Fan des wilden Bergradicchios und Vorsitzender des Pflanzensammlervereins: Luigi Faleschini.

Foto: Georges Desrues

Der Bergradicchio wird als Salat verzehrt oder im Bierteig herausgebacken, zu Risotto und Omelette passt er aber auch. Konserviert wird er am besten in Olivenöl.

Foto: Georges Desrues

Wenn Signore Löwenthal seinen Radicchio transportiert, kommt er sich zuweilen vor wie ein Schmuggler. "Erst letzte Woche hat mich die Forstpolizei aufgehalten und wollte den Laderaum kontrollieren", erzählt er, "zum Glück hatte ich ein paar Kisten Erdbeeren dabei, hinter denen ich den Radicchio verstecken konnte."

Dabei sollten die Polizisten nicht Einheimische wie ihn kontrollieren, empört er sich, sondern viel mehr die Schnösel aus Treviso oder Padua, die Unmengen der wildwachsenden Bergpflanze pflücken und auf den Märkten der Städte um teures Geld verkaufen. "Wir sind von hier, wir pflücken den Radicchio seit Generationen, und wir wissen genau, wie viel davon wir nehmen können, um die Bestände nicht zu schädigen", sagt der Hotelier mit altösterreichischen Vorfahren aus Wien und Triest.

Mauro Löwenthals Hotel namens Park Oasi liegt in Arta Terme, einem verschlafenen Thermalort in den Karnischen Alpen zwischen Tolmezzo und dem Plöckenpass, der nach Kärnten führt. Der Ort hat vermutlich schon bessere Zeiten gesehen, viel los ist hier nicht, nur einige ältere Gäste, die in den renovierungsbedürftigen Thermalanlagen nach Erholung suchen.

Nicht ungefährlich

Jedes Jahr, bei der Schneeschmelze gegen Anfang Mai, taucht in den Bergen der Gegend in mehr als 1000 Metern Seehöhe der wilde Bergradicchio auf, den sie auf Italienisch "radicchio di montagna" und auf Friulanisch "radic del mont" oder "radic dal glaz" (des Eises) nennen. "Kaum zieht sich die Schneedecke zurück, sprießt in den Sonnenstrahlen der Radicchio aus dem kalten und feuchten Boden", sagt Löwenthal, der sich an diesem Tag bereitmacht, mit ein paar Gleichgesinnten hinauf in die Berge zu wandern.

Ganz ungefährlich ist das Sammeln der Pflanze nicht. Da wären zum einen die steilen und abschüssigen Hänge, die man erklettern muss, um sie zu finden. "Und dann ist da noch eine andere Pflanze, der Aconitum napellus oder Blaue Eisenhut, der dem Radicchio zum Verwechseln ähnlich sieht, aber höchst giftig ist", erklärt Luigi Faleschini, der Vorsitzende des Pflanzensammlervereins.

Die Männer schwärmen aus, sie tragen Körbe und Stofftaschen, in die sie ihre wertvollen Pflanzen legen, Plastik würde sie schneller verwelken lassen, wie sie erklären. Mit einem stumpfen Messer stechen sie die jungen Triebe aus, ohne dabei die Wurzel zu verletzten, damit sie im nächsten Jahr wieder austreiben kann. "Hier geht es um uraltes Wissen und Techniken, von denen die Städter in der Regel keine Ahnung haben", sagt Faleschini. Deswegen, und weil der Radicchio immer beliebter wird, haben die lokalen Behörden das Sammeln auf ein Kilogramm pro Nase und Tag beschränkt. Was darüber hinausgeht, sind sie beauftragt zu vernichten.

Knackiger Spross

In früheren Zeiten habe man auch auf der Kärntner Seite der Berge im Frühjahr die Sprossen der Pflanze gesammelt, die zu Deutsch Milchlattich genannt wird, erinnert sich Löwenthal. Warum man das heute nicht mehr macht, kann er nicht beurteilen. "Vielleicht schmecken sie den Kärntnern nicht", sagt er und zuckt mit den Schultern, "oder aber sie wissen nicht, wie damit richtig umzugehen ist." Zurück im Tal, bringen die Männer ihre gesammelten Pflanzen in die Küche von Löwenthals Hotel, wo ihre Frauen schon daran sind, das Mittagessen zu bereiten und nur noch auf den Radicchio warten. Roh schmeckt so ein knackiger Spross leicht bitter, aber auch frisch und saftig. Umso älter die Pflanzen sind, desto bitterer schmecken sie, fügt Löwenthals Ehefrau Gabriella an. Darum dauere die Erntesaison auch maximal zwei Wochen im Jahr.

"Die jungen Sprossen können grün-weiß sein oder leicht ins Bräunlich-Violette ziehen, wir essen sie entweder als Salat oder kurz im Bierteig herausgebacken sowie im Risotto oder in der Omelette. Oder wir blanchieren sie kurz in kochendem Wasser und Essig und legen sie danach in gutem Olivenöl ein, um sie zu konservieren", erzählt die Signora.

Mit Schinken oder Salami

Eingelegt schmecke der Radicchio am besten als Begleitung zu Schinken oder Salami, etwa zum leicht geräucherten Prosciutto aus dem nahen Sauris sowie zu kräftigem Hirsch- oder Gams-Schinken. "Wir kochen sehr viel mit wildwachsenden Bergkräutern. Etliche Gäste kommen speziell deswegen hierher", sagt die Wirtin weiter. Darunter etwa der Sclopit, ein Wiesenkraut, dessen deutscher Name Leimkraut lautet, und mit dem man hier die Cjarsons befüllt, eine karnische Spielart der Ravioli, die auch stark an die Kasnudeln jenseits der nahen Grenze erinnern.

"Die karnische Hausmannskost und die wilden Bergpflanzen und -kräuter sind die Spezialität des Hauses", bestätigt Mauro Löwenthal, "das Problem sind nur die Behörden. Nicht nur, dass sie uns vorschreiben wollen, wie viele Pflanzen wir pflücken dürfen, sondern theoretisch verbieten sie uns auch den Verkauf im Hotelrestaurant." Denn für selbstgesammelte Wildpflanzen gibt es keine Rechnung. Und wofür es keine Rechnung gebe, das dürfe man hierzulande auch nicht verarbeiten und weiterverkaufen. "Italien ist eben ein Land der Küsten und Strände", fügt er an, "aber wie wir hier in unseren Bergen und mit unserer Natur leben - davon haben die Behörden keine Ahnung." (Georges Desrues, Rondo, 9.5.2015)