Wenn hinter dem Glockenturm von Moni Gonias die aufgehende Sonne einen grellen Streifen über die Bucht von Chania wirft, ist Bruder Chrysanthos schon über eine Stunde wach. Unter den Augen von Dutzenden Ikonen hat er bereits das Morgengebet abgeschlossen, sitzt nun mit drei älteren Brüdern im Seitengebäude der Klosterkirche und serviert ihnen würzigen Kaffee. Die Alten streichen sich durch die langen Rauschebärte und schweigen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Kloster Moni Gonias

Mit 26 Jahren ist Chrysanthos der jüngste Mönch in einem der traditionsreichsten Klöster Kretas und eine Ausnahmeerscheinung. "Immer weniger junge Menschen entscheiden sich für das Mönchtum", sagt er. Rund 300 Mönche soll es auf Kreta noch geben. In seinem früheren Leben studierte der junge Mann Medizin. "Ich wollte mehr vom Leben als Karriere. Hier bin ich glücklich". In der Tat hat Chrysanthos nichts vom Klischee des griesgrämigen Geistlichen. Selbst mit seinem buschigen Vollbart und in der schwarzen Kutte strahlt er eine ansteckende Fröhlichkeit aus.

Ansteckende Fröhlichkeit

Neugierige führt der rundliche Mönch stets schmunzelnd durch sein neues Zuhause, auch wenn sie eher kritisch gegenüber dieser verschlossenen Welt des Glaubens sind. Von der prachtvoll ausgestatteten Kirche im Innenhof des Klosters folgt ihm eine goldbraun-weiß gescheckte Katze in die Bibliothek. "Sie lebt zwar im Kloster, ist aber kein bisschen heilig", scherzt er.

Insgesamt fünf Mal vom 17. bis zum 19. Jahrhundert wurde das Kloster von den Osmanen angegriffen. In der Außenwand steckt noch immer eine Kanonenkugel, die bei der letzten Belagerung im Jahr 1867 abgefeuert wurde. 1941 bombardierte die Wehrmacht Gonia und zerstörte erneut Teile des Klosters. "Gonia ist ein Symbol des Widerstands", sagt Chrysanthos, "mit Gottes Hilfe besteht es bis heute." Wer die Klöster von Griechenlands größter Insel erkundet, stößt nicht nur auf 1.600 Jahre Kirchengeschichte, er lernt auch viel über die wehrhafte Rolle der befestigten Gotteshäuser.

Der Leuchtturm von Chania
Foto: Olaf Tausch

Das Kloster Arkadi, eineinhalb Autostunden östlich von Gonia, ist ein Nationaldenkmal für den kretischen Kampf um die Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Im Gebeinhaus gegenüber des Haupttors sind in einer Vitrine menschliche Schädel übereinandergestapelt. Es sind die sterblichen Überreste von mehr als 800 Männern, Frauen und Kinder aus den umliegenden Dörfern, die 1866 in das Pulvermagazin des Klosters geflüchtet waren. Um nicht den Osmanen in die Hände zu fallen, opferten sie sich selbst und ließen die Munition in einem Feuerball aufgehen. Auch Victor Hugo und Giuseppe Garibaldi drückten damals in emotionalen Artikeln ihre Solidarität mit den widerständischen Kretern aus.

Splitter aus Konstantinopel

Über dem Strand von Preveli, wo ein heller Streifen Sand das Grün eines Palmenhains vom Türkis des Libyschen Meers trennt, thront das gleichnamige Kloster. Unter einer goldbesetzten Kuppel wird dort ein Reliquienkreuz aufbewahrt, das aus Konstantinopel stammen und einen Splitter des Kreuzes Jesu verwahren soll. Wie viele andere Klöster wurde auch Preveli mehrfach von den Osmane angegriffen. Immer wieder soll die Reliquie dabei gestohlen und auf wundersame Weise zurückgekehrt sein. 1941 nahmen die deutschen Besatzer die Mönche von Preveli gefangen und plünderten das Kloster. Die Geistlichen hatten die Partisanen unterstützt und Soldaten der Alliierten versteckt. Der Legende nach soll das Flugzeug, mit dem die Deutschen das Kreuz nach Athen bringen wollten, einfach nicht abgehoben sein.

