"Wenn man seinen Flatscreen und sein Auto behalten will, wird das auf lange Sicht nicht gut gehen", sagt Marcus Meurer. Der Deutsche arbeitet seit 2012 selbstständig - und reist als digitaler Nomade mit Freundin Felicia durch Australien, Südamerika und Südostasien.

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Sie ziehen als Unternehmer um die Welt, organisieren ihr Leben online und haben sich mittlerweile zu einer veritablen Bewegung formiert: Die digitalen Nomaden. Sie arbeiten selbstständig, meist als Texter, Grafiker, Programmierer, Übersetzer oder Designer. Im Mai trafen sie einander in Berlin. Dort fand bereits zum dritten Mal die dreitägige "DNX- Digitale Nomaden Konferenz" statt. Knapp 500 Teilnehmer werden erwartet. Das Programm: Vorträge und Workshops, in denen es darum gehen wird, Erfahrungen zu teilen, sich zu vernetzen – und vor allem auch darum, sich gegenseitig zu motivieren. Denn: Diese Arbeitsform ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Digitale Nomaden geben ihren festen Wohnsitz auf, lassen Freunde und Familie für meist einige Monate zurück. Was auch bedeutet, sich nach jedem Standortwechsel wieder neu einrichten zu müssen. Gerade in Asien oder Südamerika, wo sich viele digitale Nomaden temporär aufhalten, sind Strom und Internet nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Arbeiten am Flughafen, im Zug oder im Hostel kann auf Dauer anstrengend werden. Sobald ein Kind da ist, wird die Organisation der ortsabhängigen Arbeitsweise schnell zur Herausforderung. Schließlich erfordert flexibel-Sein auch viel Selbstdisziplin. Das weiß Veranstalter Marcus Meurer, selbst Online-Unternehmer und seit 2012 digitaler Nomade. Er sagt: "Man muss sich überlegen, ob man das wirklich will."

STANDARD: Was bietet die jährliche DNX-Konferenz den Teilnehmern?

Meurer: Auf der DNX geht es um den Lifestyle der digitalen Nomaden. Die Teilnehmer sind in verschiedenen Stadien. Es gibt die, die grundsätzlich an dem Thema interessiert sind, aber in ihrem Nine-to-five-Job festhängen. Sie wissen, dass sich das nicht gut anfühlt, aber auch nicht, wie sie da raus kommen sollen. Für sie bietet die DNX Input, Motivation, Inspiration und Information zu Basic-Fragen wie: Womit kann ich mein Geld verdienen? Wie verändere ich meinen Lifestyle? Gerade am Anfang ist es schwer, aus dem konservativen Arbeitssystem rauszukommen, das wir in Österreich und in Deutschland haben. Für die Besucher, die schon Nomaden sind, bietet die Konferenz eine Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Dieser Networking-Aspekt ist uns unglaublich wichtig.

STANDARD: Welche Skills braucht es, um als digitaler Nomade erfolgreich zu sein?

Meurer: Gefragt sind vor allem bestimmte Soft Skills: Fokus, Verlässlichkeit und die Fähigkeit, Informationen für Arbeitgeber transparent zu machen. Man sollte außerdem unkonventionell denken, offen für Neues sein und Mut haben.

STANDARD: Was ist das Schönste?

Meurer: Das Schönste ist für mich die ultimative Freiheit. Man sieht die Welt, man lernt andere Sitten kennen. Wenn wir wo anders sind, sind wir viel motivierter, neue Projekte zu starten.

STANDARD: Und der Haken?

Meurer: Diese Freiheit kann für viele Leute der größte Nachteil sein. Sie müssen damit erst mal umgehen lernen. Man läuft Gefahr, sich ständig unter Druck zu setzen. Man muss sehen, dass das Business nicht leidet – was ja nicht unbedingt leichter ist, wenn man an den geilsten Orten der Welt ist.

STANDARD: Wie gelingt das?

Meurer: Das Wichtigste ist, sich nicht von Bildern in der Presse blenden zu lassen. Ortsunabhängig arbeiten bedeutet nicht nur Strand, Sonne und Cocktails. Selbst wenn wir unterwegs sind, arbeiten wir in Hostels oder Coworking Spaces. Nur in so einem Setting kann man produktiv arbeiten. Daher ist es am Anfang meistens mehr Arbeit als in einem regulären Job. Man muss sich auch von Materiellem trennen. Wenn man seinen Flatscreen und sein Auto behalten will, wird das auf lange Sicht nicht gut gehen. Das Beste ist, sich auf Blogs einzulesen, sich mit digitalen Nomaden auszutauschen und dann zu entscheiden: Will ich das wirklich? Und wenn ja, langsam, neben dem regulären Job, ein eigenes Business aufzubauen.

STANDARD: Über Landesgrenzen hinweg?

Meurer: Man kann seine Dienstleistung im eigenen Land anbieten, oder im Land der Wahl. Gerade wenn man Deutscher oder Österreicher ist, verdient man vergleichsweise gut – im Gegensatz zu Ländern in Asien oder Südamerika. Wenn man also dort seine Dienstleistungen anbietet, geht man in den Wettbewerb mit ganz anderen Lebenserhaltungskosten. Zum Start als Digitaler Nomade eignet sich das "Geo-Arbitrage"-Prinzip: "Earn Dollars and spend Baths". Man verdient Geld in einer harten, stabilen Währung und wohnt in Ländern, in denen man mit tausend Dollar gut leben kann.

STANDARD: Funktioniert Arbeiten ohne festen Wohnsitz auch mit Kindern?

Meurer: Das ist natürlich das Totschlagargument, das auch wir immer wieder hören. Es ist so: Bis das Kind sechs Jahre alt ist, kann das gelingen. Wir haben bewusst auch jemanden auf die DNX geholt, der schon seit über acht Jahren mit seinen Kids um die Welt reist und das auch irgendwie hinkriegt. Es ist immer nur eine Frage des Wollens. Aber es muss ja auch nicht immer gereist werden. Viele Menschen stellen ihre Arbeitsweise auch deshalb um, weil sie wieder ein bisschen mehr Zeit für ihre Kinder haben wollen, sich selbst wieder mehr spüren wollen. Einfach, um unabhängiger vom Büro zu sein.

STANDARD: Ist digital organisiertes Arbeiten die Arbeitsform der Zukunft?

Meurer: Davon bin ich überzeugt. Und alle Zeichen sprechen dafür. Bei uns holen sich immer wieder Unternehmen Rat. Sie merken, dass sich um sie herum etwas verändert. Dass sie die Leute nicht mehr mit einem tollen Firmenauto, einem guten Job-Titel oder mehr Gehalt ins Unternehmen locken können. Der Generation Y, also jenen, die nach 1980 geboren sind, ist Selbstverwirklichung viel wichtiger. Sie haben nicht per se etwas gegen Unternehmen, wollen aber viel freier und selbstbestimmter leben. Die ersten Unternehmen reagieren auch schon darauf, indem sie den Leuten erlauben, "remote", also ortsunabhängig, zu arbeiten. In Amerika haben zum Beispiel Buffer, ein Unternehmen das eine Social-Media-App anbietet, oder Automattic, die Entwickler von Wordpress, ihre Teams komplett remote aufgestellt. Da gibt es zwar ein Büro, die "base", dort sind die Mitarbeiter aber immer nur, wenn sie Zeit haben. Ansonsten sind sie überall auf der Welt verteilt. Die Teams arbeiten so zusammen, dass sie sich in der gleichen Zeitzone befinden. Diese Modelle kommen jetzt so langsam auch nach Deutschland. (lib, derStandard.at, 07.05.2015)