken zu überlassen. Die Konsequenzen für Fehler sind einfach viel zu desaströs: Eine Bankenkrise reduziert die Wirtschaftsleistung eines Landes im Schnitt um 20 Prozent. Um die etwa gleiche Zahl steigt die Verschuldung.

STANDARD: Sehen Sie irgendeine Chance, dass Ihr Vorschlag in die Realität umgesetzt wird?

Sigurjónsson: Ja. Die Debatte in Island kommt erst jetzt in Gang, ich hoffe auf eine Diskussion im Parlament. Der Traum vieler Isländer vor der Krise war ja, dass wir zu einem zweiten Luxemburg werden, mit einem gigantischen Finanz- und Bankensystem. Das will heute niemand mehr: Die Menschen wollen ein sicheres System. Also müssen wir eines schaffen und innovativ sein. Wir können nicht vertrauen darauf, dass diese Innovation von außen kommt. In größeren Ländern ist es oft schwieriger, etwas zu verändern. In kleinen Ländern mit eigenen Währungen, die ihre eigenen Gesetze machen, ist dagegen so manches möglich. (András Szigetvari, DER STANDARD, 15.4.2015)