In Gonia bewahrt Chrysanthos ein silbernes Reliquien-Schmuckkästchen für den Knochensplitter eines Heiligen auf. Für den Deckel möchte er eine Ikone in Auftrag geben. Nur zehn Gehminuten von Gonia liegt die Orthodoxe Akademie, wo noch heute Ikonen nach jahrhundertealter Tradition gefertigt werden. Auf dem Weg dorthin führt der Mönch zuerst durch den Klostergarten.

Gelernt für Krisenzeiten vorzusorgen

Hinter den wehrhaften Mauern von Gonia spenden ein paar Zitronen-, Mandel- und Pfirsichbäume Hühnern, einem Hund und einem Schwein Schatten. Neben diesen Tieren, sowie etlichen Kaninchen und Schafen haben die Mönche auch Honigbienen. Im Garten werden zudem Feigen, Artischocken und Küchenkräuter geerntet, die Luft ist von Lavendelduft, Kamille und Minze erfüllt. "Wir müssen nur selten in den Supermarkt, das meiste, was wir brauchen, stellen wir hier selbst her", sagt Chrysanthos. Die Mönche Kretas haben über die Jahrhunderte gelernt, für Krisenzeiten vorzusorgen und bei Belagerungen Vorräte zu bunkern.

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Arkadi-Kloster ist das bedeutendste Nationaldenkmal Kretas. Es spielte eine herausragende Rolle im kretischen Kampf um Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich.

Viertausend Olivenbäume gehören dem Kloster bis heute. Das Öl wird vor Ort in Flaschen gefüllt oder mit Kräutern zu Seifen verarbeitet. "Nur die Etiketten werden nicht im Kloster hergestellt", sagt Chrysanthos ein wenig stolz. Gleich neben der Seifenwerkstatt liegt eine Kelterei. "Die Trauben werden mit den Füßen zerstampft", erklärt der Mönch und streicht sich über den runden Bauch. "Natürlich bin ich dabei. Schwergewichte kann man hier besonders gut gebrauchen."

Frankfurter Schule

In der Werkstatt der Orthodoxen Akademie appliziert Konstantina Stefanaki gerade eine Schicht Gold auf eine Leinwand. Die 42-Jährige ist in Frankfurt am Main geboren, kehrte nach dem Schulabschluss aber nach Kreta zurück, wo ihre Eltern aufgewachsen sind. "Ich bin mit Ikonen groß geworden, konnte aber lange Zeit nichts mit dieser Tradition anfangen", sagt sie. "Als ich in Kreta mehr darüber erfuhr, entschied ich mich, selbst Ikonenmalerin zu werden." In der Orthodoxen Akademie fertigt sie nun nicht nur eigene Ikonen nach byzantinischer Tradition, sondern restauriert auch historische Exemplare.

"Früher waren nur Männer als Ikonenmaler zugelassen, heute ist das anders." Rund 200 Ikonenmaler soll es auf Kreta noch geben. Die meisten machen das dennoch nicht hauptberuflich. "Es geht nicht nur um Kunstfertigkeit", sagt Konstantina Stefanaki. "Mir ist es wichtig, die Arbeit spirituell zu begleiten. Dazu gehört es auch, mehr über den Heiligen in Erfahrung zu bringen."

Chrysanthos lässt sein Reliquienkästchen in der Werkstatt der Malerin. Heute Abend hat er noch etwas Besonderes vor. Er will den Besuchern seine Lieblingstaverne in Kaliviani zeigen. "Dort gibt es den besten Wein und mit Sicherheit das traditionellste Essen der Insel." Der Mensch, das weiß man auch in kretischen Klöstern, lebt nicht vom Wort allein. (Winfried Schumacher, DER STANDARD, 9.5.2015)